23.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
23.04.11 / Wie »Plisch und Plum« den Staat sanierten / Zum 100. Geburstag des sozialdemokratischen Wirtschaftstheoretikers und -praktikers Karl Schiller

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-11 vom 23. April 2011

Wie »Plisch und Plum« den Staat sanierten
Zum 100. Geburstag des sozialdemokratischen Wirtschaftstheoretikers und -praktikers Karl Schiller

Vor hundert Jahren, am 24. April 1911, wurde Karl Schiller in Breslau geboren. Er gilt bis heute als der führende Wirtschaftstheoretiker der deutschen Sozialdemokratie. Als Senator in Hamburg und Berlin sowie als Bundesminister hat der Professor seine Lehren auch in der Praxis erfolgreich umsetzen können.

„Ich bin nicht bereit, eine Politik zu unterstützen, die nach außen den Eindruck erweckt, die Regierung lebe nach dem Motto: Nach uns die Sintflut.“ Mit diesen klaren Worten beendete Karl Schiller nicht nur seine eigene politische Karriere, sondern auch die Ära seriöser Finanzpolitik in der Bundesrepublik Deutschland.

Das war vor nahezu 39 Jahren. Karl Schiller war, was der Volksmund neudeutsch „Superminister“ nannte: in Personalunion Bundesminister für Wirtschaft und für Finanzen. Vehement – und zunehmend verzweifelt – versuchte der renommierte Ökonomieprofessor, die Staatsfinanzen in Ordnung und die Wirtschaft in Schwung zu halten, wie er das gelernt und viele Jahre lang als Senator und Minister erfolgreich praktiziert hatte.

Leider hatte er es nun aber mit einem zu öffentlicher Verschwendung neigenden Partei- und Regierungschef zu tun: mit Willy Brandt, SPD-Ikone und Noch-Kanzler von SED-Guillaumes Gnaden. Er und seine Nachfolger ließen in Deutschland vor allem eines wachsen: den Schuldenberg.

In diesem Punkt war Karl Schiller, seit 1946 SPD-Mitglied, das exakte Gegenteil des „typischen Sozialdemokraten“. Zwar hielt auch er eine staatliche Lenkung der Wirtschaft für im Prinzip wünschenswert, aber nicht um jeden Preis. Insbesodere eben nicht um den Preis leerer Staatskassen und roter Zahlen in den öffentlichen Haushalten, egal ob bei Bund, Ländern oder Kommunen.

Erfolgreich praktiziert hatte Schiller seinen wirtschafts- und finanzpolitischen Balanceakt während der ersten Großen Koalition 1966 bis 1969 unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU). Dabei hatte er in Franz Josef Strauß (CSU) als Bundesfinanzminister einen kongenialen Partner.

Obwohl die – sich sprichwörtlich anziehenden – Gegensätze kaum größer hätten sein können. Hier der barock-sinnenfrohe Bajuware, da der kühl-asketische Norddeutsche, der, wenngleich im schlesischen Breslau geboren, vor allem hanseatisch geprägt war.

Beide brachten ein hohes Maß an detailliertem Fachwissen und an politischer Weitsicht ein. Sie waren starke, selbstbewusste Persönlichkeiten. Und beide hatten eine gehörige Portion persönlichen Respekt voreinander – so konnten sie zum Traumpaar der deutschen Nachkriegspolitik geraten und schließlich in der Öffentlichkeit als „Plisch und Plum“ wahrgenommen werden, obwohl sie eigentlich kaum Ähnlichkeiten mit jenem von Wilhelm Busch erfundenen pfiffig-frechen Hundepaar hatten.

Denn als Kurt Georg Kiesinger, bekannt als „König Silberzunge“, sie in sein Kabinett der Großen Koalition berief, waren keine lustigen Streiche und Späße gefragt. Die Zeiten waren viel zu ernst, das deutsche Wirtschaftswunder war dabei, seinen Glanz zu verlieren und sich zur Rezession zu wandeln. Prof. Ludwig Erhard, gerade noch als Vater dieses Wirtschafswunders gefeiert, war als Kanzler politisch gescheitert. Seine Soziale Marktwirtschaft stand mitten in ihrer ersten ernsthaften Bewährungsprobe.

Der Wirtschaftstheoretiker Karl Schiller war bekannt als Verfechter einer wirtschaftspoitischen „Globalsteuerung“. Franz-Josef Strauß hingegen galt eher als marktliberaler bajuwarischer Poltergeist. Diese beiden zusammen in einem Kabinett, wie sollte das gutgehen?

Es ging gut, sogar sehr gut, weil beide in den entscheidenden Fragen zu vernünftigem Ausgleich fanden: so viel Staat wie nötig, so wenig Staat wie möglich! Und weil beide sich strikt an die Devise hielten, die Wilhelm Busch „Plisch und Plum“ in den Mund gelegt hatte: „Der Gedanke macht ihn blaß, wenn er fragt: Was kostet das?“

So schaffte das ungleiche Paar es, den angeschlagenen Haushalt zu konsolidieren und die schwächelnde Wirtschaft wieder anzukurbeln. Sie legten ein 2,5 Milliarden D-Mark schweres Konjunkturprogramm auf, das vor allem in Bahn, Post und Straßenbau Mittel pumpte und nicht nur die Großindustrie, sondern vor allem Mittelstand und Handwerk stimulierte.

 Das „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums“, das als nächstes folgte, wurde gar als „Magna charta der modernen Konjunkturpolitik“ bejubelt; nach Schillers Theorie basierte es auf einem „Magischen Viereck“ (Vollbeschäftigung, aussenwirtschaftliches Gleichgewicht, stetes Wachstum und stabile Preise). Schon bald stellte sich der Erfolg ein: 1968 setzte bereits wieder ein robuster Aufschwung ein. Die Wachstumsraten kletterten auf vom Wirtschaftswunder gewohnte sieben bis acht Prozent, den lediglich 230000 Arbeitslosen standen dreimal soviele offene Stellen gegenüber. Der Bundeshaushalt 1969 schloss mit einem satten Plus ab.

Damit – und mit der innenpolitischen Fleißarbeit der sogenannten Notstandsverfassung – aber hatte die Große Koalition ihre Aufgaben im wesentlichen erfüllt.  In ihrer Endphase konnten Schiller und Strauß ein weiteres Konkunkturprogramm schon nicht mehr durchbringen. Die CDU-Minister waren bereits auf Trennung von den Sozialdemokraten eingestellt und hofften, bald mit einem kleineren Partner weiterregieren zu können.

1969 glaubte jedoch eine knappe Mehrheit der Wähler, das Land sei nun reif für den totalen parteipolitischen Wechsel. Für „Mehr Demokratie wagen“, wie der neugewählte Bundeskanzler Willy Brandt dann etwas hochtrabend postulierte.

Im Klartext hieß das: „Mehr Schulden wagen“. Brandts sozial-liberale Koalition wich vom Pfad der reinen Lehre ab, verschob die Akzente der Sozialen Marktwirtschaft hin zum allzuständigen und aller Welt zugänglichen Sozialstaat auf Pump.

Karl Schiller, nunmehr ohne Franz Josef Strauß als Partner, sah sich der neuen rot-gelben Politik des lockeren Geldbeutels wehrlos ausgeliefert. Am 7. Juli 1972 zog der entmachtete Superminister die Konsequenz und trat zurück. Enttäuscht legte er auch alle Parteiämter und sein Bundestagsmandat nieder und ließ die Mitgliedschaft in der SPD ruhen; hier war seine mahnende Stimme nicht mehr gefragt. 1984 ernannte die Universität Hamburg, an der er so lange gelehrt hatte, ihn zum Ehrensenator. 1991 – inzwischen saßen seine „Parteifreunde“ wieder in der Opposition – erhielt er das längst verdiente Bundesverdienstkreuz, Ende 1994 verstarb er 83-jährig in Hamburg.

Nach Karl Schiller hatte keiner mehr den Mut, so offfen und unmissverständlich vor dem gefährlichen Motto „Nach mir die Sintflut“ zu warnen. Im Gegenteil: Heute heißt das Motto wohl eher: „Wir sind die Sintflut“! Und der alttestamentliche Berg Ararat, auf dem Noahs Arche landen konnte, ist zum Billionen-Schuldenberg verkommen. Hans-Jürgen Mahlitz


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren