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05.03.11 / Artenschutz: Oft Instrument im Verhinderungskampf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-11 vom 05. März 2011

Gastkommentar:
Artenschutz: Oft Instrument im Verhinderungskampf
von Josef H. Reichholf

Münchens Flughafen benutzten 35 Millionen Fluggäste im Jahr 2010. Längst sind an Europas beliebtestem Flughafen die Grenzen der Kapazität erreicht. Doch die bereits in der Erstplanung vorgesehene dritte Start- und Landebahn blieb ihm versagt, zerstörte die Anlage doch die unwiederbringliche Natur des Erdinger Mooses mit einem der letzten Brutplätze des Großen Brachvogels. Dass die Brachvögel das ganz anders sahen und den Flughafen so sehr bevorzugten, dass nun auf seinem Gelände der größte bayerisches Brutbestand dieser „Rote Liste“-Vogelart lebt, wird wohl das nachträgliche Genehmigungsverfahren nicht beschleunigen und die geforderten Ausgleichskosten nicht verringern.

Der Artenschutz verursacht seit Jahrzehnten Bauverzögerungen und Mehrkosten in Milliardenhöhe. Die Behinderungen kosten Menschenleben, weil gefährliche Bundesstraßen nicht durch Autobahnen ersetzt oder wenigstens ausgebaut werden können. Ein Brutpaar Grünspechte steht dagegen oder ein Platz, an dem sich einmal Fledermäuse niedergelassen haben. Nicht seit Urzeiten sind sie dort, sondern seit es jenes veralterte Bauwerk gibt, das nun durch ein besseres ersetzt werden soll. Bäume reichen bereits aus, den Volkszorn hoch kochen zu lassen, sogar wenn es sich um nicht heimische Platanen handelt, die der Naturschutz, wie alles „fremde“ Getier und jegliches „nicht hierher gehörende“ Gewächs, grundsätzlich ablehnt. Aber was kümmert’s die Aktivisten, wenn die Platanen gerade so nützlich sind im Kampf gegen den Bahnhofsbau.

Allein die Auflagen aus den Ökorichtlinien im Bundesfernstraßenbau verursachen bei den als „vordringlicher Bedarf“ eingestuften Projekten erhöhte Planungskosten von 440 Millionen Euro für die Bauperiode von 2004 bis 2014. Der große Brocken baut sich aber mit 6,3 Milliarden Mehrkosten erst bei den tatsächlichen Baumaßnahmen auf. Manche Folgekosten lassen sich gar nicht mehr kalkulieren, wenn es zu jahrzehntelangen Verzögerungen, endlosen Anhörungen und zahllosen Gerichtsverfahren kam, wie beim Bau des rund 40 Kilometer langen Zwischenstücks der Autobahn A94 von München nach Mühldorf/Passau. Seit über 40 Jahren wird darüber gestritten, hoffnungslos überlastet ist die B12 und zahlreiche Menschenleben hat die Verzögerung gekostet.

Geht es den Wanzen und Fröschen und all den anderen Arten der „Roten Listen“, deren Namen und Aussehen außer Spezialisten in der betreffenden Tier- oder Pflanzengruppe keiner kennt, wirklich so schlecht? Müssen wir all die Kosten und Opfer auf uns nehmen, damit sie überleben? 

Wo viel Geld ausgegeben wird, sollte es sich rentieren. Dieser Grundsatz muss im finanziell schlecht ausgestatteten Artenschutz erst recht gelten. Nachweise seiner Wirksamkeit bekommt die Öffentlichkeit nicht. Weil sie der kritischen Nachprüfung kaum standhalten würden. Sie erfährt hingegen, dass die „Roten Listen“ immer länger werden. Was dem Eingeständnis der Unwirksamkeit gleichkommt. So wurden für Kammmolche, deren örtlicher, durch den Autobahnbau möglicherweise betroffener Gesamtbestand etwa 5000 Tiere umfasste, 50 Millionen Euro ausgegeben. So teuer war die für sie gemachte Röhre durch die A44 in Hessen. Macht 10000 Euro je Kammmolch. Wie viele verbesserte Biotope, passende Tümpel zum Laichen inbegriffen, hätten sich für so viel Geld machen lassen? Und damit der Art wirklich genützt! Ihre Haltung und private Vermehrung sind hingegen strikt verboten.

Arten- und Naturschutz sind allgemeine, überstaatliche Aufgaben. Sie gehen uns alle an, nicht allein die Naturschutzbehörden und die Naturschutzverbände. Uns, die wir die Kosten tragen, muss es zuvörderst an der Wirksamkeit der Maßnahmen gelegen sein. Doch damit sieht es alles andere als gut aus. Der bereits in dreistellige Milliardenbeträge angestiegene Einsatz von Mitteln hat die Gefährdung von frei lebenden Tieren und wild wachsenden Pflanzen keineswegs gemindert. Wo Erfolge zu verzeichnen sind, handelt es sich in aller Regel um vorher stark bejagte oder verfolgte Arten, wie Adler und Falken, Reiher und Fischotter oder die Biber. Der Juchtenkäfer in den Platanen am Stuttgarter Hauptbahnhof ist ebenso wenig ein Fall, der die Bedrohung einer seltenen Art vor Augen führt, wie der bizarre Kampf um die Bäume eine Lösung für ihn. Die allermeisten der Tausende in den „Roten Listen“ geführten Arten sind von Natur aus bei uns selten und sie werden selten bleiben, gleichgültig wie wir sie formal behandeln. Weil sie am Rande ihrer eigentlichen Vorkommen bei uns leben. Oder auch, weil Seltenheit ihre Spezialisten-Natur ist. Die Listen bedürfen dringend einer gründlichen Revision. Hinein gehören nur solche Tiere und Pflanzen, deren Seltenheit auf Tätigkeiten der Menschen beruht, die geändert werden könnten. Wie eben beim Abschuss oder bei der Verfolgung aus fischereilicher, land- und forstwirtschaftlicher Sicht. Baumaßnahmen sind so gut wie nie der Grund für ihre Seltenheit.

Sagen wir es doch in aller Deutlichkeit: Der Artenschutz wird bei den meisten Baumaßnahmen von deren Gegnern instrumentalisiert. Aus eigensüchtigen Gründen sind sie gegen die Baumaßnahme, weil sie als Anlieger Betroffene sind, oder aus ähnlich selbstsüchtigen, wenn Schutzverbände in der Solidarisierung mit Bürgerinitiativen darin die Möglichkeit sehen, dass ihnen neue Mitglieder zuströmen. Um die schutzbedürftigen Arten geht es dann gar nicht mehr wirklich. Sie sind zu Instrumenten im Verhinderungskampf geworden, zu Waffen der anderen, der juristischen Art. Ob die betreffenden Arten etwas davon haben, steht nicht mehr zur Debatte. Dass der von Naturschutzverbänden so heftig bekämpfte Münchner Flughafen nun nicht nur Bayerns größten Brutbestand des großen Brachvogels beherbergt, dessen kleinen Restbestand er angeblich vernichten würde, sondern das landesweit größte Vorkommen von Feldlerchen dazu und zahlreiche weitere Raritäten, all das passt nicht zum naturschützerischen Klischee von Eingriffen in den Naturhaushalt, die ausgeglichen werden müssen. Dass diese Vögel das Dröhnen der Düsenjets nicht stört, stört umso mehr das artenschützerische Denken, das sich an den eigenen Vorurteilen gegen Flughäfen, Autobahnen und dergleichen festgefressen hat. Dabei ist so ein Verhalten der Vögel gar nicht neu, nur anders. Früher lebten in fast allen Dorfkirchtürmen Dohlen, Eulen, Käuze, Fledermäuse und oft auch Tauben. Das ohrenzerreißende Dröhnen der Glocken hielt sie nicht ab, im Turmgestühl zu brüten. Und: Je größer die Stadt, desto mehr Vögel in umso größerer Artenvielfalt leben darin – nicht weniger! Viele Tiere können, wie auch die meisten Pflanzen, sich sehr wohl mit der Menschenwelt arrangieren, wenn wir sie lassen. Dazu sind weder Vorschriften noch Schutzverordnungen, sondern ein vernünftiges Verhalten seitens der Menschen nötig. Und Dynamik. Wo sie fehlt, verarmt die geschützte Natur. Und wir, die Naturfreunde groß und klein, brauchen einen besseren Zugang zu ihr. 

 

Prof. Dr. Josef H. Reichholf lehrte 30 Jahre lang „Naturschutz“ an der Technischen Universität München und war lange Zeit in den Präsidien führender Naturschutzorganisationen tätig. Seine Bücher: „Naturschutz – Krise und Zukunft“, „Ende der Artenvielfalt? Gefährdung und Vernichtung von Biodiversität“ und „Die Zukunft der Arten“. Er ist Träger der „Treviranus-Medaille“, der höchsten Auszeichnung des Verbands Deutscher Biologen und Biowissenschaftlicher Gesellschaften.


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