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19.03.11 / Das Vergangene lebendig gehalten / Fast eine Entdeckung: Die Heimatbücher der deutschen Vertriebenen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-11 vom 19. März 2011

Das Vergangene lebendig gehalten
Fast eine Entdeckung: Die Heimatbücher der deutschen Vertriebenen

Ältere Leser werden sich erinnern, dass sie schon in den ersten Schuljahren im Fach „Heimatkunde“ unterrichtet wurden. Das waren Informationen über die allernächste Umgebung, die man größtenteils kannte, und die nun durch hinzugelernten Stoff noch vertrauter werden sollte. Heute gibt es dieses Fach nicht mehr; im Zuge der zahllosen Schulreformen ist es schon in den 1970er Jahren untergegangen.

Ähnlich scheint es dem „Heimatbuch“ zu gehen, das heute, wie schon der Titel von Jutta Faehndrichs Veröffentlichung „Eine endliche Geschichte – Die Heimatbücher der deutschen Vertriebenen“ sagt, in der Tat eine „endliche Geschichte“ ist. Dabei waren und sind Heimatbücher ein Kulturgut allerersten Ranges, das lange aus Wissen und Bildung gar nicht wegzudenken war.

Es ist das Verdienst der Autorin, mit dieser material- und informationsreichen Analyse, mit der sie an der Universität Erfurt promoviert wurde, so etwas wie eine Ehrenrettung der Heimatbücher erreicht zu haben.

Heimatbücher haben eine große Tradition. Ihre Vorläufer, sogenannte Bezirks- und Heimaturkunden, wurzeln im frühen 19. Jahrhundert und kommen aus der Pädagogik von Pestalozzi; Ziel war es, Kindern und Erwachsenen einen, wie Faehndrich sagt, „Wissenszugang über Nahraumerfahrung“ zu ermöglichen. Heimatbücher selbst entstanden ab dem Jahr 1900, und zwar aus dem Bedürfnis heraus, das, was einem an unmittelbarer Heimat lieb und teuer war – oft nur ein Städtchen oder Dorf –, für die Nachkommen festzuhalten. Es waren keine wissenschaftliche Abhandlungen; oft waren es Lehrer, Pfarrer oder andere Gebildete, die allein oder im Kollektiv (übrigens fast immer ohne Frauen) solche Heimatbücher schrieben und in einer Art Selbstverlag veröffentlichten. Die Weimarer Republik war die Hoch-Zeit der Heimatbücher, dann auch die ersten Jahre der Bundesrepublik.

Es war naheliegend, dass das Heimatbuch nach 1945 für die deutschen Vertriebenen ein willkommenes Medium war, sich der verlorenen Heimat zu vergewissern. Es wurde, so die Autorin, zum „Ausdrucksmittel einer Kultur des Erinnerns an Verlorenes“.  Es wurde zur Heimat im Buch, und Voraussetzung war immer, dass die Autoren aus eigenem Erleben schrieben. Heute, da diese Generation meist nicht mehr lebt, kann es zumindest bei den Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten kein Heimatbuch im eigentlichen Sinne mehr geben. Anders bei den Deutschen aus Südosteuropa, die erst in den 80er und 90er Jahren nach Deutschland ausreisen konnten; hier steht das Heimatbuch noch in Blüte.

An Regionen nennt Faehndrich die ehemaligen deutschen Ostgebiete, Deutsche aus Polen und der Tschechoslowakei, Ungarndeutsche, die Donauschwaben, die Zirps (Slowakei), Deutsch aus Siebenbürgen, aus Bessarabien und aus der ukrainischen und rumänischen Bukowina. Nach ihren Angaben gibt es derzeit rund 750 Heimatbücher deutscher Vertriebener. In akribischer Arbeit hat sie rund 300 davon erfasst. Die meisten kommen aus dem Sudetenland, aus Schlesien, aus Süd- und Südosteuropa.

Zu Ostpreußen führt Faehndrich etwa 15 Titel auf, unter anderem ein Buch zu Allenstein von 1968, zu Goldap (1965 von Johannes Mignat), zu Großbudertal (2002, Hans Schlender), zu Lenzen (1970, Georg Wiehmann; dieser Autor auch zu Succase 1968), zu Preußisch-Holland (1978, Martin Büttnes) und zum Samland (1966, Paul Gusovius).

Hauptthemen aller Heimatbücher sind die jeweilige Geschichte, Natur und Umwelt, Soziales und Dokumentationen zum alltäglichen Leben (Feuerwehr, Schulen, Kirche). Unweigerlich werden bei dieser Schwerpunktsetzung die Heimatbücher auch zum Politikum, zumal sie fast immer mit Förderung von Landsmannschaften oder mit Zuschüssen des Bundes der Vertriebenen verfasst wurden. Wie kaum anders zu erwarten, konstatiert die Autorin für die unmittelbare Nachkriegszeit ein starres Festhalten auf ein Recht auf Heimat, sprich auf Rückkehr, verbunden mit der Verdrängung eigener Schuld und Attacken auf die – damals kommunistisch regierten – Staaten im Osten. Eine Entkrampfung trat ein, als viele Vertriebene wieder in die Heimat fuhren und gewissermaßen noch einmal – und diesmal in Ruhe und in Freundschaft mit den neuen Bewohnern – Abschied nehmen konnten. 

Für die Vertriebenenverbände, ganz generell für Bibliotheken und Museen, erscheint es nach der Lektüre dieses Buches einmal mehr als wichtige Aufgabe, Heimatbücher zu sammeln und zu pflegen. Andernfalls droht viel Wissen verloren zu gehen. Denn ein Ende dieser aus persönlichem Erleben geschriebenen Literatur ist allein aus demographischen Gründen absehbar: „Die Geschichte des Vertriebenenheimatbuchs ist ganz ohne Zweifel eine endliche Geschichte.“ Dirk Klose                                                                                                                

Jutta Faehndrich: „Eine endliche Geschichte – Die Heimatbücher der deutschen Vertriebenen“, Böhlau Verlag, Köln 2011, 336 Seiten, 44,90 Euro


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