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02.04.11 / Traum und Trauma / Napoleon-Ausstellung in Bonn zeigt auch die Schattenseiten seiner Herrschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-11 vom 02. April 2011

Traum und Trauma
Napoleon-Ausstellung in Bonn zeigt auch die Schattenseiten seiner Herrschaft

Mit gewisser Regelmäßigkeit gibt es große historische Ausstellungen über Napoleon. Speyer 1998, Wesel 2007 oder zuletzt 2009 die Schallaburg sind Stationen einer Annäherung. Seine Persönlichkeit und sein Wirken sind nicht einfach zu beschreiben. Mit der Ausstellung „Napoleon und Europa. Traum und Trauma“ gibt nun die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in der Bundesstadt Bonn einen großen Ein- und Überblick.

Der besondere Reiz von historischen Ausstellungen sind deren Exponate. Natürlich können und wollen Kuratoren unterschiedliche Bilder ihrer Thematik vermitteln, wollen Meinungen prägen. Bei Napoleon ist das auch 180 Jahre nach seinem einsamen Ableben auf St. Helena nicht einfach. Gegen Ende seiner Herrschaft 1814 stellte der österreichische Staatskanzler Gentz fest, man halte den Franzosen „entweder für einen Halbgott oder für ein Ungeheuer oder allenfalls für beides zugleich“. Es kommt sehr auf den Standpunkt an, von dem er damals und auch heute betrachtet wurde beziehungsweise wird. Er schuf einen effizienten Staat. Er sorgte sich um Kommunikationsmittel, vereinheitlichte das Rechtswesen und die Maß­einheiten. Er zerstörte Herrschaften und überlieferte Gefüge, was besonders durch Aufhebung der geistlichen Staaten in deutschen Territorien nachhaltig wirkte. Die Zerstörung war ihm Mittel zur Errichtung neuer, von Frankreich abhängiger Staaten. Gerade in Polen wird er darum verehrt, wird das kurzlebige Herzogtum Warschau (1807–1815) verklärt, ohne diesen Satrapenstaat als Spielball seines raumgreifenden Machtstrebens erkennen zu wollen. Um diese europäischen Wechselbeziehungen zu präsentieren, wartet die Ausstellung in der Bundeskunsthalle mit einem fast unbegrenzten Spektrum an Exponaten aus Europa auf.

Napoleons Genie, sein Glück und Scheitern vollzog sich im Felde. Quer durch Europa war der kleine Korse unterwegs mit seinen Armeen. Immer auf der Suche, den nächsten Gegner zu schlagen. Größer war Frankreich nie geworden. Kein europäisches Reich hatte seit dem Mittelalter bestanden, das vom Atlantik bis zum Rhein, von der Elbmündung bis zu den Pyrenäen, vom Ärmelkanal bis zum Tiber reichte. Aber alle abhängigen neuen Königreiche reichten ihm nicht aus. An England und Russland scheiterte sein Anspruch. Von der Invasionsflotte, die zur englischen Insel übersetzen sollte, zeigt die Ausstellung illusionäre Bilder. Von seinem fatalen Russlandfeldzug 1812 gibt es genügend Zeugnisse. Vom Hilfslazarett im Remter der Marienburg bis zum 2002 aufgedeckten Massengrab in Wilna ist es eine Linie, die einen Ausschnitt von den Leiden der Grande Armée bietet. In Wilna waren die Verwundeten im Winter 1812 schlichtweg erfroren, als die Temperaturen auf 39 Grad minus abstürzten. Im Massengrab wurden auf 6000 Quadratmetern 35000 besonders junge Soldaten gefunden. Ob die Präsentation durch Installationen für dieses Leid sensibilisiert? Die Reaktion der Besucher lässt eine Antwort nicht zu. Klaglos betrachten die Besucher die nachgestellten Einschüsse in Seife, die die großen aufgerissenen Wunden durch Bleikugeln belegen, oder den Volltreffer einer Kanonenkugel durch einen namentlich gekennzeichneten Küraß. Im Katalog wird ausführlicher beschrieben, wie aus Verwundeten Helden wurden. Auf den Schlachtfeldern störten die Verwundeten. Sie mussten liegen gelassen und durften erst nach dem Ende des Kampfes geborgen, somit zu spät betreut und auch dann ungenügend versorgt werden. Zu viele verwundete Helden störten und folglich hat sich Napoleon weder eigener Verwundungen gerühmt, noch Verwundungen wirklich beachtet. Diese Menschenverachtung ließ eine ganze Generation für den unersättlichen Machthunger des Franzosenkaisers verbluten. Die napoleonischen Kriege sollen bis zu fünf Millionen Tote und die doppelte Anzahl an Verwundeten verursacht haben. Am Ende hatte Napoleon keine Reserven mehr. Solche Ansichten lassen die ausgestellten Bilder siegreicher Einzüge, so seines Bruders Jérome am 7. Januar 1807 in Breslau, als kurze Episode erscheinen. Das Gemälde stammt aus Fontainebleau, wo eine ganze Galerie die fremden Siege feiern sollte. Napoleons Hybris steht seiner Eleganz, seinen Visionen entgegen. Kurz nur währte seine Freude über die Eroberungen, wie sie sich auch in einer Serie großformatiger, als Vasenschmuck vorgesehener Porzellanplaketten aus der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur Sèvres zeigt. In dem Tondo ritzen die antikisierenden Personifikationen von Geschichte und Friede in eine Marmorsäule die Namen schlesischer Festungen ein. Am längsten war das zu unterst genannte Glogau in französischem Besitz. Die kürzere Anwesenheit in Breslau, Brieg, Glatz, Schweidnitz und Neisse reichte aus, überall den Hass auf alles Französische derart zu entfachen, das sich daraus auch in einem bis dahin ruhigen Schlesien die Erhebung der Befreiungskriege speiste. Wenn nun die Fama der Geschichte idealisiert auf der Festung Silberberg sitzt und auch Kosel auf ihr Schild schreibt, so zeigt dies im fernen Frankreich manche fälschliche Stilisierung. Es waren und sind die scheinbaren Kleinigkeiten, die auch große Systeme entlarven.

Mit erstaunlicher Deutlichkeit wird in Bonn der europäische Kunsttransfer thematisiert, der in Napoleons Gefolge stattfand. Paris zu einem Mekka der Künste und Wissenschaften zu machen, sei Ausdruck der „brutalen und massiven Aneignungspolitik Frankreichs“, sei „zum sichtbarsten und spektakulärsten Ausdruck einer … Aneignungsideologie“ geworden, die man als „die höchste Stufe der Unterwerfung des Kontinents“ und „die völlige Entmündigung der gedächtnislos gemachten Staaten“ zu verstehen habe. Eine solche Bilanz ist das Trauma, das auch Deutschland über den Moment geblieben ist, das freilich damals über „sich steigernde patriotische Identifizierung“ die Kunstrestitution 1814/1815 brachte. Verklärung kann es unter solchen Vorzeichen nur dort geben, wie bei unseren polnischen Nachbarn, wo das Träumen ohne Betroffenheit fortleben konnte. Vielleicht sollte man für sich selbst solche Leitsätze zum Kapitel „Objekte der Be­gier­de. Napoleon und der europäische Kunst- und Gedächtnisraum“ aber doch in Verbindung mit Polen und insbesondere mit Russland setzen. Denn nach einem weiteren und in vielen unvergleichlichen Epochejahr 1945 wurde dort deutsches Kulturerbe ebenfalls eingesammelt, angeeignet und behalten. Die Ausstellung vermeidet es aus guten Gründen, den Helden Napoleon mit anderen Herrschern zu vergleichen, in deren Fußstapfen er sich selber sah oder die sich später mit ihm messen mochten. Wenn solche Aspekte dem Besucher in den Sinn kommen, wenn der programmatische Untertitel zu Assoziationen anregt, dann vermag man dies der vielseitigen, gelungenen und gut besuchten Ausstellung eben auch als einen wichtigen Beitrag zur historisch-politischen Bildung zuzuschreiben und zu danken.

Stephan Kaiser (KK)

Die Ausstellung wird bis zum 25. April 2011 in Bonn, danach beim Musée de l’Armée in Paris gezeigt. Der fast 400-seitige, gebundene Katalog ist im Prestel-Verlag erschienen (ISBN 978-3-7913-5088-2) und kostet in der Ausstellung 32 Euro, im Buchhandel knapp 40 Euro.


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