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05.02.11 / Das Ende des preußischen Nachtwächterstaates / Bergarbeiterstreik an der Ruhr – Wilhelm II. wollte als sozialer Monarch Arbeitgeber zu höheren Löhnen zwingen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-11 vom 05. Februar 2011

Das Ende des preußischen Nachtwächterstaates
Bergarbeiterstreik an der Ruhr – Wilhelm II. wollte als sozialer Monarch Arbeitgeber zu höheren Löhnen zwingen

Aufgrund der gut laufenden Konjunktur werden 2011 nach Jahren der Lohnzurückhaltung in vielen Branchen Arbeitnehmervertreter Gehaltserhöhungen fordern. Zu Beginn seiner Regierungszeit war Kaiser Wilhelm II. im Bergbau an der Ruhr mit einer in mancher Hinsicht vergleichbaren Situation konfrontiert.

„Der Stein ist ins Rollen gebracht, auf einigen Zechen hiesiger Gegend, wo seit mehreren Tagen ein teilweiser Streik versucht war, ist es heute zum Aufruhr gekommen. Soeben treffen per Extrazug von Münster zwei verstärkte Kompanien des 13. Regimenes hierselbst ein, um die Ruhe und Ordnung auf den umliegenden Zechen aufrecht zu erhalten“, vermeldete am 5. Mai 1889 eine Zeitung in Wanne.

Die streikenden Bergleute wollten nach Jahren, in denen die Löhne wegen konjunktureller Schwächephasen gesunken waren, vom einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung mit profitieren. Die aufmerksamen unter ihnen hatten mitbekommen, dass die an der Essener Börse notierten Anteile an Bergwerken (Kuxe), die vor 1888 mit 50 bis 60 Mark notiert hatten, im Frühjahr 1889 auf 1300 bis 1400 Mark hochschnellten. Diese enorme Wertsteigerung spiegelte die günstige ökonomische Lage wider. Die Wirtschaft wuchs, die Industrie brauchte wieder mehr Kohle und die Bergwerke wegen der steigenden Nachfrage mehr Arbeitskräfte.

Doch obwohl viele Zechen wieder in die Gewinnzone kamen, waren ihre Besitzer nicht bereit, alten wie neuen Arbeitern die Löhne zu erhöhen, so dass sie zumindest das Niveau von vor der Krise erreichten. Gleichzeitig wurde der Wohnraum knapp, da der Bergbau Arbeitskräfte vor allem aus dem deutschen Osten und auch aus Polen anzog. So wurden im Ruhrgebiet von 1885 bis 1890 27000 Zuwanderer aus den preußischen Ostgebieten als Bergarbeiter eingestellt, wobei der prozentuale Anteil der Zuwanderer an der Belegschaft von Zeche zu Zeche unterschiedlich ausfiel. Im Gelsenkirchener und Essener Raum belief sich ihr Anteil auf rund ein Drittel.

Aus der so begründeten Unzufriedenheit resultierten Forderungen: 15 Prozent mehr Lohn, Acht-Stunden-Schichten, Reduzierung der Arbeitszeit durch Wegfall von Überschichten, Verbesserung beim Arbeitsschutz, Transparenz beim Straf- und Lohnsystem. Allerdings ignorierten die Zechenbesitzer die Forderungen ihrer Arbeiter und widersetzten sich jedem Gesprächsangebot.

Das führte dazu, dass am 25. April und 1. Mai 1889 in einigen Zechen vornehmlich jugendliche, zugewanderte und besitzlose Schlepper, Pferdejungen und Bergleute spontan und planlos die Arbeit nieder legten, um so ihre Direktion unter Druck zu setzen. Am 9. Mai streikten bereits 70000 Arbeiter im Ruhrgebiet. Vor allem dort, wo viele junge, ungelernte Kräfte beschäftigt waren, eskalierten die Proteste zu Krawallen, die schließlich Polizei und Militär einschreiten ließen.

Wenn auch die Armee bis zum 7. Mai bereits drei aufständische Bergleute erschossen hatte, so stellten sich doch die Spitzen der örtlichen Behörden auf die Seite der Arbeitnehmer. Trotzdem zeigte sich die Arbeitgeberseite aber immer noch nicht gesprächsbereit. Vielmehr forderte sie Einschränkungen im Versammlungsrecht und zusätzliches Militär.

Vor diesem Hintergrund entschieden sich die Bergleute, eine Deputation zum Kaiser zu schicken. Dieser gewährte die Audienz sofort, wusste er doch, dass die traditionsbewussten Bergleute ihn als ihren „obersten Bergherren“ ansahen, dies sogar zu Beginn ihrer Versammlungen durch Hochrufe auf den Landesherren kundtaten. Bereits am 14. Mai empfing der Kaiser, der sich als sozialer Monarch verstand, die Deputation. Zwar maßregelte Wilhelm II. seine Gäste für die Arbeitsniederlegung, versprach aber, ihre Forderungen zu prüfen. Eigentlich hatte er mehr versprechen wollen, doch zwei Tage vorher hatte das Kabinett seinem Wunsch nach einem stärkeren Eingreifen des Staates in das Bergwesen widersprochen. Zwar anerkannte man in der Regierung, dass die Anliegen der Bergleute berechtigt waren, aber der arbeitgeberfreundliche Reichskanzler Otto von Bismarck hatte seinen Einfluss geltend gemacht und in wirtschaftsliberaler Manier darauf verwiesen, dass die streitenden Parteien ihre Probleme selber lösen sollten. Und so sorgte das Kabinett dafür, dass in der Ansprache des Kaisers an die Bergleute der von diesem gewünschte Befehl, die Löhne zu erhöhen, nicht enthalten war.

Am 16. Mai empfing Wilhelm II. dann mit dem Bergbaulichen Verein die Arbeitgeberseite, der er deutlich die Schuld am Streik vorwarf und die er, mit Billigung des Kabinetts, an den Verhandlungstisch mit den Bergleuten zwang. Letztere reduzierten sofort ihre Forderungen und beschlossen, den Streik zu beenden.

Als sich jedoch die Zechenleitungen nicht an die Vereinbarungen des sogenannten Berliner Protokolls hielten, kam es erneut zu spontanen Arbeitsniederlegungen. Diesen folgten Solidaritätsstreiks in Nieder- und Oberschlesien. Wie an der Ruhr kam es auch in Schlesien zu Tumulten, worauf die Behörden wieder mit dem Einsatz von Militär und Polizei reagierten.

Ende Mai gingen den meisten Streikenden die Ersparnisse aus. Streikkassen gab es noch nicht, so dass nur noch Spenden aus der Bevölkerung das täglich Brot der während des Streiks nicht entlohnten Bergarbeiter sichern konnten. Die Bergwerkbesitzer hatten den längeren Atem und ließen auch noch nach der Wiederaufnahme der Arbeit die Streikführer aussperren, klagten sie erfolgreich wegen Landfriedensbruch an.

Zur Untersuchung der Vorfälle setzte Wilhelm II. eine Untersuchungskommission ein. Nach der Befragung von Arbeitern wie Arbeitgebern kam sie zu dem Schluss, dass den Arbeitgebern so gut wie keine Verstöße gegen die seit 1865 geltende Bergordnung vorzuwerfen seien. Das lag weniger daran, dass die Kommission voreingenommen gewesen wäre, als daran, dass die Bergordnung den Interessen der Arbeitnehmer kaum Rechnung trug.

Diese Erkenntnis führte zur Novelle des Bergrechts. Das Allgemeinen Berggesetz von 1892 bot dem 1890 gegründeten neuen „Deutschen Bergarbeiterverband“ eine rechtliche Basis für künftige Interessenvertretung. Das neue Gesetz schrieb Arbeitsordnungen vor, schränkte betriebliche Strafen und willkürliche Nichtanrechnung von Förderleistungen ein. Der Kündigungsschutz wurde insoweit erweitert, als Vergehen von Arbeitnehmern nur innerhalb von einer Woche nach Bekanntwerden zur Kündigung führen durften. Damit gab der Staat Arbeitgebern und Arbeitnehmern einen Rahmen, in dem sie sich zu bewegen hatten. Deshalb wird hieran das Ende der liberalen Phase preußischer Wirtschaftsordnung festgemacht.            Rebecca Bellano


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