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26.03.11 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-11 vom 26. März 2011

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Rührende Verrenkungen / Warum Opportunismus so anstrengend ist, wie Merkel das Wort »Enthaltung« neu erfand, und wie man heute zu höchsten Ehren kommt

Das Volk ist ein wechselhaftes Wesen. Es kann ein netter Kerl sein, ja ein richtiger Freund. Wenn sich der „nette Kerl“ aber in den Kopf gesetzt hat, jemanden nicht zu mögen, dann verwandelt er sich in einen schäumenden Richter, der wütend verurteilt, ohne sich groß darum zu kümmern, ob sein Urteil auch gerecht ist.

Eine jener Existenzformen, die wir im Volk ganz besonders gering schätzen, ist der Opportunist. Ihm heften wir eine ganze Latte negativer Eigenschaften ans Revers: Er sei faul und feige und hinterhältig obendrein. Faul, weil er sich treiben lasse, statt selber was anzuschieben. Feige, weil er immer mit den Stärkeren sein will, was in der Demokratie bedeutet: mit der Mehrheit. Und hinterhältig soll er sein, weil er für sein schrammenloses Durchkommen jeden und alles verrät.

Ein hartes Urteil. Ist es denn wenigstens gerecht? Mitnichten: Wir machen uns doch gar keine Vorstellung davon, welche Fährnisse und Herausforderungen das Opportunistenleben mit sich bringt. Der konsequente Verzicht auf einen Standpunkt zwingt zu ständigem Balancieren mit der Gefahr schmerzhafter Abstürze. Wie leicht man ausrutschen kann, zeigen uns die Führer aller demokratischen Parteien im Reichstag.

In den Tagen vor der Sitzung des UN-Sicherheitsrats zu Libyen hatten Angela Merkel und Guido Westerwelle ihre feuchten Finger  in die Luft gestreckt, um die politische Windrichtung in der Frage eines Militäreinsatzes gegen Gaddafi zu erfühlen. Danach fällten sie „ihre“ Entscheidung. Doch  irgendetwas muss dabei schiefgelaufen sein. Haben sie die kalte mit der warmen Fingerseite verwechselt? Oder hat sich der Wind kurz nach der Fingermessung noch gedreht? In Berlin vermutet man Letzteres: Der Außenminister habe „vor der Entscheidung im Sicherheitsrat zu spät bemerkt, dass die Meinungsbildung zugunsten einer Intervention der internationalen Staatengemeinschaft kippte und nicht zuletzt auch US-Außenministerin Hillary Clinton ihre Meinung änderte“, hat die „Südwest Presse“ in den Fluren der Hauptstadt erfahren.

Mit anderen Worten: In bester Opportunistenkunst wollte We­sterwelle um jeden Preis mit den Wölfen heulen und hat dann tragischerweise die Melodien verwechselt. Wäre ihm die richtige noch rechtzeitig gesteckt worden, hätte der FDP-Chef wohl für den Militärschlag gestimmt. Nun steht er ziemlich dumm da.

Mit ihm auf blamiertem Posten steht die Kanzlerin, die auf rührende Weise versucht, sich herauszuwinden: Die deutsche Enthaltung bedeute ja nicht Neutralität, beteuert Frau Merkel und hebt hervor, dass auch Deutschland Verantwortung übernehme. Zwar ganz woanders, in Afghanistan nämlich, aber immerhin. Und überhaupt sei die Resolution jetzt, da sie beschlossen sei, „auch unsere Resolution“.

Das also bezeugt man durch Stimmenthaltung? Das hatten wir anders in Erinnerung. Da klicken wir Halbgebildeten doch mal beim Internet-Lexikon „Wikipedia“ zum Stichwort „Stimmenthaltung“ durch und schauen, was da steht: „Die Stimmenthaltung bedeutet, dass eine Person weder für noch gegen einen Antrag stimmt in der Absicht, weder positiv noch negativ auf das Zustandekommen eines Beschlusses einzuwirken. Stimm­enthaltung bedeutet, dass man für eine Entscheidung keine Verantwortung übernehmen möchte.“ Den letzten Satz hat der Wikipedia-Autor übrigens aus einer Drucksache des Bundesrats übernommen.

Hilfreich für Schwarze und Gelbe ist, dass Rote und Grüne von Anfang an denselben Eiertanz aufgeführt haben. Allerdings aus nicht ganz identischen Motiven: Ging es Merkel und Westerwelle auch um das Gleichstimmen mit den Verbündeten, so schielten SPD und Grüne ausschließlich auf die deutschen Wähler. Auf die ist aber auch kein Verlass mehr: Nach einer Umfrage sind 62 Prozent der Deutschen für einen militärischen Schlag gegen Gaddafi. Das konnten Gabriel und Co. nicht ahnen angesichts der breiten Ablehnung des Afghanistan-Krieges hierzulande. Offensichtlich erkennen viele Deutsche den Unterschied, ob ein paar deutsche Kampfflugzeuge über Libyen kreuzen oder ob mehrere Tausend Soldaten ihr Leben in den afghanischen Bergen aufs Spiel setzen. Das hat auch die Opposition zu spät erkannt – und haut deswegen nun um so lauter auf die Pauke.

Denn die Einheit im Irrtum hält die Parteipolitiker selbstredend nicht davon ab, sich gegenseitig als ganz besonders prinzipienlos zu beschimpfen. So manchen Deutschen zwischen Eifel und Allgäu könnte das herzzerreißende Spektakel unter dem Titel „Ich bin ein Windei, aber du bist noch windiger als ich!“ dazu ermutigen, den kommenden Sonntag im Bett zu verbringen.

Ja, Opportunismus ist wirklich ein aufreibendes Geschäft. Man sieht allen Beteiligten an, wie sehr sie das Gewürge und Gehetze mitnimmt, das Schleimen und sich Verbiegen, das Distanzieren und wieder Heranrobben. Nicht zu vergessen die kreative Suche nach immer abenteuerlicheren Ausflüchten! Sie leisten Schwerstarbeit. Schwerstarbeit, die nicht enden will: Nach Jahren, in denen sie jeden dritten Satz zu Afghanistan um das Wort „Abzugsperspektive“ herumgeflochten haben, müssen sie uns plötzlich die Entsendung von 300 zusätzlichen Soldaten verkaufen. Wegen Libyen, sagen sie. Wirklich kreativ.

Doch daraus soll niemand falsche Schlüsse ziehen: Natürlich bleibt Berlin nicht untätig gegen Gaddafi: „Sanktionen!“, droht die Kanzlerin. Ach, sind die nicht längst verhängt? „Dann eben noch mehr Sanktionen!“ Donnerwetter! 

Eigenartigerweise schien der Despot von Merkels Drohungen nicht ganz so beeindruckt zu sein wie von den Luftangriffen. Woher diese aufreizende Gelassenheit? Vielleicht aus anderer Leute Erfahrungen mit EU-Sanktionen. Um die Konten von Ägyptens Mubarak zu sperren, benötigte die Schweiz (von der Ankündigung bis zum Vollzug) etwa 30 Minuten. Die EU hat die Sperrung vor fünf Wochen angekündigt, bis diese Woche aber immer noch nicht auf die Reihe gekriegt. Es darf vermutet werden, dass auf den Konten nicht mehr allzu viel drauf ist. Und bei Tunesiens Ben Ali wurde die EU erst drei Wochen nach dessen Rücktritt aktiv.

Gut, Gaddafis Gelder waren schon zwei Wochen nach Beginn des Aufstands gesperrt. Applaus! Dafür aber soll es vergangenes Wochenende immer noch europäische Länder gegeben haben, die ihm Öl abkauften. Das behauptet zumindest Berlin (um die anderen auch ein bisschen schlecht aussehen zu lassen). Alles in allem scheinen Sanktionen, welche die EU „ins Auge fasst“, nichts wirklich Gefährliches auszustrahlen. Gerade deshalb sind sie bei den Großmäulern unter den Opportunisten so beliebt: Sie tun lieber so, als täten sie was, als wirklich was zu tun.

Ob das lebenslange Durchlavieren irgendwann geahndet wird? In gewisser Weise, ja: Vergangene Woche ehrte Bundespräsident Wulff Brandenburgs Ministerpräsidenten Platzeck, Berlins Wowereit und Hessens Ex-Landesvater Koch mit dem Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband. Das ist die zweithöchste Auszeichnung, welche die Bundesrepublik zu vergeben hat.

Und wofür? Weil sich die drei als Chefs von Landesregierungen „über ein Jahrzehnt in den Dienst der Gemeinschaft, des Staates und seiner Bürger“ gestellt hätten, so Wulff in seiner Begründung.

Roland Koch hatte sich zuletzt für weitere vier Jahre wählen lassen, um schon nach zweien lieber auf einen besser bezahlten Posten in der Wirtschaft zu wechseln. In Matthias Platzecks Kabinett reiht sich Skandal an Skandal, Rück­tritt an Rücktritt. Und Klaus Wowereit verteidigt die Armut der Hauptstadt mit erschreckendem Erfolg. Nun werden alle drei hoch geehrt dafür, dass sie sich so lange auf ihrem Posten halten konnten. Hurra. Auch Ehrungen höchsten Grades werden neuerdings nicht mehr errungen sondern ersessen.


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