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12.02.11 / Leben in vorpommerscher Tristesse / Fiktive, aber von Literaturkritikern hochgelobte Schilderung der Bewohner eines Dorfes zwischen Anklam und Jerichow

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-11 vom 12. Februar 2011

Leben in vorpommerscher Tristesse
Fiktive, aber von Literaturkritikern hochgelobte Schilderung der Bewohner eines Dorfes zwischen Anklam und Jerichow

Irgendwo in der Provinz zwischen Anklam und Jerichow in Vorpommern liegt ein Dorf namens Bresekow, wo nichts los ist und die meisten Bewohner keine richtige Arbeit haben. Der fiktive Ort ist Schauplatz von Judith Zanders Erstlingsroman „Dinge, die wir heute sagten“, von dem die Fachwelt durchweg positiv überrascht war und den sie daher auf die Short List des Deutschen Buchpreises setzte.

Bresekow ist „ein hässliches Endlein, über das man besser den Mund hält“, heißt es im Klappentext von Judith Zanders. Doch die Autorin, die 1980 in Anklam zur Welt kam, hat sich nicht an ihre Schweigeempfehlung gehalten. Im Gegenteil, sie lässt mehrere Bresekower auf fast 500 Seiten zu Wort kommen, indem sie sie selbst abwechselnd und in der ihnen eigenen Redeweise ihre Sicht der Dinge darstellen lässt. Deren Horizont reicht, mit Ausnahme des wunderlichen Pastors, allerdings nicht über den eigenen Tellerrand hinaus. Es sind die Vertreter dreier Generationen, Alteingesessene und Zugezogene, die weitschweifig räsonieren, schwadronieren und Tratsch verbreiten dürfen. Nur wenige sind darunter, die auch ihr eigenes Verhalten reflektieren. Auf diese Weise werden nach und nach Dorfgeschichten aus der Nachwendezeit, der DDR-Vergangenheit und der Nachkriegszeit erzählt. Darunter ist viel Verdrängtes, das anlässlich des Todes und Begräbnisses von Anna Hanske ans Licht will. Vorausgeschickt sei, dass der Leser sich das Verständnis um die Zusammenhänge regelrecht erarbeiten muss, da es kein Personenverzeichnis gibt und man herausfinden muss, an wen sich die jeweils monologisierende Romanperson gerade wendet, falls überhaupt. Besonders auf den ersten 50 Seiten erfordert dies ein hohes Maß an Konzentration. 

Wenn aus Sicht der Jugendlichen überhaupt etwas los ist in dem Kaff, dann auf der Elpe in der Dorfmitte, benannt nach der früheren landwirtschaftlichen LPG. Auf dem leeren Platz treffen sich die geschminkten Mädchen in ihren bauchfreien Tops und die Jungs mit ihren Mofas, ausgestattet mit einem Springmesser. Es wird gekifft, getrunken und in der aufgeladenen Stimmung kommt es anschließend zu erotischen Ausschweifungen.

Während die jungen Leute nur diesseitige Perspektiven haben, haben sich manche ihrer Väter und Mütter, die mit den Veränderungen nach der „Wende“ zurechtkommen mussten, zuerst dem Alkohol ergeben und anschließend einem fundamental-christlichen Prediger zugewandt. Dieser hatte ihnen Befreiung von ihrer Sucht durch den Glauben versprochen, doch da sie blieben, wer sie waren, haben einige der Sekte bereits wieder den Rücken zugekehrt. Nur die 17-jährige Gymnasiastin Romy hält sich bewusst fern von allen und allem.

Mundartliche Einsprengsel in den Monologen treten auf, wenn ältere Personen zitiert werden, da diese untereinander überwiegend Plattdeutsch sprechen. Das gilt ebenso für die gebündelten Satzfetzen aus Alltagsgesprächen, mit denen zwischendurch „die Gemeinde“ eingeschaltet wird. So wirken diese Kunstgriffe der Autorin wie ein Katalysator, der diejenigen Personen, die in ihrer Beschränktheit bestürzend einseitig gezeichnet sind, in ein umso grelleres Licht stellt. Die fehlerhafte Ausdrucksweise der Hochdeutsch Redenden und deren häufige unflätige Bemerkungen tun ein Übriges. Dabei wirkt alles authentisch, was auf das besondere Verständnis der Autorin zurückzuführen ist, das diese von der Sprache mit ihren vielfältigen Ausprägungen entwickelt hat. Anders als in der älteren Heimatliteratur etwa eines Walter Kempowski ist bei Zanders Romanpersonal nur ein Mindestmaß an zwischenmenschlicher Wärme auszumachen. Und man vermisst die humoristische Note, welche wegen der Trostlosigkeit des durch bestimmte Umstände reduzierten Lebens belebend gewirkt hätte und auch zu erwarten gewesen wäre; erinnert man sich doch bestens an den Galgenhumor der DDR-Witze. Dagmar Jestrzemski

Judith Zander: „Dinge die wir heute sagten“, dtv, München 2010, broschiert, 480 Seiten, 16,90 Euro


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