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05.03.11 / Handicap ist kein Hindernis / Eine Erfolgsgeschichte: Das Stadthaushotel in Hamburg hat schon Nachahmer gefunden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-11 vom 05. März 2011

Handicap ist kein Hindernis
Eine Erfolgsgeschichte: Das Stadthaushotel in Hamburg hat schon Nachahmer gefunden

„Anders, aber gut“, steht im Prospekt, mit dem das Stadthaushotel Hamburg für sich wirbt. Und in der Tat ist manches anders als in anderen Gästehäusern: Neun der zwölf Mitarbeiter haben geistige und körperliche Behinderungen.

Die Türglocke läutet. Der junge Mann nestelt nervös an seiner Krawatte, bevor er etwas unbeholfen öffnet. Mit einem schwer verständlichen Nuscheln werden die Gäste freundlich hereingebeten. Manche sind irritiert, wenn Nikolaus Gerlach sie in Empfang nimmt. Kaum jemand erwartet schließlich, in einem Hotel auf einen behinderten Mitarbeiter zu treffen.

„Wir bringen Menschen mit und ohne Handicap zusammen“, sagt Kai Wiese, der Vorstandsvorsitzende vom Verein Jugend hilft Jugend e.V., der das Stadthaushotel betreibt. Als ein kleines und sehr persönliches Hotel bietet das Stadthaushotel sieben rollstuhlgerechte und sechs weitere modern eingerichtete Zimmer: vier Einzelzimmer, acht Doppelzimmer sowie ein Mehrbettzimmer für Familien – jedes ist mit Dusche und WC, Telefon und Fernseher ausgestattet. Dem Konzept entsprechend ist das Hotel behindertengerecht ausgestattet.

Die Idee hierzu hatten 1987 die Eltern acht behinderter Kinder, die sich in der Initiative „Werkstadthaus e.V.“ zusammenschlossen, um den Heranwachsenden, die gemeinsam die Schule besuchten, auch als erwachsene Menschen eine dauerhafte und tragfähige Verbindung von Arbeit und Wohnen zu ermöglichen. 1993 konnte das Stadthaushotel  endlich eröffnet werdem. Die heutigen Mitarbeiter wurden zwei Jahre lang in einer Berufsschule ganztägig unterrichtet; heute werden sie bei ihrer Tätigkeit von zwei Hotelfachkräften begleitet und unterstützt.

„Wir studieren klare Arbeitsabläufe mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein“, erklärt Wiese. „Die Arbeitsabläufe werden auch genau auf ihre Fähigkeiten abgestimmt.“ Durch das Projekt werden Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Handicap im Dienstleistungssektor geschaffen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Anstellung finden. Weiterhin dient es der Eröffnung beruflicher und persönlicher Perspektiven und der Förderung der Integration. In der Fachdiskussion spricht man allerdings nicht von Integration, sondern von Inklusion. „Wer integriert wird, war draußen“, verdeutlicht Wiese, „Inklusion steht für eine Begegnung auf der gleichen Ebene.“

Ohnehin bekommt man hier schnell das Gefühl, dass eher die Leute ohne Behinderung Integration nötig haben. Nicht wenige sind unsicher, wie sie Menschen mit Behinderung begegnen sollen. Um 9 Uhr ist Dienstbeginn. Unter den wachsamen Augen von Hotel-Leiter Christian Wagner machen sich die behinderten Mitarbeiter daran, die Zimmer herzurichten. Clemens Paschen hat an diesem Tag „Schmutz- und Putzdienst“, wie er es formuliert. Das Wichtigste dabei ist seine Liste. Sie ist so etwas wie das Gedächtnis, das ihm manchmal fehlt. „Ich bin sehr vergesslich“, sagt er. Auf der Liste hakt er ab, was er erledigt hat, und liest nach, was als Nächstes ansteht. „Wenn dreckige Handtücher da sind, dann raus und neue rein“ steht da beispielsweise, oder „Müll raus, neue Müllbeutel“, oder „WC-Papier da?“ Das Wichtigste, meint er, sei ein zufriedener Gast. „Das Waschbecken“, sagt er, „wird zunächst von den Sachen der Gäste befreit, die lege ich in ihrer Reihenfolge zur Orientierung auf die Seite, damit ich sie später wieder genauso zurücklegen kann. Aber vorher müssen alle Flecken beseitigt werden, damit der Gast bei seiner Rückkehr einen sauberen und positiven Eindruck erhält.“ Viereinhalb Stunden dauert eine Schicht, vom Tarifgehalt kann er leben und Steuern zahlen.

Vier der Mitarbeiter wohnen im Altbau über dem Hotel in einer Wohngemeinschaft. Hier werden auch Annalena und Britta, zwei junge schwerstmehrfachbehinderte Frauen, die ständig und umfassend auf Hilfe angewiesen sind, betreut. Laut Wiese gibt es bundesweit inzwischen schon 15 vergleichbare Gästehäuser.

„Es ist eine Erfolgsgeschichte“, sagt er. Und der Vorstandssitzende hat eine Vision: Er wünscht sich, dass Behinderungen für alle eine Spur selbstverständlicher werden. Das nächste große Projekt ist ein Stadthaushotel in der Hafencity, das Fundament ist schon da, 2013 soll es eröffnet werden – mit 60 Arbeitsplätzen, 40 davon für Menschen mit Handicap. Wiese nennt das Vorhaben „einen sozialen Leuchtturm“. Und natürlich hat er dazu auch noch einen nachdrücklichen Satz parat: „Der soll nicht nur strahlen, damit keiner untergeht, sondern er soll auch andere Schiffe anlocken.“ Corinna Weinert

Mehr über das Stadthaushotel Altona, Holstenstraße 118, Hamburg,  unter www.stadthaushotel.com


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