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16.04.11 / 973 Tage fern von daheim / Kinderlandverschickung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-11 vom 16. April 2011

973 Tage fern von daheim
Kinderlandverschickung

„Aus der Versenkung geholt“ hat die ehemalige Berliner Grafikerin Isa Salomon eine umfangreiche Sammlung von persönlichen Zeugnissen ihrer Kinderlandverschickung (KLV) in den Jahren 1942 bis 1945. Insgesamt 973 Tage, und damit vermutlich wesentlich länger als im Durchschnitt, verbrachte die damals zwölf- bis 15-jährige Schülerin in KLV-Lagern in sogenannten luftsicheren Gebieten, wohin Großstadtkinder nach dem Beginn der Bombenangriffe auf Deutschland seit Herbst 1940 evakuiert wurden. Die Teilnahme erfolgte bis Ende 1943 auf freiwilliger Basis, die Unterbringung nach Geschlechtern getrennt. Eine Auswahl ihrer damaligen Briefe, Tagebucheintragungen und Fotos hat Isa Salomon in ihrem Buch „Kinderlandverschickt – Aus Briefen und Tagebüchern 1942 bis 1945“ veröffentlicht. Die inhaltlichen Überleitungen der Autorin dienen dem besseren Verständnis. Hervorzuheben sind die reizvollen, farbig abgebildeten Skizzen und Zeichnungen, welche die besondere gestalterische Ausdruckskraft ihrer Urheberin verraten. Nacheinander nahm das junge Mädchen, teils in Begleitung ihrer älteren Schwester, an Lagern auf Usedom, in Mähren, im Riesengebirge und zuletzt im Harz teil. Die Orte sind auf Ausschnitten zeitgenössischer Karten markiert. Der von dem Sohn der Autorin, Mathias Salomon, liebevoll gestaltete Band ist ein aussagekräftiger autobiographischer Beitrag zur Geschichte des Dritten Reichs, da er einen detailreichen Einblick in das KLV-Lagerleben gewährt.

Ab 1934 lebte Isa Salomons Familie in Piesteritz bei Wittenberg (Lutherstadt), wo ihr Vater als Schulrektor tätig war. Nach dessen frühem Tod 1935 plante die Mutter einen Umzug nach Berlin, der jedoch erst im Januar 1942 durch einen Ringtausch ins Werk gesetzt wurde. Trotz des Arguments der besseren Ausbildungsmöglichkeiten für die beiden Töchter ist dieser Entschluss ihrer Mutter angesichts der häufigen Bombenangriffe auf die Reichshauptstadt für die Autorin heute schwer nachvollziehbar. Möglicherweise aber geschah dies mit Blick auf die Aussicht, ihre Kinder zur Verschickung in ein KLV-Lager anmelden zu können, wo eine bessere Verpflegung für sie in Aussicht stand. Ihrem für drei Monate vorgesehenen Aufenthalt in Bansin ab Mai 1942 sah Isa Salomon mit Freude entgegen, zumal „Ostsee“ in ihren Ohren wie „Riviera oder Venedig“ klang. Der Aufenthalt war kostenlos und entlastete die Haushaltskasse ihrer Mutter erheblich. Weitere Vorteile der KLV-Lager waren der von Bombenalarm unbeeinträchtigte Nachtschlaf und ein störungsfreier Schulunterricht. Ansonsten bestand auch in den Lagern ein Mangel an allen notwendigen Utensilien des täglichen Lebens. Das Kriegsgeschehen wurde weitgehend ausgeblendet. Seit Februar 1944 lebte Isa Salomon in Johannisbad im Riesengebirge, wohin ihre Schule von Berlin-Weißensee im Oktober 1943 verlegt worden war. Ende Februar 1945 erfolgte das schon tagelang erwartete Signal zur Flucht. Mit der Bahn wurden die Bewohnerinnen des KLV-Lagers aus dem Sudetengau gebracht und gelangten unbeschadet nach Stolberg im Südharz.       D. Jestrzemski

Isa Salomon: „Kinderlandverschickt – Aus Briefen und Tagebüchern 1942 bis 1945“, Bod, Nor-derstedt 2010, kartoniert, Fotos, 159 Seiten, 12,90 Euro


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