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26.03.11 / Intellektuelle Nebenehe / W. v. Humboldt an Charlotte D.

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-11 vom 26. März 2011

Intellektuelle Nebenehe
W. v. Humboldt an Charlotte D.

Hätte es sich nur um eine flüchtige Bekanntschaft gehandelt, so wären 26 Jahre ausreichend Zeit gewesen, diese zu vergessen. Wilhelm von Humboldt jedoch erinnerte sich sofort wieder an Charlotte Diede. Im Oktober 1814 erreichte den königlich-preußischen Minister der Brief einer „Person, in die ich 1788 sehr verliebt war“, wie er gegenüber seiner Frau Caroline freimütig bekannte. In jenem Jahr hatte Humboldt die Predigertochter Charlotte in Pyrmont kennengelernt. Das Erinnerungsvermögen des vielbeschäftigten Staatsmannes und Wissenschaftlers verdient umso größere Bewunderung, wenn man sich vor Augen hält, dass die Begegnung nur drei Tage umfasst hatte und es später keinerlei Kontakt mehr gab.

Ein Beweggrund für Charlotte, sich der Jugendliebe zu dem inzwischen prominenten Humboldt zu erinnern, war auch materielle Not, hatte sie doch, nach einer –allerdings auf ihre Initiative hin – geschiedenen Ehe und weiteren glücklosen Beziehungen, im Zuge der napoleonischen Kriege auch ihr Vermögen verloren. Ihr Anerbieten, in Humboldts Haushalt einzutreten, lehnte dieser höflich ab, half ihr aber diskret über die finanziellen Engpässe hinweg.

Erfolgreich eingetreten war sie hingegen in sein Leben – und sie blieb es bis zu Humboldts Tod 1835. Zwar trafen beide bis dahin nur zweimal zusammen und auch das nur kurz. Dafür entwickelte sich ein intensiver Briefwechsel.

Inge Brose-Müller hat es unternommen, auf der Grundlage dieser Schreiben die „Freundschaft in Briefen“ vor dem Hintergrund der Ideenwelt des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts darzustellen. Es war nicht nur Humboldt, der Charlotte vor allem an seinen philosophisch-anthropologischen Überlegungen Anteil haben ließ. Seine Jugendliebe wusste ihm intellektuell sehr wohl Paroli zu bieten. Ob man das Ganze lediglich als „Freundschaft“ bezeichnen kann, sei dahingestellt – große Zuneigung von beiden Seiten kam jedenfalls sehr klar zum Ausdruck. Humboldt machte auch aus seinem erzieherischen Impetus, der stets auf die Vervollkommnung der Seele aus war, kein Geheimnis. Ihre Beziehung dürfte seinem Ideal von männlichem und weiblichem Prinzip, welches sich gerade aufgrund seiner Verschiedenheit gegenseitig ergänzt, wohl sehr nahe gekommen sein. Großen Wert legte er darauf, seine unmittelbare häusliche Sphäre und seine Ehe von dem „Briefverhältnis“ mit Charlotte Diede strikt zu trennen.

Bedauerlich ist, dass nur Humboldts Schreiben überliefert sind und die Äußerungen Charlottes daraus rekonstruiert werden müssen. Will man die rund 200 Dokumente in einer fundierten, allerdings älteren Bearbeitung lesen, so greife man zu der von Albert Leitzmann 1910 besorgten Ausgabe „Wilhelm von Humboldts Briefe an eine Freundin“. Kürzer und kurzweiliger und natürlich auch mit vielen Briefpassagen versehen ist die Geschichte bei Inge Brose-Müller erzählt. Allerdings muss man hier auch den erhobenen Zeigefinger der ehemaligen Deutschlehrerin ertragen, deren Suche nach Humboldt-Goethe-Parallelen mitunter etwas bemüht wirkt.     Erik Lommatzsch

Inge Brose-Müller: „Humboldt und Charlotte – Eine Freundschaft in Briefen“, wjs verlag, Berlin 2010, 251 Seiten, 19,95 Euro


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