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29.01.11 / Friedhof der Ideen und Ideale / In Afghanistan holt die Realität die deutsche Politik ein

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-11 vom 29. Januar 2011

Friedhof der Ideen und Ideale
In Afghanistan holt die Realität die deutsche Politik ein

„Afghanistan ist nicht nur der sprichwörtliche ,Friedhof der Weltmächte‘, sondern inzwischen auch ein Friedhof der Ideen und Ideale …: Die Idee eines demokratischen Afghanistans, die Idee eines weitgehend friedlichen Wiederaufbaus, die Idee einer funktionierenden Justiz …“, so die beiden „Bild“-Journalisten Julian Reichelt und Jan Meyer. Beide waren für ihren Arbeitgeber bereits mehrmals in Afghanistan, Reichelt sogar für mehrere Wochen am Stück. Ihre Erfahrungen und Eindrücke haben sie nun in dem Buch „Ruhet in Frieden, Soldaten – Wie Politik und Bundeswehr die Wahrheit über Afghanistan vertuschten“ niedergeschrieben, in dem sie vor allem mit der deutschen Politik abrechnen. „Die Deutschen hatten viele Konzepte für Afghanistan, aber nie eine wirkliche Strategie. Ihnen fehlte das Verständnis dafür, wie unendlich weit Afghanistan hinter Deutschland zurücklag. Um in Afghanistan zu bestehen, muss man sein eigenes Denken zurücklassen, seine Strukturen, man muss abschließen mit allen Errungenschaften der Zivilisation – nicht unbedingt eine deutsche Stärke.“ Und die Autoren erklären auch sogleich, warum weite Teile Afghanistans nicht mit an Zivilisation gewöhnten Augen gesehen werden dürfen: „Die meisten Afghanen können weder lesen noch schreiben. Viele von ihnen haben noch nie einen Stift in der Hand gehalten. Sie wissen nichts anzufangen mit dem Konzept einer Wahl. Sie sollen auf einen Zettel, den sie nicht verstehen, einen Namen ankreuzen, von dem sie noch nie gehört haben. Der Zettel soll nach Kabul geschickt werden, in eine Stadt, die in ihrem Leben noch nie von Bedeutung war. Dort sollen die Zettel gezählt werden ... Wer die meisten Zettel hat, gewinnt, aber die Mehrheit der Afghanen kann sich nicht vorstellen, wie ein Mann mit Zetteln von Kabul aus ihr Dorf regieren soll.“

Aber nicht nur viele auf dem Land lebende Afghanen sind aus Sicht der Autoren ziemlich naiv, viele deutsche Politiker seien es lange Jahre auch gewesen. Selbst als sie nach und nach erkannt hätten, dass der Afghanistan-Einsatz kein reiner Wiederaufbau-Einsatz würde, hätten sie alles daran gesetzt, um diesen Eindruck in Deutschland trotzdem weiter am Leben zu halten und zu Lasten der Soldaten vor Ort die Wirklichkeit nicht akzeptiert. Zumal die Autoren darauf hinweisen, dass selbst der in Deutschland hochgelobte Brunnenbau keineswegs für Frieden, sondern eher für Unfrieden in Afghanistan sorgen kann, da Brunnen die regionalen Machtstrukturen verschieben können. Bis 2009 durften deutsche Soldaten erst schießen, wenn sie angegriffen wurden. Überhaupt würde der Krieg, denn nichts anderes herrsche in Afghanistan, erst Stück für Stück von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg als das gesehen, was er sei.

Reichelt und Meyer haben zahlreiche die wahre Lage verfälschende und verharmlosende Äußerungen von zu Guttenbergs Amtsvorgängern zusammengetragen, die den Leser nur wütend machen können. Allein der Umgang mit den „einsatzbedingt ums Leben Gekommenen“, die erst seit zu Guttenberg „Gefallene“ genannt werden dürfen, sei würdelos gewesen. Aber auch die Bundeswehrführung wird kritisiert: „Auch viele Karriereoffiziere sind nicht ,kriegsfähig‘, da sie verinnerlicht haben, dass die Überbringer schlechter Nachrichten nicht befördert werden. Der deutsche Afghanistan-Einsatz wird von Männern befehligt, die in den Jahrzehnten des Kalten Krieges in Schreibstuben und Kasernen Karriere machten und nie in ihrem Leben kämpfen mussten ...“

Nachdem die Autoren ihre Ausführungen gleich mit einer knallharten Abrechnung begonnen haben, folgen ergreifende Reportagen aus dem Krisengebiet und informative Sachkapitel, die sich mit Themen wie Ausrüstung, gefallene deutsche Soldaten und ihre Angehörigen, Ausbildung der erschreckend unfähigen, korrupten afghanischen Polizei, die Taliban, die afghanische Bevölkerung auseinandersetzen.

Zahlreiche Soldaten vor Ort standen den beiden Journalisten – anonym – Rede und Antwort, beschrieben ihre Erfahrungen und Gefühle. Und die meisten der Männer vor Ort kämpfen nicht für die Afghanen, für Deutschland oder sonst ein hohes Ziel, sondern schlicht „wegen meiner Kameraden“. „Dieses ,Kameraden-Syndrom‘“, so Reichelt und Meyer, „ist durch alle Zeiten hinweg eines der sichersten Anzeichen dafür, dass ein Krieg seinem Ende entgegengeht.“         Rebecca Bellano

Julian Reichelt, Jan Meyer: „Ruhet in Frieden, Soldaten – Wie Politik und Bundeswehr die Wahrheit über Afghanistan vertuschten“, Fackelträger, Köln 2010, broschiert, 217 Seiten, 16,95 Euro


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