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12.02.11 / Massiver Gesinnungswandel / Der »Spiegel« entdeckt die Ostdeutschen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-11 vom 12. Februar 2011

Massiver Gesinnungswandel
Der »Spiegel« entdeckt die Ostdeutschen

Das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ war seit seiner Gründung 1948 den rund zwölf Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen aus den preußischen Ostprovinzen und aus dem Sudetenland nicht sonderlich wohlgesonnen. Obwohl die Ostdeutschen entscheidend am wirtschaftlichen Wiederaufbau Nachkriegsdeutschlands beteiligt waren, wurden sie als „Ewiggestrige“ beargwöhnt, wo sie doch nur ihre Liebe zur Heimat bekunden wollten. Dass mit dieser journalistischen Aversion gegen alles Ostdeutsche auch die konfliktreiche Geschichte und die reichhaltige Kultur jener Regionen in Vergessen zu geraten drohte, wurde im Kampfeseifer übersehen.

Jetzt aber, wo es, 65 Jahre nach Kriegsende, fast zu spät ist, erschien in der Reihe „Spiegel Geschichte“ ein Heft von 148 Seiten, das an vielen Zeitungskiosken für 7,50 Euro zu kaufen ist: „Die Deutschen im Osten – Auf den Spuren einer verlorenen Zeit.“ Allein das Inhaltsverzeichnis kann den Leser, zumal den aus Ostdeutschland stammenden, begeistern. Der in die vier Abteilungen „Siedler im Osten“, „Fremde, Freunde, Nachbarn“, „Krieg, Flucht, Vertreibung“ und „Schatten der Vergangenheit“ gegliederte Stoff bringt in den einzelnen Kapiteln eine Fülle von Beispielen dafür, wie wichtig die Geschichte und Kultur Ostdeutschlands für das Selbstverständnis der heutigen Deutschen sind. Da liest man einen Aufsatz „Neue Schlüssel zur Geschichte“, in dem im Untertitel auf die „Enkelgeneration der Vertriebenen“ verwiesen wird, die die „Vergangenheit unverkrampfter“ sieht, weitere Artikel berichten über die „wechselvolle Geschichte der 1348 gegründeten Universität Prag“ und den wirtschaftlichen „Erfolg der mittelalterlichen Hanse“. Der Stuttgarter Emeritus Norbert Conrads, 1938 in Breslau geboren, der an der Universität Stuttgart den Projektbereich „Schlesische Geschichte“ vertrat, würdigt auf vier Seiten „Schlesien zwischen Polen, Habsburgerreich und Preußen“ als „Hort der Toleranz“. Der 1962 geborene Germanist Johannes Saltzwedel stellt die unvergleichliche Barockdichtung aus Schlesien vor, deren bedeutendster Vertreter Andreas Gryphius (1616–1664) aus Glogau stammt. Der in Berlin lebende Historiker Andreas Kossert (1970),  dessen letztes Buch „Kalte Heimat – Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945“ (2008) hohes Aufsehen erregte, ist mit einem Interview über die politische und kulturelle Sonderstellung Ostpreußens vertreten, während Christian Neef darüber schreibt, wie im nördlichen Ostpreußen, der russischen Provinz Oblast Kaliningrad, die Regionalregierung versucht, die deutsche Geschichte 1231/1945 vergessen zu machen.

Erfreulich ist, dass neben den „reichsdeutschen“ Vertriebenen auch die aus Russland, Ungarn,  Serbien, Kroatien und Rumänien ausführlich benannt werden, während die aus der Tschechoslowakei, Polen und dem Baltikum leider unerwähnt bleiben, immerhin ist „Danzig zwischen Deutschen und Polen“ ein eigenes Kapitel gewidmet.

Wie es den jenseits von Oder und Lausitzer Neiße lebenden Deutschen nach 1945 ging, kommt in Artikeln über das Wüten der „Roten Armee“, über die „Breslauer Apokalypse“ und „Die Zeit der Abrechnung“ zur Sprache. Hier wird auch endlich das Thema „Vergewaltigung“ von zwei Millionen ostdeutscher Mädchen und Frauen angeschnitten. Dass die vorrückenden „Rotarmisten“ auch Tausende von Polinnen, Slowakinnen, Rumäninnen, Ungarinnen vergewaltigt haben, lässt das Argument brüchig werden, die Verbrechen der „Roten Armee“ wären die Antwort auf die Verbrechen der „Wehrmacht“ 1941/45 gewesen.

Wo man sich festliest in diesem Heft, bekommt man aufschlussreiche Informationen geliefert, so über die Westverschiebung Polens unter dem Titel „Churchills Streichhölzer“ (Michael Sontheimer) oder über „Die Vertriebenen nach 1945“ unter dem Titel „Hitlers letzte Opfer“ (Norbert F. Pötzl). Selbstverständlich durfte da ein kritischer Beitrag, wenn auch anonym, über Erika Steinbachs Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ nicht fehlen. Leider wird die rigorose Eingliederungspolitik, die im SED-Staat gegen die „Umsiedler“ betrieben wurde, nirgendwo analysiert, der einzige Beitrag zu diesem Thema erschöpft sich in Uwe Klussmanns Artikel über das „Görlitzer Abkommen“ von 1950, worin die „Oder-Neiße-Friedensgrenze“ einseitig anerkannt wurde.

Dass deutsche und polnische Historiker an einem gemeinsamen Geschichtsbuch arbeiten, erfährt man von Jan Friedmann unter dem Titel „Heikle Kapitel“. Und unter dem Titel „Aktenzeichen ungelöst“ wird dem Leser durch Thomas Darnstädt mitgeteilt, dass die an Deutschen begangenen Vertreibungsverbrechen noch immer ungesühnt sind. Die Liste der weiterführenden Literatur ist leider ziemlich willkürlich zusammengestellt worden und bedarf dringend der Ergänzung.     Jörg B. Bilke

„Spiegel Geschichte“: „Die Deutschen im Osten – Auf den Spuren einer verlorenen Zeit“, Spiegel-Verlag, Hamburg 2010, 148 Seiten, 7,50 Euro


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