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09.04.11 / Der erste Mensch im All / Vor 50 Jahren, am 12. April 1961, begann die Ära der bemannten Raumfahrt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-11 vom 09. April 2011

Der erste Mensch im All
Vor 50 Jahren, am 12. April 1961, begann die Ära der bemannten Raumfahrt

Einmal Held, immer Held – wer auserkoren wurde, einem totalitären Regime als Vorbild für die Massen und zugleich als Beweis für die Überlegenheit des Systems zu dienen, kommt aus dieser Nummer kaum noch heraus. Ein solcher „Held“, der eigentlich gar keiner sein wollte, war Juri Gagarin.

Der 1934 geborene Russe hatte zwei Ziele: Er wollte fliegen, und er wollte Ingenieur werden. Dank seiner außergewöhnlichen Kombination aus Ehrgeiz, Intelligenz, körperlicher und seelischer Tüchtigkeit erreichte er weit höhere Ziele: Er war der erste Mensch, der die Fesseln der Gravitation abstreifen und für eine gute Stunde schwerelos durchs All schweben konnte.

Es war eine „Blitzkarriere“ der ganz besonderen Art, die Gagarin an jenem geschichtsträchtigen 12. April absolvierte. Er startete als Oberleutnant und landete 108 Minuten später als Major; zwei Tage später war er auch noch Träger des Lenin-Ordens und „Held der Sowjetunion“. Als solcher hatte er zu funktionieren, wie die Funktionäre des Systems es vorschrieben – im wörtlichen Sinne bis hin zu den Vortragsmanuskripten, die er zum Ruhme des Sozialismus in aller Welt zu verlesen hatte.

Dem Besucher im Kosmodrom Baikonur fällt es hingegen schwer, allzu Heldenhaftes nachzuempfinden. Hier also wurde vor 50 Jahren ein Stück Weltgeschichte geschrieben? Die Hütte, in der Juri Gagarin die letzte Nacht vor dem historischen Flug ins All verbrachte – eher armselig. Die Startrampe, von der aus die gigantische Rakete den ersten Menschen in die Weiten des Weltraums katapultierte – unattraktiv bis nichtssagend. Der Weg dorthin, durch die triste kasachische Steppe, begleitet von maroden Telegraphenleitungen – fast wie ein Ausflug ins späte 19. Jahrhundert.

Hier startete die erste Interkontinentalrakete, der erste künstliche Erdsatellit, der erste Mensch im All. Und wenn jetzt das Shuttle-Programm der USA endgültig endet, ist Baikonur bis auf weiteres die einzige Verbindung zwischen der Erde und der Weltraumstation ISS. Das seit 1991 unabhängige Kasachstan kassiert von Russland jährlich 115 Millionen Dollar Pacht.

Moskau hatte den Weltraumbahnhof 1955 bewusst fernab in die Steppe der damaligen Sowjetrepublik Kasachstan gesetzt, aus militärischen Gründen streng geheim. Schon der Name ist irreführend; das wahre Baikonur liegt 350 Kilometer weiter nördlich. Rund um die bislang unbedeutende Bahnstation Tjura Tam wuchs eine Plattenbau-Wohnstadt mit zeitweise 150000 Bewohnern. Sie nannte sich Leninsk, kam aber auf keiner Landkarte vor. Auf einer nahezu menschenleeren Fläche von über 6000 Quadratkilometern wurden Startrampen, technische Einrichtungen und Zulieferfabriken gebaut.

Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten. Im August 1957 hob die erste In­ter­kon­ti­nen­tal­ra­ke­te ab, am 4. Okto­ber desselben Jahres versetzte Sputnik 1 mit seinem Piep-piep dem westlichen „Klassenfeind“ einen langanhaltenden Schock.

Und dann die Heldentat des Juri Alexejewitsch Gagarin! Der technologiebegeisterte Jetpilot war trotz seines fast noch jugendlichen Alters von gerade 27 Jahren wegen seines ruhigen, ausgeglichenen Gemüts aus 20 Kandidaten für den ersten Flug ins All ausgewählt worden. Das Projekt lief, wie in der Sowjetunion üblich, unter strikter Geheimhaltung. Die sogenannte Weltöffentlichkeit sollte nur von Erfolgen erfahren. So war Gagarin mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht der erste Mensch, der ins Weltall flog – aber der erste, der lebend zurückkam.

Die bis heute in Baikonur sichtbaren technologischen Unzulänglichkeiten, kompensiert durch einen unerschütterlichen Glauben an die Allmacht der Improvisation, lassen die „Heldenhaftigkeit“ Gagarins in einem anderen Licht erscheinen. Er kannte die Risiken, nahm sie – exakt einen Monat nach der Geburt seines zweiten Kindes – auf sich, agierte im richtigen Moment richtig, indem er in 7000 Meter Höhe aus der defekten Wostok-Kapsel ausstieg und außerplanmäßig mit dem Fallschirm landete.

Er war ein Held, aber nicht im Sinne der Sowjetunion. Bei den Aufpassern vom KGB machte er sich zunehmend unbeliebt, weil er deren vorgefertigte Propaganda­ma­nuskripte beiseite legte und seine eigenen Reden hielt. Darin kam dann weder die Überlegenheit des sowjetischen Systems vor noch die ihm unterstellte Behauptung, auf seinem einstündigen Himmelsritt habe er „alles Mögliche gesehen, nur keinen lieben Gott“.

Vehement wehrte Gagarin sich gegen das ihm auferlegte Flugverbot; er wollte seine unterbrochene Kampffliegerausbildung unbedingt abschließen. Die Parteibonzen aber hatten Angst, durch einen simplen Flugunfall womöglich ihr attraktivstes Propagandazugpferd zu verlieren.

Dass sie damit ausnahmsweise einmal Recht hatten, zeigte sich am 27. März 1968. Nahe Moskau stürzte der gerade 34-jährige Kosmonat auf einem Übungsflug mit einer MIG-15 ab und starb. Die Ursache blieb bis heute ungeklärt. Der Kreml sprach von einer „unglücklichen Verkettung verhängnisvoller Umstände“ und schloss menschliches Versagen kategorisch aus. Denn „Helden der Sowjetunion“ dürfen menschlich nicht versagen – daran hat sich auch zwei Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion nichts geändert.     Hans-Jürgen Mahlitz

Unser russischer Begleitoffizier bestätigt (natürlich, ohne damit namentlich zitiert werden zu wollen), dass es weitaus leichter sei, eine Funkverbindung zur ISS, über 300 Kilometer hoch am Himmel, herzustellen denn ein Telefonat mit dem zuständigen Ministerium im drei Flugstunden entfernten Moskau. Beiläufig fragt er noch, ob wir vielleicht an einer netten kleinen Ferienwohnung interessiert seien – in der einst streng geheimen Kosmonauten-Wohlstadt Leninsk (die längst nicht mehr geheim ist und auch nicht mehr Leninsk heißt) könne er da etwas arrangieren. Ob das ein Scherz sein sollte, werden wir nie erfahren.

Nichts hier lässt den high-tech-erprobten Gast aus dem Westen auf die Idee kommen, dies sei der Ort für technologische Groß- und Ersttaten. Nichts zu sehen von jener spektakulären Technik-Wunderwelt der Amerikaner, die ja auch im Weltraum so gern die Ersten sein wollten. Houston und Cape Kennedy, das klingt nach Zukunft. Aber begonnen hat diese Zukunft hier, und deshalb wird Baikonur im Buch der Raumfahrtgeschicht auch ganz groß geschrieben.


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