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02.04.11 / Wahrheit contra Kalkül / In Japan folgt die Krisenkommunikation eigenen Gesetzen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-11 vom 02. April 2011

Wahrheit contra Kalkül
In Japan folgt die Krisenkommunikation eigenen Gesetzen

Acht erfolgreiche Jahre in drei Tagen verspielt.“ So einfach lautete das Fazit für den spanischen Ministerpräsidenten José Maria Aznar, nachdem er am 14. März 2004 abgewählt worden war. Nur 72 Stunden zuvor galt sein Sieg bei den Parlamentswahlen noch als sicher. Doch dann starben am 11. März bei einem Terroranschlag auf Pendlerzüge in Madrid fast 200 Menschen. Der Ministerpräsident aber schwieg zunächst, dann hielt er Informationen zurück und schließlich beschuldigte er die baskische Untergrundorganisation ETA, die Anschläge begangen zu haben, obwohl er genau wusste, dass sie einen islamistischen Hintergrund hatten. Als herauskam, dass er die Krisenkommunikation wahltaktischem Kalkül unterworfen hatte, war Aznars politisches Schicksal besiegelt. In Japan dagegen wäre er trotz dieser manipulativen Informationspolitik wohl im Amt geblieben.

Seit drei Wochen tritt Yukio Edano fast rund um die Uhr vor die Weltpresse. Mit gesenktem Blick bekundet der Chefkabinettsekretär und Regierungssprecher Demut und Schicksalsergebenheit. Seine blaue Arbeitskleidung soll Tatkraft und Entscheidungskompetenz suggerieren. Doch auf verlässliche Informationen und Verhaltensanweisungen warten die Japaner vergeb-lich. Statt dessen gibt die Regierung nur spärlich Erkenntnisse preis und übt sich in Beschwichtigungen, Verharmlosungen sowie dem Wiederholen von Floskeln und Binsenweisheiten. Doch allein durch ihre Medienpräsenz ist es Premierminister Naoto Kan und Edano gelungen, zu ihrem Volk eine emotionale Bindung aufzubauen und von ihm als Bezugspersonen und entschlossene Krisenmanager angesehen zu werden – obwohl sie weder fachliche Lösungen noch Informationen oder Orientierung bieten.

Dass diese eigenwillige Form der Krisenkommunuikation Erfolg hat, liegt nicht allein an der Disziplin der Japaner, sondern vor allem an den Besonderheiten des japanischen Mediensystems. Alle großen Nachrichtenagenturen, Zeitungen und Fernsehsender sind Mitglieder in einem Netz von rund 800 sogenannten Presseclubs, die bei den öffentlichen Institutionen angesiedelt sind. Diese Medien haben quasi ein Monopol auf den ersten und besten Zugang zu Informationen. Ihre Berichterstattung ist fakten- und detailorientiert, aber einheitlich. Und sie sind mehr oder minder ein williges Sprachrohr der Regierung, genießen aber trotzdem das Vertrauen der Bevölkerung. So ist es der Regierung mit ihrer Hilfe möglich, nur selektiv zu informieren. Dadurch soll eine Massenpanik verhindert werden. Die Medien und ihre Konsumenten akzeptieren, dass die Wahrheitspflicht in der Krise hinter Erwägungen des staatlichen Krisenmanagements zurücktritt.

In den meisten Staaten hätte eine derart zurückhaltende Krisenkommunikation desaströse Folgen. Deshalb wird sie im Ausland auch scharf kritisiert. Mittlerweile sind allerdings auch die Japaner durch immer neue Ereignisse so stark verunsichert, dass die Regierung einen Vertrauensverlust fürchtet. Sogar sie setzt jetzt auf eine offenere Informationspolitik. J.H.

 

Zeitzeugen

Napoleon I. – Für ihn waren „vier feindselige Zeitungen mehr zu fürchten als tausend Bajonette“. Folglich „erfand“ er die Krisenkommunikation. Gerade wenn einer seiner Feldzüge einmal nicht so gut lief, nahm er die Journalisten mit auf das Schlachtfeld. Sie dankten es ihm mit einer wohlwollenden Berichterstattung.

Peter Höbel – Krisen sind sein Geschäft. Seit 30 Jahren beschäftigt sich der ehemalige „Stern“-Redakteur, Ministersprecher und Pressechef der Lufthansa mit Krisenkommunikation. Er berät Behörden, Ministerien, Unternehmen und Verbände, wie man sich auf eine Krise vorbereitet und nach einem Großschadensereignis in der Öffentlichkeit auftritt. Dazu hat er Kommunikationsmodelle erstellt und zudem mehrere Standardwerke geschrieben.

Yukio Edano – Der japanische Regierungssprecher ist zur Stimme der Katastrophe geworden. Nun machen sich die Japaner Sorgen, dass sie verstummen könnte. Seit Wochen tritt er zu jeder Tages- und Nachtzeit vor die Kameras. Dieser Einsatz hat ihn zum beliebtesten Politiker des Landes gemacht, aber die Dauerbelastung hinterlässt Spuren. Seine Landsleute wünschen ihm nun eine Pause. „Edano, schlafe“ ist zu einem geflügelten Aufruf im Internet und im sozialen Netzwerk Twitter geworden.

José Maria Aznar – Eigentlich war er ein erfolgreicher Politiker. Als Ministerpräsident reduzierte Aznar die Arbeitslosigkeit und senkte die Staatsverschuldung. Dafür sahen ihm die Spanier manches nach. Wegen seiner Lügen nach den Terroranschlägen vom März 2004 vom Volk aus dem Amt gejagt, ist er ein Musterbeispiel für die gravierenden Folgen einer verfehlten Krisenkommunikation.

Gerd Schmückle – Für seine Kameraden war er der „Journalist in Uniform“. Als im Juni 1957 bei einer Übung 15 Rekruten ertranken, drohte der jungen Bundeswehr ein mediales Desaster. Der unkonventionelle Major Schmückle eilte zur Unfallstelle und übernahm die Pressearbeit. Dank seiner offenen Informationspolitik schwenkten die Medien von fundamentaler Kritik zu Sachlichkeit und Verständnis um. Seine Laufbahn beendete er als Viersternegeneral.


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