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12.03.11 / Neo-osmanische Ambitionen / Ob EU, Kaukasus, Nahost oder Balkan: Die Türkei weitet ihren Einfluss stetig aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-11 vom 12. März 2011

Neo-osmanische Ambitionen
Ob EU, Kaukasus, Nahost oder Balkan: Die Türkei weitet ihren Einfluss stetig aus

Erdogan ante portas – und von Berlin bis Nordrhein-Westfalen ärgerte man sich, dass der türkische Ministerpräsident bei seinem Besuch in Düsseldorf die in Deutschland lebenden Türken mit „meine Staatsbürger, meine Leute“ anredete. Seine Absage an eine echte Integration seiner Landsleute in Deutschland passt zu türkischer Abwendung von Europa. Gegen einen EU-Beitritt sind gegenwärtig 62 Prozent der Türken, 2004 waren 75 Prozent dafür. Dafür, dass die Regierung Erdogan offiziell den Beitritt noch immer verfolgt, erpresst sie die Europäische Union, die die Türkei enger an sich binden will: Ende Januar hatte die EU mit der Türkei ein Abkommen zur Rück-nahme illegaler Immigranten ausgehandelt, das diese nur anwenden will, wenn die EU die Visumspflicht für Türken aufhebt.

So etwas empfindet mancher als neo-osmanische Dreistigkeit, doch ist es Reflex einer neuen Außenpolitik, die Ahmet Davutoglu, seit 2003 Erdogans Chefberater und seit Mai 2009 Außenminister, zielstrebig betreibt. Dieser charismatische Politiker hat der Türkei ein Konzept von beeindruckender Schlüssigkeit verordnet: Sie soll „in Europa europäisch und im Orient orientalisch sein, denn sie ist beides“. Als Türkei kann sie bei Turkvölkern aktiv werden, als islamischer Staat in der islamischen Welt und als Erbin des Osmanischen Imperiums in dessen einstigen Balkanprovinzen.

Der Erfolg dieses Konzepts verblüfft. Mit Russland hat die Türkei keine politischen Probleme, pflegt einen profitablen Außenhandel und projektiert gemeinsame Öl- und Gas-pipelines. Die rohstoffreiche Ex-Sowjetrepublik Aserbaidschan ist längst der „kleine Bruder“ der Türkei. Selbst Armenien, den Türken wegen ihres Genozids 1915/16 noch immer spinnefeind, erkennt türkische Bemühungen um Entspannung an, die zu einem „kaukasischen Pakt für Stabilität und Zusammenarbeit“ führen könnten.

Bei den Arabern hat die Türkei traditionell ein verheerendes Image. Das hat die Türkei bislang als Neid interpretiert, weil arabische Despotien den türkischen Weg zu einer laizistischen Demokratie nicht nachgehen könnten. Nur die Türkei konnte Kontakte zu Iran, Syrien, Jordanien pflegen, ohne als islamisches „Leichtgewicht“ fundamentalistisch vereinnahmt zu werden. Jetzt wanken die Des-poten, was den „Wert“ der Türkei erhöht – als Vermittler oder in anderen Rollen, die ihr niemand zugetraut hätte – stets die eigene Islaminterpretation im Gepäck.

Der Balkan ist für die Türkei ein Heimspiel. Von 1393 (Bulgarien) bis 1912 (Makedonien) waren die Osmanen dort präsent, aber mit Beifall wurde bedacht, was Minister Davutoglu 2010 in Sarajewo sagte: „In der Türkei leben mehr Bosnier als in Bosnien und mehr Albaner als in Albanien. Wir wollen eine neue Balkanregion, basierend auf gemeinsamen Werten, ökonomischer Kooperation und kultureller Harmonie. So war der ottomanische Balkan, den wir erneuern wollen.“ Von dieser Vision will selbst die EU profitieren, die ihren Hohen Bosnien-Repräsentanten nach Ankara schickte, um sich türkische Hilfe für das zerrissene, zerstrittene Bosnien zu sichern.

Der Berliner Politologe Dusan Reljic hat das neue türkisch-balkanische Verhältnis „Bündnis der Abgelehnten“ genannt – alle sind von der EU abgelehnt und proben nun den Schulterschluss. Nach wie vor kommen 80 Prozent der Hilfen und Investitionen von der EU, aber türkische Aktivitäten sind rascher, gezielter. Die Türkei investiert in „strategische Sektoren“ – Telecom, Flughäfen, Banken –, sie bevorzugt religiöse und kulturelle „Verwandte“ (Bosnien, Albanien, Kosovo), und wenn sie denen Länder wie Rumänien und Serbien vorzieht, dann mit klaren Worten: Eine Wirtschaftsruine wie das Kosovo bekommt verbalen Kredit, aber keinen monetären. Anders Makedonien, Heimat von Staatsgründer Kemal Atatürk, das großzügig unterstützt wird, ökonomisch und vor allem politisch: Makedoniens EU- und Nato-Karriere wird von Griechenland blockiert, wogegen die Türkei opponiert.

Aber auch türkische Bäume wachsen nicht in den Himmel, zumal das Land grotesk überschätzt wird: Angeblich 17. Platz in der Weltwirtschaft, zwölf Prozent Wachstum 2010, 2023 (zum 100. Staatsgeburtstag) sogar als führende Macht in Europa gepriesen. Tatsächlich ist das Land hoch verschuldet, im Außenhandel hochdefizitär, mit zu vielen Arbeitslosen und Analphabeten belastet und unfähig zu echten Reformen in Verfassung und Wirtschaft. W. Oschlies


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