24.04.2024

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19.02.11 / Fremde Mutter / Nachlass offenbart Geheimnis

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-11 vom 19. Februar 2011

Fremde Mutter
Nachlass offenbart Geheimnis

„Die ersten Kartons waren voller Bücher. Die Rücken und auch die Titel kamen mir vertraut vor, alte Büchergilde-Ausgaben, … die Ostpreußen-Romane von Christine Brückner. Und schließlich alte Ausgaben des Ostpreußenblattes.“ Ob das überhaupt noch verlegt wird, fragt sich die Romanheldin Maja Sternberg in „Herbstvergessene“ prompt, als sie das Erbe ihrer Großmutter durchsucht, dabei hat sie viel dringendere Fragen zu klären. Eigentlich war sie auf einen Anruf ihrer Mutter hin zu dieser nach Wien gereist. Eigentlich hatten Mutter und Tochter kein gutes Verhältnis, doch der Anruf der Mutter hatte den Eindruck vermittelt, dass es dringend sei. Doch als Maja die Wohnung der Mutter erreicht, ist diese tot. Selbstmord aufgrund einer Krebserkrankung im Endstadium, so die Einschätzung der Polizei. Aber warum sollte die Mutter, obwohl sie weiß, dass sie in wenigen Stunden Besuch von ihrer selbst herbeigerufenen, seit Jahren nicht mehr gesehenen Tochter erhält, vom Balkon springen? Doch Maja findet, nachdem sie sich vom ersten Schock erholt hat, nirgendwo eine logische Erklärung. Sie durchwühlt die Unterlagen ihrer Mutter, die Kartons der verstorbenen Großmutter auf dem Dachboden und findet nur zwei auffällige, ungewöhnliche Dinge: einen Zeitungsartikel aus den 50er Jahren über den spurlos verschwundenen Arzt Dr. Sartorius aus Husum und ein Foto, das Majas Großmutter Charlotte mit einem Baby zeigt mit der Unterschrift „Wir zwei in Hohenhorst im März 1944“. Was die Tochter an dem Foto verwundert, ist der Umstand, dass ihre Mutter Lili erst im Mai 1944 geboren wurde. Nach Recherchen erfährt die Inneneinrichterin dann auch noch, dass Hohenhorst ein Lebensbornheim war. Sofort denkt sie an die angeblichen Zuchtstationen der Nationalsozialisten. Doch die nur oberflächlich geschichtlich gebildete Maja wird schnell eines Besseren belehrt.

 In „Herbstvergessene“ gelingt es der Autorin Anja Jonuleit hervorragend, die spannende Suche einer zuvor nicht an ihren Wurzeln interessierten 41-Jährigen mit einem unerklärlichen Todesfall zu verknüpfen. Majas Berichte werden immer wieder von den Aufzeichnungen der Großmutter unterbrochen, die Maja selber erst gegen Ende des Romans in einem Schließfach findet, so dass der Leser der Hauptfigur immer wissenstechnisch ein wenig voraus ist, was jedoch die Spannung erhöht. Daher weiß der Leser schon sehr früh, dass Majas Großmutter nicht Charlotte, sondern Emmi hieß, aus Königsberg stammte und wegen einer Affäre mit ihrem Schwager unehelich schwanger wurde und im Lebensborn Hohenhorst bei Bremen freundliche Aufnahme, Freunde und eine neue Identität erhielt.

Jonuleit, die selbst ostpreußische Vorfahren hat, unterhält hervorragend. Das vorliegende Buch ist für sie auch ein Stück Aufarbeitung. „Meine Großmutter hatte das Ostpreußenblatt abonniert“, so Jonuleit gegenüber der PAZ. „Irgendwie ist es Teil meiner Kindheit – so wie auch die Themen Flucht und Verlust der Heimat –, obwohl ich die Tragweite erst jetzt, wo ich älter bin, verstehen lerne. Dieses Buch, die ,Herbstvergessenen‘, ist wohl der Versuch einer Aufarbeitung, ansatzweise. An das Thema Flucht habe ich mich nicht gewagt, das geht mir einfach zu nahe.“

Der Leser des Romans will unbedingt wissen, welches Geheimnis Majas Großmutter und Mutter hüteten, wie Majas Mutter starb, ob die nette Nachbarin der Mutter, die Maja selbstlos hilft, wirklich eine gute Seele ist, und was der von Maja kontaktierte Sohn des einst verschwundenen Dr. Sartorius weiß. Das turbulente Friede-Freude-Eierkuchen-Ende erinnert zwar ein wenig an einen oberflächlich-unterhaltsamen ARD- oder ZDF-Spielfilm, aber „Herbstvergessene“ will schließlich nur unterhalten und das tut der Roman auf eine angenehm süffige Weise.   Rebecca Bellano

Anja Jonuleit: „Herbstvergessene“, dtv premium, München 2010, broschiert, 428 Seiten, 13,90 Euro


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