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16.04.11 / Von Gerechtigkeitsfanatikern und Eliteverweigerern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-11 vom 16. April 2011

Gastbeitrag
Von Gerechtigkeitsfanatikern und Eliteverweigerern
von Boris Grundl

Auf der einen Seite sind die Berliner Philharmoniker ein waschechtes Kollektiv. Das Orchester verwaltet sich selbst. Neue Mitglieder müssen nach einer Probezeit einstimmig gewählt werden. Selbst der jeweilige Chefdirigent wird vom Kollektiv bestimmt. Die Musiker treten außerdem in einheitlicher Kleidung auf und werden im Wesentlichen vom Staat bezahlt.

Auf der anderen Seite hat nur derjenige eine Chance auf Aufnahme bei den Berliner Philharmonikern, der als Musiker sein Instrument perfekt beherrscht und dafür jahrelang täglich viele Stunden geübt hat. Er muss im Umgang mit seinem Instrument zur Elite gehören. Wer im Kollektiv herausragende Leistungen bringt, dem gestattet das Orchester nebenher eine Solokarriere. Dieser braucht dann den Erfolg nicht mit dem Orchester zu teilen, das ihm die Plattform dazu geboten hat.

Vieles spricht dafür, dass es gerade diese einzigartige Verbindung aus höchstem Gemeinschaftssinn und ausgeprägter Individualität ist, die die Berliner Philharmoniker zum vielleicht besten Orchester der Welt macht. Dennoch stören sich Kritiker an den Alleingängen einzelner Musiker. Diese Gerechtigkeitsfanatiker unter den Gutmenschen stören sich an dem Erfolg Einzelner. Es stört sie, dass sich die Musiker durch ihren Erfolg von der Masse absetzen.

Wen die Gutmenschen als „elitär“ abstempeln, der bekommt ein Imageproblem und kann seinen Erfolg nicht mehr recht auskosten. Eine Gesellschaft, die Spitzenleistungen hervorbringt, wollen die Gerechtigkeitsapostel gar nicht. Denn dann fiele ja ihre eigene Entwicklungsverweigerung auf. Doch wo sich keiner weiterentwickeln, keiner experimentieren, keiner auffallen soll, da ist der Stillstand programmiert.

Um ihren Gerechtigkeitswahn moralisch zu rechtfertigen, nutzen sie einen unserer fatalsten Denkfehler aus: Wir glauben, wenn wir die Starken schwächen, wäre mehr Stärke für die Schwachen da. Dabei ist es genau umgekehrt. Wenn die Starken noch stärker werden, ist mehr Stärke für alle da. Der erste Ansatz geht von einem bestehenden Kuchen aus, der möglichst gerecht verteilt werden muss, der zweite Ansatz von einem immer größer werdenden Kuchen. Wird der Kuchen größer, ist genug für alle da. Nur wer etwas hat, kann es anderen geben. Hier gibt es einen weiteren Trugschluss: Die Gutmenschen glauben, dass die Starken den Kuchen allein essen. Sie tönen von Ausbeute und Ungerechtigkeit. Dabei ist es genau anders herum. Wer wirklich Stärke entwickelt hat, dem ist Mitgefühl nicht fremd.

Der Sozialismus will uns glauben machen, wir müssten unsere Individualität weitgehend aufgeben, um in intakten Gemeinschaften zu leben. Der Liberalismus will uns weismachen, die Gemeinschaft sei dem Einzelnen ständig im Weg. Solche „Ismen“ sind geistige Extreme, die uns daran hindern, gründlich genug nachzudenken. Denn wer nachdenkt, wird feststellen, dass sich Gemeinschaft und Individualität überhaupt nicht widersprechen. Mehr noch: dass Spitzenleistungen gerade in der perfekten Balance von Kollektiv und Individuum entstehen.

Menschen, die mit ihren Spitzenleistungen dem Mittelmaß entrinnen wollen, sollten sich gegen die Gutmenschen wehren, die eben dieses Mittelmaß als „soziale Gerechtigkeit“ verbrämen. Die Gutmenschen wollen den Status quo erhalten, um von ihrem eigenen Stillstand abzulenken. Sie stellen sich als Beschützer vor andere. Aber es geht ihnen gar nicht um deren Schutz, sondern darum, dass möglichst viele es ihnen in ihrer Untätigkeit und ihrem mangelnden Ehrgeiz gleichtun. Wer bei uns erfolgreich sein will, der wird von den Gutmenschen gemobbt. Erst wenn sich Spitzenleute durchgesetzt haben, werden sie anerkannt. Fragen sie einfach mal bei Oliver Kahn nach diesem Prinzip.

Weil die Gutmenschen sich selbst nicht weiterentwickeln wollen und die Lösung aller Probleme von anderen erwarten, richtet sich ihr Blick hauptsächlich auf die Gerechtigkeit. Indem sie die Gesellschaft und nicht den Einzelnen in der Pflicht sehen, lenken sie von sich selbst ab. Dadurch verpassen sie aber jene Balance zwischen Individualität und Gemeinsinn, bei der sich das Potenzial der Menschen erst richtig entfaltet.

Solche Gutmenschen kommen in einer sozialen, menschenfreundlichen Verkleidung daher und durchziehen unsere Gesellschaft wie ein klebriger, süßer Honig. Im Grunde ihres Herzens befriedigen sie ihre eigenen, egoistischen Motive. Sie wollen gebraucht und geliebt werden. Sie wollen vor anderen gut dastehen. Sie wollen am Ende die Stärkeren bleiben. Und so halten sie die Schwachen schwach und dressieren sie zur Abhängigkeit. Sie werden zu Diktatoren, die unter dem Mantel des Gutmenschentums unsere Gesellschaft vergiften.

Die Gutmenschen würden am liebsten für jedes Orchestermitglied das gleiche Instrument kaufen. Sie würden dafür sorgen, dass diejenigen Musiker, die nicht aus der Oberschicht stammen, in den vorderen Reihen sitzen dürfen. Im Ergebnis würde zwar kaum hörenswerte Musik erklingen, aber sie hätten das Gefühl, sich für Gerechtigkeit eingesetzt zu haben. Hauptsache gerecht, auch wenn dabei die Welt zu Grunde geht.

Führungskräfte in Wirtschaft, Politik und Bildungswesen müssen anfangen, sich dem Konformitätsdruck zu entziehen, auch wenn es Überwindung kostet. Sie müssen sich die Berechtigung geben, Menschen ungleich zu behandeln. Damit es gerechter zugeht. Ungleiche Menschen gleich zu behandeln, das ist Ungerechtigkeit in Reinkultur.

Dabei hilft ein differenzierendes Menschenbild. Denn natürlich sind alle Menschen gleich in ihren Grundbedürfnissen, beispielsweise nach Nahrung, Wärme, Sicherheit, Zuwendung, Beachtung und Anerkennung. Aber sie sind unterschiedlich dort, wo sie in ihrer Persönlichkeit unterschiedlich entwickelt sind. Je höher die persönliche Entwicklungsstufe, desto mehr treten die Unterschiede zutage. Wer diese Unterschiede beseitigen will, sollte offen sagen, dass er generell keine Entwicklung des Menschen will. Wir müssen Eliten mehr fördern und anerkennen. Dann geht es uns allen besser. Unsere Gesellschaft braucht starke, selbstbestimmte Menschen. Nur so kann aus der Diktatur der Gutmenschen eine Demokratie der Menschenentwickler werden.

 

Boris Grundl durchlief eine Blitzkarriere als Führungskraft und gehört als Führungsexperte und charismatischer Kongress-Redner zu Europas Trainerelite. Er ist Management-Trainer, Unternehmer, Autor sowie Inhaber der Grundl Leadership Akademie. Boris Grundl perfektionierte nach einem Sportunfall, der ihn fortan an den Rollstuhl fesselte, die Kunst, sich selbst und später auch andere auf höchstem Niveau zu führen. Er ist ein gefragter Referent und Gastdozent an mehreren Universitäten.


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