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05.02.11 / Schule unter Segeln – warum? / In der Diskussion über die Zukunft der »Gorch Fock« wird wie vor 60 Jahren argumentiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-11 vom 05. Februar 2011

Schule unter Segeln – warum?
In der Diskussion über die Zukunft der »Gorch Fock« wird wie vor 60 Jahren argumentiert

Macht die Ausbildung zukünftiger Marineoffiziere an Bord eines Segelschiffes noch Sinn? Die Dis­kussion, die jetzt nach den Vorfällen auf der „Gorch Fock“ hohe Wellen schlägt, ist nicht neu. Sie wurde bereits geführt, nachdem am 26. Juli 1932 die „Niobe“, das Segelschulschiff der Reichsmarine, im Fehmarnbelt in einer Gewitterböe gekentert und innerhalb von Minuten gesunken war. 69 Seeleute ertranken.

Die Diskussion wurde abermals vor 60 Jahren geführt, als die deutsche Schifffahrt nach dem Zweiten Weltkrieg allmählich wieder Wasser unter den Kiel bekam. 1950 verfasste der Kapitän Helmut Grubbe eine private Denkschrift, mit der er eine Diskussion um die künftige seemännische Ausbildung anstieß. Nicht wenige erklärten Grubbe für verrückt und hoffnungslos rückständig, als er im Zeitalter der Dampfer eine Ausbildung unter Segeln forderte.

Gemeinsam mit dem Reeder Heinz Schliewen entwickelte Grubbe den Gedanken, diese Segelschiffe als frachttragende Schulschiffe einzusetzen, jeder Warentransport sollte zugleich Ausbildungsfahrt sein. Aber der Wind hatte sich gedreht. Grubbe und Schliewen brauchten viel Überzeugungskraft, um Mitstreiter zu finden.

In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war das noch anders gewesen. Obwohl der Untergang der „Niobe“ und der Tod der 69 Seeleute und Kadetten in der Bevölkerung tiefe Betroffenheit auslöste, wurde die Ausbildung unter Segeln nicht grundsätzlich infrage gestellt. Im Gegenteil, um einen Neubau zu ermöglichen, wurde zu einer „Volksspende“ aufgerufen. Mit Erfolg, mehr als 200000 Mark wurden gesammelt. Bei Blohm & Voss lief der Neubau 1933 vom Stapel, getauft auf den Namen „Gorch Fock“. Bis zum Beginn des Krieges fuhr die „Gorch Fock“ als Ausbildungsschiff, am 1. Mai 1945 wurde sie von der eigenen Besatzung vor Stralsund versenkt. Zwei Jahre später hoben die Sowjets das Schiff und nutzten es als Schulschiff bis zum Ende der Sowjetunion unter dem Namen „Towarischtsch“. Danach begann eine abenteuerliche Irrfahrt, die 2003 in Stralsund endete. Dort wurde das Schiff erneut getauft – auf den Namen „Gorch Fock I“. Das 1958 in Dienst gestellte Segelschulschiff „Gorch Fock“ ist übrigens nahezu baugleich mit der 1933 gebauten namensgleichen Bark.

Als das Schulschiff der Bundesmarine auf Kiel gelegt wurde, war die von Kapitän Grubbe angestoßene Diskussion über die Ausbildung unter Segeln vorläufig abgeschlossen. Kapitän Grubbe hatte in seiner Denkschrift argumentiert: „Tatsächlich besteht nur in wenigen Ländern der Welt keine Pflicht der Segelschiffsausbildung für Schiffsoffiziere und Kapitäne. … Aber unabhängig davon wird in allen Ländern die Segelschiffsausbildung höher gewertet als die Dampferfahrzeit. Auch in England, der großen seefahrttreibenden Nation, erhält jeder Fahrensmann eine Vergünstigung von sechs Monaten für die auf Segelschiffen abgeleistete Fahrzeit.“

Von einer Ausbildung auf einem Dampfer hielt Grubbe hingegen wenig: „Die Erfahrungen mit der Dampferausbildung haben gezeigt, dass nicht alles so ist, wie man es gern haben möchte. Jedenfalls haben die Klagen seitens der Schiffsführung, dass keine Zeit und kein Personal für die Ausbildung vorhanden ist, seitens der Eltern, dass die Jungen sich mehr oder weniger selbst überlassen bleiben und nichts lernen, außer der Handhabung von Lukendeckeln und Farbewaschen …“

Bei altgedienten Kap-Hoorniers rannte Grubbe mit dieser Klage offene Türen ein, aber Landratten hatten Probleme, wenn Grubbe feststellte:

„Was der Seemann auf jeden Fall auf dem Segelschiff lernt, ist sein Handwerk, der Umgang mit Booten, Tauwerk, Draht … Und etwas anderes, sehr Wesentliches lernt man beinahe unbewußt auf dem Segler: Die Beobachtung von Wetter und See. Die erste Frage nach dem Wecken war doch immer: Was liegt an?, was macht das Wetter?, und wenn auch nur aus der Befürchtung heraus, müssen Manöver gemacht werden, Segel fest und dergleichen? Das erzog unbewußt zur ständigen Beobachtung der weiteren Umgebung …

Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Faktor war zweifellos die Erziehung zur Sparsamkeit, die Notwendigkeit, mit den einfachsten Mitteln durch Kopf und Hand den größten Erfolg zu erzielen.“

Als Kapitän Grubbe dies niederschrieb, da dachte er an die „Schulschiff Deutschland“.

Der 1927 In Dienst gestellte Dreimaster der Handelsschifffahrt lag vertäut als Jugendherberge an der Pier. Grubbe hoffte, das Schiff wieder flott zu machen. Das gelang zwar nicht, aber immerhin wurde „Schulschiff Deutschland“ zur stationären Ausbildungsstätte für Seemannsschüler in Bremen.

Auf der Suche nach einer Alternative stießen Grubbe und der Reeder Heinz Schliewen auf die ehemaligen P-Liner „Pamir“ und „Passat“. Die lagen in Antwerpen auf einer Abwrackwerft.

Schliewen kaufte die Schwesterschiffe für einen Spottpreis und ließ sie im Sinne Grubbes auf der Kieler Howaldtswerft geradezu luxuriös umbauen. Die Seekadetten sollten in Zukunft komfortabler reisen. Doch der Reeder hatte sich verkalkuliert. 1952 musste er Konkurs anmelden.

Die Auseinandersetzung um das Schicksal der beiden Schiffe und die Schulung des Offiziersnachwuchses tobte weiter heftig zwischen zwei Lagern. Auf der einen Seite standen Reedereien und traditionsbewusste Fahrensleute, die der Meinung waren, ein echter Seemann und zuverlässiger Kamerad würde man nur auf einem Segelschiff, nur dort könne man das Gespür für Wind und Wogen bekommen. Die Gegenposition nahmen die Gewerkschaften ein. Taue spleißen und Segelsetzen in 40 Meter Höhe würden in der modernen Schifffahrt nicht mehr gebraucht, befanden sie.

Die Logbücher der Segler lieferten ihnen die Argumente: Dass die Arbeit auf einem Großsegler besonders unfallträchtig war, galt in der Branche als selbstverständlich. Stürze aus der Takelage mit schweren Verletzungen oder tödlichem Ausgang gehörten quasi zum Alltag an Bord und wurden in Logbüchern nur mit einem knappen Eintrag vermerkt. Die „Leichenfänger“ genannten Sicherungsnetze konnten nicht immer verhindern, dass bei Orkan ein Besatzungsmitglied, meist ein unerfahrener Kadett, über Bord ging.

Fast noch mehr als Stürme fürchteten Schiffsjungen die Äquatortaufe, auf den Viermastern ein Brauch mit sadistischen Zügen. Beim Überqueren der magischen Linie mussten die „Novizen“ gemeine Quälereien erdulden. Mancher, der mit Begeisterung angeheuert hatte, machte sich schon im nächsten Hafen frustriert auf und davon. Am 11. Dezember 1912 verzeichnet das Logbuch der „Passat“: „Valparaiso/Chile: Die Matrosen F. Möller und H. Wilken desertieren.“

Trotz allen Gegenwinds hielten die deutschen Reeder mit ihren Wortführern Hapag und Norddeutscher Lloyd an der seemännischen Ausbildung auf Großseglern fest. 40 Reedereien gründeten die „Stiftung Pamir und Passat“, die die Mittel zum kostspieligen Unterhalt der Schiffe aufbringen sollte. „Pamir“ und „Passat“ segelten wieder von Hamburg nach Südamerika, nur die Umrundung Kap Hoorns wurde gestrichen.

Der Untergang der „Pamir“ 1957 bei einem Orkan in Höhe der Azoren bedeutete zwar nicht das Ende der Schule unter Segeln, brachte aber das Aus für die „Passat“. Ein Jahr nach diesem Schluss­punkt setzte das Schulschiff der Bundesmarine, die „Gorch Fock“, erstmals die Segel.

Jetzt stellt Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg die Frage, „inwieweit die ‚Gorch Fock‘ als Ausbildungsschiff und Botschafterin Deutschlands auf den Weltmeeren Zukunft hat“. Die Dis­kussion wird wieder geführt – mit den gleichen Argumenten wie vor 60 Jahren.

Der Schiffarzt, der auf der letzten Reise der „Passat“ an Bord war, notierte damals: „Mit dem Wegfall der Segelschiffausbildung droht den jungen Menschen die Seefahrt zur reinen Erwerbstätigkeit abzusinken, bar jener tiefen inneren Bindung, die diesem besonderen Ruf seit jeher eigentümlich war. Die ausschlaggebende Rolle wird hierbei der Kameradschaft zuzuschreiben sein. Das ist das Geheimnis des Segelschiffs: Selbst Brücke vom Menschen zur Natur, baut es auch Brücken unter den Menschen.“    Klaus J. Groth


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