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19.02.11 / Was Kurt Beck treibt / Hartz-IV: Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident handelt unter dem Druck bankrotter Kommunen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-11 vom 19. Februar 2011

Was Kurt Beck treibt
Hartz-IV: Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident handelt unter dem Druck bankrotter Kommunen

Nun müssen es die Alten richten: Nachdem die siebenwöchigen Verhandlungen zur Sozialhilfe-Reform unter Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und SPD-Vize Manuela Schwesig krachend gescheitert sind, übernehmen Horst Seehofer (CSU), Kurt Beck (SPD) und Wolfgang Böhmer (CDU) das Ruder.

Es war kurz nach 9 Uhr im Preußischen Herrenhaus – in einer knappen Stunde sollte die Bundesratssitzung beginnen, auf der nach ursprünglicher Planung das neue Sozialhilfe-Gesetz verabschiedet werden sollte. Da sich keine Mehrheit abzeichnete, steckten Bayerns Ministerpräsident Seehofer und seine Amtskollegen aus Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, Beck und Böhmer, die Köpfe zusammen. Telefonisch nahm Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) an dem Gespräch teil. Wenig später lehnten die Länder eine Abstimmung über das vorliegende Paket mit Koalitions-Handschrift ab und riefen stattdessen erneut den Vermittlungsausschuss an. Seither wird an geheimen Orten weiterverhandelt – das ist einem vernünftigen Ergebnis vermutlich zuträglicher als die bisherige Form der Gespräche auf offener Bühne, mit einem gewaltigen Medienauftrieb, der mit permanenten spekulativen Wasserstandsmeldungen einer Einigung wohl eher geschadet hat.

Kompromisslinien waren bei Redaktionsschluss nicht absehbar. Einig sind sich die Beteiligten darin, dass Ende Februar ein Kompromiss stehen soll, dem CDU, CSU, FDP, SPD und Grüne zustimmen können. Dann könnte der Bundesrat entweder bei einer Sondersitzung oder spätestens bei der nächsten regulären Sitzung am 18. März das Paket verabschieden.

Zuvor hatten sich die bisherigen Verhandlungsführerinnen von der Leyen und Schwesig als unfähig erwiesen, einen Kompromiss auszuhandeln. Massive Kritik von Sozialverbänden war die Folge, sogar die Worte „Profilneurose“ und „Zickenkrieg“ machten die Runde.

Die SPD hatte die Verhandlungen mit immer neuen sachfremden Forderungen nach Tausenden Schulsozialarbeitern und Mindestlöhnen überfrachtet (die PAZ berichtete). Zuletzt wollte sie beim Hartz-IV-Satz einen Sonderbedarf für Mobilität von 17 Euro durchsetzen, was wohl mehr als eine Milliarde Euro gekostet hätte. Beobachtern drängte sich der Verdacht auf, die SPD habe die Verhandlungen vor allem dazu benutzt, um Manuela Schwesigs Gesicht medienwirksam auf der Bundesbühne zu platzieren. Mit der schrillen Formulierung, Bundeskanzlerin Merkel sei eine „eiskalte Machtpolitikerin“, die die Reform unbedingt habe platzen lassen wollen, bewies Schwesig jedoch weder Originalität noch Glaubwürdigkeit, sondern vor allem Überforderung. Sogar der ansonsten wohlmeinende „Spiegel“ kritisierte: „Ihre Reden klingen, als läse sie aus dem Schulungsheft für Ortsvereinsfunktionäre vor. Schwesig hat noch einige Lehrjahre vor sich.“

Von der Leyen ihrerseits hatte zwei Probleme: Einmal eine FDP, die ihre wirtschaftsfreundliche Ader ausgerechnet bei der Frage des gleichen Lohnes in der Zeitarbeit demonstrieren wollte und mehrfach Kompromisse ablehnte. Zum anderen hatte sie zu Beginn einen taktischen Fehler begangen, indem sie der SPD nachgab und drei Unter-Arbeitsgruppen eingesetzt hatte, die die Themen Mindestlöhne, Bildungspaket und Regelsatz isoliert voneinander verhandelten. So wurden mehrfach bereits gefundene Kompromisse wieder einkassiert.

Nun also der Auftritt der alten Garde. Kurt Beck sagte der „Bild am Sonntag“: „Um zu einer zügigen Einigung zu kommen, wollen wir die Verhandlungsführung auf der Ebene der Ministerpräsidenten halten.“ Das ist eine schallende verbale Ohrfeige für Schwesig – aber auch für SPD-Chef Sigmar Gabriel, der Schwesig in diese entscheidende Position manövriert hatte.

Beck hat den höchsten Leidensdruck: Seine Kommunen in Rheinland-Pfalz sind mit am höchsten verschuldet. Das von der Regierung vorgeschlagene Paket, von den Kommunen die in Zukunft stark wachsenden Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit zu übernehmen, können sie nicht ausschlagen. Von vier Milliarden Euro Entlastung pro Jahr ist hier die Rede – ein Segen wäre das für alle leidgeprüften Kommunen. Übrigens hat den ordnungspolitischen Sündenfall, die Kosten für die alternden Sozialhilfeempfänger auf die Kommunen abzuwälzen, die rot-grüne Regierung Schröder zu verantworten – wie auch die ganze verunglückte Berechnung der Hartz-IV-Sätze, die im Februar 2010 vom Verfassungsgericht einkassiert wurde.

Wenn Beck dieses Kommunen-Entlastungs-Paket scheitern ließe, wäre ihm im Wahlkampf in Rheinland-Pfalz (Wahltag 27. März) massiver Protest der Kommunen sicher. Und das kann Beck sich nicht leisten, denn ihm sitzt die enorm aktive und populäre CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner im Nacken. Nach 16 Jahren SPD-Herrschaft und zahlreichen Skandalen von Begünstigung und Vetternwirtschaft will sie den roten Filz in Mainz auskämmen – CDU und SPD liegen am Rhein bereits gleichauf. Da kommt es Beck gelegen, dass er sich im Bund als „Macher“ inszenieren kann.

Seehofer und Böhmer wiederum ist an Kompromissen gelegen, weil es sich die Union nicht leisten kann, die Reform scheitern zu lassen. Das würde die Handlungs-Unfähigkeit der Bundesregierung demonstrieren – immerhin ist es die Schuld Merkels und von der Leyens, dass die Reform überhaupt so spät auf den Tisch kam, im Herbst 2010. Bis Frühsommer hatten Union und FDP ja noch eine Bundesratsmehrheit. Außerdem wäre bei einem endgültigen Scheitern ein rechtliches Chaos programmiert, eine wahre Klageflut an den Verwaltungsgerichten: Jeder einzelne der 4,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger könnte seinen persönlichen Bedarf reklamieren und einklagen, denn die alte Regelung ist ja für verfassungswidrig erklärt worden.  Anton Heinrich


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