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05.03.11 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-11 vom 05. März 2011

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,           
liebe Familienfreunde,

Veilchen blühen gewöhnlich im Verborgenen, aber die vom Litauer Wall haben es vermocht, dass mein 95. Geburtstag doch eben nicht verborgen blieb, wie ich gedacht hatte – nicht, dass ich ihn verschweigen wollte, im Gegenteil, ich bin dankbar, dass ich dieses hohe Alter erreichen durfte und dass der Kopf noch immer „kein Sieb’che“ ist. Aber ich hatte ja schon angedeutet, dass im Dezember eine akute Einweisung in die Klinik notwendig gewesen war, und der folgte dann zu Beginn dieses Jahres eine zweite, zum Glück etwas kürzere – jedenfalls habe ich mich bemüht, meine Kolumne ohne Unterbrechung weiter zu führen, denn das ist notwendig. Es kommen vor allem durch neue Leser viele Zuschriften mit Fragen und Wünschen, die eine sorgfältige Bearbeitung verlangen, weil sie 60 oder mehr Jahre ungestellt blieben und somit keine weitere Verzögerung dulden. Und unsere alte treue Leserschaft ist ja schon längst ein Teil unserer Ostpreußischen Familie geworden, dass sie in jeder Wochenausgabe angesprochen werden will – zum mitdenken, mithelfen, mitleiden, aber vor allem zum mitfreuen.

Das kommt auch in den vielen Glückwünschen zum Ausdruck, die ich erhalten habe und für die ich mich zuerst einmal ganz herzlich bedanken muss. Am liebsten möchte ich sie alle hier erwähnen, aber das geht leider nicht, aber ich werde mit Sicherheit diesen oder jenen Satz oder Spruch, auch manchen Vers aus einem selbstverfassten Gedicht, herausgreifen und in unsere Kolumne einfügen. Das will ich schon heute mit einem Glückwunsch tun, über den ich mich besonders gefreut habe, weil er von einem „Wahlostpreußen“ kommt, der unsere Heimat von ganzem Herzen lieben gelernt hat. Manfred Stahl aus Berlin, besser bekannt als „Wurstmaxe vom Anhalter Bahnhof“, schreibt: „95! Welch eine große Zahl in einem Menschenleben. Was hinter dieser Zahl steckt, kann man erst ermessen, wenn man die schöpferische Arbeit, die man geleistet hat, unter die Lupe nimmt und feststellt, dass sie immer noch vollbracht wird. Welch eine Kraft steckt dahinter, trotz einiger Zipperlein anderen Menschen große Freude und Glück, unter anderem in der PAZ mit der Kolumne ,Die Ostpreußische Familie‘, bereiten zu können. Großartig. Alles Liebe und viel Gesundheit, dass Sie das noch lange tun können!“

Eine ganz große Freude hat mir unser Landsmann Günther Lotzkat bereitet, denn als Geburtstagsgabe übersandte er mir das erste Exemplar des soeben als Reprint im Husum Verlag erschienenen Buches „In der Morgensonne“ von Frieda Jung. Mit diesen Erinnerungen der ostpreußischen Dichterin an ihre Kindheit in Kiaulkehmen bin ich aufgewachsen, sie belebten unsere Schullesebücher, und dass „In der Morgensonne“ auch eines der am meisten gelesenen und geliebten Bücher im heimischen Bücherschrank war, bewies schon der etwas mitgenommene Einband. Auch nach der Vertreibung brauchte ich es nicht zu entbehren, denn der Großneffe der Dichterin übersandte mir eine Kopie der 1910 erschienenen Ausgabe, so dass ich in unseren „Büchern der Ostpreußischen Familie“ stets ein Kapital bringen konnte. Immer wieder wurde von unseren Lesern nach dem Buch gefragt, aber trotz hoher Auflage – bereits 1929 waren 33000 erreicht! – war es nur selten antiquarisch zu bekommen. Das brachte unseren Landsmann Erich Lotzkat, dessen Großmutter eine Kusine der Dichterin war, auf den Gedanken, eine von ihm bearbeitete Neuauflage zu veranlassen, die nun im Husum Verlag erschienen ist. Der helle Einband mit einer ostpreußischen Landschaft von Alexander Kolde, die grafische Gestaltung mit den Originalzeichnungen und dem Porträt der Dichterin geben diesen in einer ursprünglichen Natur spielenden Erzählungen, die zu den schönsten der ostpreußischen Literatur gehören, einen neuen Rahmen, der auch jüngere Leser veranlassen wird, nach dieser Neuauflage zu greifen.

In dem Vorwort des Buches hat Günther Lotzkat auch dem Urgroßneffen der Dichterin, Eberhard Jung, seinen Dank für dessen Mithilfe ausgesprochen – und fast mit gleicher Post erhielt ich von diesem einen Brief, in dem er mitteilte, was sich auf seiner Suche nach Erinnerungen an Frieda Jung getan hat. Dazu muss ich Folgendes erklären. Nicht nur Günther Lotzkat, sondern auch ich bin mütterlicherseits mit Frieda Jung verwandt, wenn auch sehr entfernt, da reicht selbst „das siebente Wasser vom Kissehl“ – wie man bei uns eine weitläufige Verwandtschaft bezeichnet – nicht mehr. (Ich behaupte ja immer, wenn zwei Ostpreußen sich treffen, die sich noch nie gesehen haben, kommen sie nach fünf Minuten bereits auf zwei gemeinsame Bekannte, nach einer halben Stunde sind es dann schon ein Dutzend und nach einer Stunde stellen sie fest, dass sie auch verwandt sind – dank unserer kinderreichen Vorfahren). Allerdings verbindet mich mit Eberhard auch noch das gemeinsame Jung-Erbe: Wir gehören beide zur schreibenden Zunft! So stehen wir laufend in Verbindung. Vor einem halben Jahr konnte er mir mitteilen, dass seine in unserer Kolumne erfolgte Suche nach Zeitzeugen von Frieda Jung doch recht erfolgreich verlaufen war. Eine Leserin habe ihm mitgeteilt, dass ihre Freundin die Tochter jener Hebamme sei, der Frieda Jung anlässlich ihrer Entbindung ein Buch mit Widmung geschenkt habe. Also setzte sich Eberhard Jung mit der genannten Freundin seiner Informantin in Verbindung, aber es ergaben sich Schwierigkeiten, die Zeitangaben differierten erheblich, es bleiben lediglich der Hinweis der in Hannover lebenden Frau, dass ihre Mutter etwa 1925/26 in der Landesfrauenklinik Insterburg Frieda Jung betreut habe und dass sie noch zwei Bücher der Dichterin besitze. Sie müsste sich aber noch überlegen, ob sie sich von diesen trennen könnte. Leider überlegte sie zu lange, denn sie kam kurz darauf in ein Pflegeheim, ihre Wohnung wurde aufgelöst. „Wir hatten den Wettlauf mit der Zeit verloren“, bedauert Eberhard Jung, der hofft, dass die für ihn so wertvoll gewesenen Bücher nicht in der Müllverbrennung gelandet sind. Für Eberhard Jung aber bleibt immerhin ein interessanter Briefwechsel mit der Informantin, Frau Irene Werner geborene Steinbacher, die aus Bilderweiten, Kreis Ebenrode stammt und die auf mindestens einen Besuch der Dichterin in der Gastwirtschaft ihres Vaters verweisen kann. Und auch die Hoffnung, dass sich noch andere Leserinnen und Leser melden, die in irgendeiner Beziehung zu Frieda Jung standen, vielleicht noch Briefe, Fotos, Widmungen oder andere persönliche Erinnerungen an die Dichterin haben, sich bei ihm zu melden. (Eberhard Jung, Deutschherrenstraße 131 in 53179 Bonn, Telefon 0228/330901.)

Bei der Nennung der ostpreußischen Ortsnamen werden manche Leser wieder moniert haben: Damals hieß doch der Ort Bilderweitschen und lag im Kreis Stallupönen. Und damit sind wir wieder bei unserem leidigen Dauerthema.

Immer wieder gibt es Irrtümer durch die 1938 geänderten Ortsnamen, das bekam auch Frau Inge-Lore Gratias aus Halle zu spüren. Auf ihr Schreiben an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, ihren aus dem Kreis Wehlau stammenden Onkel Bruno Fischer betreffend, erhielt sie statt Angaben über dessen Geburtsort Ellerlack eine Auskunft über den im Kreis Ebenrode/Stallupönen gelegenen Ort Ellerbach. Nun hieß Ellerlack früher auch kaum anders, nämlich Ellerlacken, war ein Vorwerk und gehörte zur Gemeinde Uderhöhe, und dieses Dorf wiederum trug bis zur Umbenennung den angestammten Ortsnamen Augstupönen. Dass irrtümlich genannte Ellerbach ist das frühere Grigalischken. Damit konnte ich die Fragen von Frau Gratias klären. Es stimmt schon, wenn bezüglich dieses Themas Frau Maria Riechert aus Hamburg fragt: „Warum hat man bloß damals unsere einzigartigen ostpreußischen Namen umbenannt? Ich ärgere mich jedes Mal beim Lesen der Ortsangaben, wenn nur der geänderte Name angegeben ist. Um auf das in Folge 2 angegebene Beispiel zu kommen: Wie schön hörte sich statt ,Jägersfreude‘ der alte Name ,Sodinehlen‘ an. Gegen die eingedeutschten Namen klingen die alten doch wie Musik.“ Für mich auch, liebe Frau Riechert, und deshalb bemühe ich mich immer, bei betreffenden Ortsangaben beide Namen zu nennen.

Frau Gratias hat aber noch ein anderes Problem. Seit dem vorigen Jahr bewahrt sie aus dem Nachlass der Königsbergerin Ilse Gehlhaar Bücher und Fotos. Für die alten Aufnahmen aus Neuhausen interessierten sich schon zwei Familien. Nun hat Frau Gratias eine Frage an die ehemaligen Mitschüler und Mitschülerinnen der 1927 geborenen Ilse Gehlhaar. Leider – und darin liegt die Schwierigkeit – weiß sie nicht, um welche Königsberger Schule es sich handelt, auch sonst sind die Angaben sehr knapp. Die Verstorbene hatte aber an mehreren Schultreffen teilgenommen und war glücklich gewesen, einigen Ehemaligen zu begegnen. Von diesen erhofft Frau Gratias nun Auskunft über Frau Gehlhaars Bruder Hans-Georg Gehlhaar und dessen Familie zu erhalten. Über einen betreffenden Anruf würde sie sich freuen. Ihre Telefonnummer lautet (0345) 4445063.

Um alte Fotos geht es auch bei der nächsten Frage, die Frau Käte Mosinski aus Halle an unsere Ostpreußische Familie richtet. Angeregt durch die guten Ergebnisse, die unsere Kolumne zu verzeichnen hat, schreibt sie: „Ich bin im Mai 1945 in Königsberg in die Zivilgefangenschaft geraten. Im April verstarb in Rauschen Frau Grigo aus Lyck, die dort in der Hindenburgstraße 16 gewohnt hatte. Ich bin noch immer im Besitz von einigen Familienbildern aus ihrem Nachlass. Immer wieder habe ich versucht, die Anschrift des jüngsten Sohnes von Frau Grigo und ihrer Schwiegertochter zu ermitteln, die in Berlin gewohnt haben.“ Frau Mosinski hat sich immer wieder bemüht, diese oder eine nachfolgende Adresse zu erhalten, aber auch ihre Nachfragen auf den Heimattreffen in Leipzig und Hagen, an denen sie teilnahm, blieben ergebnislos. Die 89-Jährige, der das Schreiben schon sehr schwer fällt, möchte aber auf jeden Fall diese Fotos, die für die Nachkommen von Frau Grigo sicherlich sehr wertvoll sind, in die richtigen Hände geben. Nach dem Krieg konnte Frau Mosinski nicht auf die Suche gehen, denn sie wurde erst im Mai 1951 aus der Gefangenschaft entlassen. Es ist spät, aber nicht zu spät, und uns bleibt doch noch ein Funken Hoffnung, dass die Fotos der Familie Grigo aus Lyck jetzt über unsere Ostpreußische Familie ihre Empfänger finden. Wir haben gerne Ihren Wunsch vermittelt, liebe Frau Grigo, und müssen nun abwarten, (Käte Mosinski, Adam-Kuckhoff-Straße 6 in 06108 Halle/S., Telefon 0345/1222581.)

Und jetzt komme ich noch einmal zurück zu den „Veilchen vom Litauerwall“, der Geschichte aus meiner Kindheit in Königsberg, die auch bei anderen Lesern und Leserinnen ähnliche Erinnerungen geweckt hat, und eine fügt sich sogar nahtlos in Raum und Zeit ein. Denn Frau Edith Neumann aus Garmisch-Partenkirchen wohnte nicht nur am Litauer Wall, sondern landete beim Spiel genau wie ich auf den Schienen der Kleinbahn. Ich lasse sie erzählen: „Vom fünften Lebensjahr 1922 bis zur Flucht 1945 lebte ich mit meinen Eltern am Litauer Wall zwischen Königstor und Sackheimer Tor. Als Kinder tobten wir auf dem Wall vor den Kleinbahnschienen herum. Die Jungen liefen den Abhang hinunter und bogen, kurz vor der steil abfallenden Mauer, links ab. Ich wilde Hummel lief einfach geradeaus und landete mit dem Rücken auf dem Schienenstrang. Natürlich wurde nichts erzählt, und so wunderte sich Mutter beim Baden über die lilablaugelben Blutergüsse auf meinem Rücken. Obwohl es kein Stacheldraht war wie bei Ihnen, musste ich zum Orthopäden, weil ich nach dem Unfall beim Gehen die rechte Schulter vorschob. Ich wurde in einen Schraubstock gespannt und Hals und Kopf in eine Lederhalterung geschnallt und am Galgen hochgezogen bis auf die Zehenspitzen, um die Wirbelsäule gerade zu strecken. Eine Tortur wie im Mittelalter, um eine gerade Körperhaltung zu erreichen. Sport und Tanzen haben mit der Zeit dann doch geholfen. Mit den Seidenstrümpfen war das Betteln ähnlich. Erst mit 13/14 Jahren durfte ich sie am Sonntag anziehen!“ Na, da bin ich ja mit meinen Stacheldrahtwunden noch glimpflich davon gekommen, wohl dank der Jod-Tinktur und -Tortur meines Bruders.

Eure Ruth Geede


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