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16.04.11 / Wo Rasputin geboren wurde / In Sibirien sagen sich keineswegs Bär und Wolf »Gute Nacht«, dort gibt es ein abwechslungsreiches Kulturleben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-11 vom 16. April 2011

Wo Rasputin geboren wurde
In Sibirien sagen sich keineswegs Bär und Wolf »Gute Nacht«, dort gibt es ein abwechslungsreiches Kulturleben

Ein Himmel voller Sterne wölbt sich über der Taiga. Ihr Licht lässt das Wasser des Sees silbern aufblitzen. Aus der Tiefe des Waldes dringen Tierlaute ans Ohr. Plötzlich raschelt es im Unterholz und ein Elch mit mächtigem Geweih betritt die Lichtung, nimmt Witterung auf und verschwindet im Dickicht. Mit dem Hubschrauber waren wir vor Stunden aus Tjumen aufgebrochen, um im Angel- und Jagdparadies Kunjaks einen Kurzurlaub fernab jeglicher Zivilisation zu verbringen. Bereits der Flug macht mit der Weite dieses Landes vertraut.

Schier endlose Birkenwälder, unterbrochen von spiegelnden Teichen und Tümpeln, prägen das Bild der Landschaft, die fast nahtlos in einen dichten Nadelwald übergeht. Erst jüngst wurde hier ein kleines Feriendorf erbaut. Um einen idyllisch gelegenen See gruppiert sich eine Reihe uriger, einfach ausgestatteter Holzhütten. „Natürlich müssen wir noch etwas nachrüsten“, gibt Victor, einer der Initiatoren des Projektes, zu. „Aber das Konzept ist stimmig und dürfte in Zukunft auch Menschen aus Deutschland anlocken, die auf Öko-Tourismus stehen.“ Vieles spricht dafür, dass gerade Angler und Jäger in Kunjaks ihr Eldorado entdecken werden. Die Gewässer der Umgebung sind makellos sauber, der See vor der Haustür randvoll mit Fischen.

In Tjumen, dem „Tor nach Sibirien“, brummt es rund um die Uhr. Des Volkes wahrer Himmel ist der Rummelplatz im Zentrum der Stadt, ein Mini-Disneyland mit schreiend bunten Plastikschwänen auf einem künstlichen Teich und mehreren Pommesbuden, aus denen ohrenbetäubende Musik schallt. Die 1586 gegründete Stadt hat aber auch manch schöne Ansicht zu bieten. Blendend weiß erstrahlt die elegante Erlöserkirche in der gleißenden Mittagssonne. Und die vielen mit kunstvollem Schnitzwerk verzierten pastellfarbenen Häuser aus dem 19. Jahrhundert sind echte Hingucker.

Als absoluter Höhepunkt erweist sich Tobolsk mit seinem imposanten Kreml (Festung). Die Stadt erhielt erst jüngst eine gründliche Verschönerung. Und das ist Präsident Wladimir Putin zu verdanken. Als er vor zwei Jahren vorbeikam, war er nicht erfreut über den desolaten Zustand der einstmals prächtigen Gebäude. Er soll nur kurz gesagt haben: „Da müsst ihr was tun.“ Und so geschah es auch mit schnell bewilligten Geldern aus der Staatskasse.

Sibirien mit seinen reichen Öl- und Gasvorkommen ist ein wohlhabendes Land. Nur leider, beklagen die Einheimischen hinter vorgehaltener Hand, muss zu viel von diesen Einnahmen nach Moskau abgeführt werden.

In Tobolsk vollzog sich übrigens eine der dramatischsten Episoden der russischen Geschichte. Nach der Oktoberrevolution wurde die Familie des letzten Zaren Nikolaus II. kurzerhand im Gouverneurspalast interniert, bevor Bolschewiki sie 1918 in Jekatarinburg ermordeten.

„Jeden Schritt überwachten die neuen Machthaber“, erzählt Stadtführerin Inna in perfektem Deutsch. „Nur an seinem Schreibtisch durfte der Zar allein sitzen.“ Heute lassen sich Touristen hinter diesem erlesenen Möbelstück für die Nachwelt ablichten.

Inzwischen sind die Romanows weitgehend rehabilitiert und in manchen russisch-orthodoxen Kirchen auf kostbaren Ikonen zu bewundern. Dafür, dass dem berühmtesten Sibirjaken aller Zeiten, Grigori Rasputin, auch endlich Gerechtigkeit widerfährt, hat sich bereits während der Sowjetzeit eine unerschrockene Dame eingesetzt. Jurgewna Smirnowa hütet das Erbe des Wunderheilers und Zarenfreundes in dessen Heimatort Pokroskoje wie ihren Augapfel. Natürlich war Rasputin während der Zeit des Eisernen Vorhanges tabu, erzählt die agile Blondine, während sie ihre Gäste durch sein ansehnliches Wohnhaus führt und sämtliche Fotos und Gegenstände akribisch erklärt.

Zum Schluss überrascht sie uns noch mit einer Sensation. Neueste Erkenntnisse aus jüngst freigegebenen Dokumenten sollen belegen, dass kein Russe, sondern ein führendes Mitglied des britischen Geheimdienstes, Rasputin angeblich 1916 in St. Petersburg ermordete, berichtet Smirnowa ihrer atemlos lauschenden Zuhörerschaft.

Nach dieser aufregenden Geschichtsstunde geht es auf einen der schönen alten Bauernhöfe, an denen Sibirien reich ist. Sie rufen lebhafte Erinnerungen an Erzählungen und Romane großer russischer Schriftsteller wie Leo Tolstoi und Fjodor Dostojewski hervor. Die in ihre farbenfrohen Trachten gekleideten Dorfbewohner empfangen uns nach Landessitte mit Brot und Salz. Zu den Klängen vom Akkordeon und Balalaika wird bis spät in den Abend hinein getanzt.

„In einer Stunde sind wir im Tartarendorf“, sagt Fahrer Igor am nächsten Morgen und fügt verschmitzt hinzu: „In einer sibirischen Stunde.“ Denn in diesem gigantischen, zehn Millionen Quadratkilometer großen Land gehen auch die Uhren etwas anders als sonst wo auf der Welt.

Endlich erreichen wir den Ort, in dem Flora Abba, die gestrenge Matriarchin eines alten Tartarenclans, uns in der Moschee zu Tisch bittet. Wir Frauen werden höflich, aber bestimmt gebeten, unsere Köpfe zu bedecken. Auf dicken Teppichen im Schneidersitz kauernd, genießen wir Pelmeni, leckere gefüllte Teigtaschen, und von Honig triefendes Gebäck. Dazu wird Fruchtsaft gereicht. „Hier sind die Sitten strenger als anderswo“, flüstert ein junger Mann. Bei manchen Muslimen stehe sogar die Wodkaflasche auf dem Tisch. „Denn der Prophet hat den Gläubigen ja nur den Genuss von Wein verboten. Und Wodka kannte er noch nicht.“ Ein Narr, der Schlechtes dabei denkt!      Uta Buhr


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