16.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
05.02.11 / Hauptsache reißerisch / Crime sells: »Das Amt« lässt entlastende Zeitzeugen nicht zu Wort kommen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-11 vom 05. Februar 2011

Hauptsache reißerisch
Crime sells: »Das Amt« lässt entlastende Zeitzeugen nicht zu Wort kommen

„Worin besteht die Sensation?“ – betitelt der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München/Berlin, Horst Möller, seinen Beitrag in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, den er mit dem Satz beschließt: „Mit 1,5 Millionen Euro Aufwand jedenfalls ein ‚kostbarer‘ Befund – liegt nicht hier der eigentliche Skandal.“ Die Rede ist von dem Buch „Das Amt und die Vergangenheit – Die deutschen Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik“, das gleich beim Erscheinen im Rampenlicht mit großem Beifall bedacht wurde. Das Buch habe einen Skandal enthüllt, so der Medien-Tenor: „Das Ende aller Vertuschung“, „Endlich sprechen die Akten“, „Der Bericht der Historikerkommission ergibt: Das Auswärtige Amt war systematisch an der Judenvernichtung beteiligt“, „Das braune Haus“.

Das „Braune Haus“ war in der „Hauptstadt der Bewegung“, in München, die Zentrale der Hitler-Partei. Mit der letztzitierten Überschrift wird das Auswärtige Amt zu ihm auf eine Stufe gestellt. Gibt es dafür Indizien, vielleicht gar Beweise?

Fast gleichzeitig mit dem Lob setzte Kritik ein. Im „Spiegel“ unter der Überschrift: „Unkenntnis und Ignoranz“. Immer wieder die Frage: Was ist neu? Neu ist die Behauptung, das Auswärtige Amt sei in der Judenpolitik die treibende Kraft und somit eine „verbrecherische Organisation“ gewesen. Doch den Nachweis für diese ungeheuerliche Anschuldigung bleibt „Das Amt“ schuldig, obwohl an die 30 Personen daran gearbeitet haben.

Die vier Herausgeber erhielten in der „Süddeutschen Zeitung“ eine Seite, um sich zu verteidigen. Sie beginnen mit den Worten: „,Das Amt‘ hat einen Nerv getroffen“ und fahren fort: „,Buch der Rache‘ – ‚Buch der Versöhnung‘: Was für Bewertungskriterien werden hier an eine wissenschaftliche Untersuchung herangetragen.“ Doch sie selbst nähren derlei Vorwürfe, wenn sie mehrmals über „die Deutschen“ richten, die sich nach dem Kriege ihrer Mitverantwortung zu entziehen versuchten. Die große Mehrheit war von der Entnazifizierung gar nicht betroffen, hatte gar nichts zu „entziehen“.

Obwohl „Das Amt“ 880 Seiten zählt, kommen absolut glaubwürdige Zeitzeugen nicht zu Wort, deren Bekundungen aufschlussreicher sind als die dicke Schwarte. Hier zwei Belege, die bisher auch von der Kritik nicht erwähnt wurden: Ernst Marcus sollte während des Pogroms vom 9./10. November 1938 für die Reichsvertretung der Juden eine Verbindung mit dem Auswärtigen Amt herstellen, was ihm auch gelang. Sein Bericht lautet: „Im Auswärtigen Amt erlebte ich den ersten Eindruck offenen Abscheus … Entgegen seiner Gewohnheit, mich allein zu empfangen, war er [Otto v. Hentig] von einigen Attachés seines Referates umgeben. Alle Anwesenden waren mir persönlich bekannt. Hentig … drückte mir unumwunden seinen Abscheu gegenüber den Ereignissen aus. ‚Ich schäme mich für mein Volk‘, diese herausgestoßenen Worte blieben mir im Gedächtnis. Einer der Attachés – alle gehörten der SS an – fügte hinzu: ‚Glauben Sie mir, wir werden diese Taten büßen müssen. Dieser Tag bleibt nicht ungesühnt. Vielleicht ist Ihnen das ein Trost‘. Es war in der Tat ein Trost. Denn ich empfand, dass es diesen Männern, vielleicht weil sie ihr Vaterland liebten, ernst war mit ihrer Abneigung gegen den Geist des Nationalsozialismus, des Urhebers der von ihnen verurteilten Taten.“

Die in Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern verehrte Journalistin Ruth Andreas-Friedrich vermerkt unter dem 28. Januar 1941 in ihrem Tagebuch: „Cocktail-Party bei Erich Tuch. Das halbe Auswärtige Amt ist erschienen. Das heißt – genauer gesagt – die ‚andere Hälfte‘ des Auswärtigen Amtes. Die Gegenhälfte. Denn unter den 120 Anwesenden dürfte sich kaum ein Nazi befinden. Man redet getarnt und geschickt. Wie es sich für Diplomaten geziemt. Doch hinter den umschreibenden Worten spürt jeder bei jedem den gleichen Sinn: Wir sind nicht der Meinung! Wir lehnen sie ab, die Politik dieser Gangster-Regierung. ‚Und doch macht ihr sie mit‘, sagt Andrik zu Tuch. – ‚Machen wir sie wirklich mit?‘ fragt dieser. ‚Ich bitte Sie, was sollen wir denn tun?‘“ Sind das nicht äußert aufschlussreiche Bekundungen? Warum nur werden sie unterdrückt?

Die Katholische Akademie Bayern lud zu einem Streitgespräch. Norbert Frei verteidigte das Buch auch mit dem Hinweis, die Nachfrage sei entgegen den Befürchtungen gewaltig. Wen wundert es nach dem Erfolg von Hochhuths „Stellvertreter“, von Goldhagens „Hitlers willige Vollstrecker“, der Ausstellung „Hitler und die Deutschen“? Crime sells, gewissenhafte Arbeit ist nicht gefragt. 1930 erschien „Der jüdische Selbsthass“. Warum sollte ein massenpsychologisches Trauma nicht auch unter Deutschen Nahrung finden?      Konrad Löw

Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: „Das Amt und die Vergangenheit – Die deutschen Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik“, Blessing, München 2010, 880 Seiten, 34,95 Euro

 

Weitere neue Titel

Alexander Behrens (Hrsg.): „Durfte Brandt knien?“, Dietz, Bonn 2010, broschiert, 150 Seiten, 14,90 Euro

Wolf-Ulrich Cropp: „Models und Mönche – Reise ins Innere Thailand“, Wiesenburg, Schweinfurt 2010, geb., 339 Seiten, 19,80 Euro

Margot Mahner: „33 plus minus – Mein Leben im Dritten Reich“, Haag + Herchen, überarbeitete Auflage, Hanau 2010, broschiert, 224 Seiten, 16 Euro

Reinhard Meier-Walser (Hrsg.): „Eine Welt ohne Atomwaffen? – ,Global Zero‘ – Realisierungschancen einer Vision“, Hanns Seidel Stiftung, Akademie für Politik und Zeitgeschehen, München 2010, broschiert, 157 Seiten, 5 Euro

Sabine Werz: „Sex and Crime auf Königsthronen“, Bastei-Lübbe, Bergisch-Gladbach 2010, broschiert, 525 Seiten, 9,99 Euro

Wolfgang Wietzker: „Kriegsalltag – Der Zweite Weltkrieg in der Erinnerung von Zeitzeugen“, Helios, Aachen 2010, gebunden, 258 Seiten, 22 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren