24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
23.04.11 / Ein schicksalschweres Leben / Wie Hiob in der Bibel, so verlor Käthe Swiderski alles − Lebensglück erst in späten Jahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-11 vom 23. April 2011

Ein schicksalschweres Leben
Wie Hiob in der Bibel, so verlor Käthe Swiderski alles − Lebensglück erst in späten Jahren

Zwischen Käthe Swiderski und unserer Familie bestand eine lebenslange, enge Verbindung. Käthel, wie wir sie nannten, kam 1934 als Kinderpflegerin zu uns nach Compehnen auf das Gut meiner Eltern, Gert Frhr. von der Goltz und seiner Ehefrau, Ursula, geb. von Heyking.

Käthel hat unsere Kindheit ganz wesentlich geprägt. Meine ältere Schwester, Adele, die 1931 geboren ist, erinnert viele Einzelheiten, die mir nicht mehr alle im Gedächtnis geblieben sind. Wir hatten noch zwei jüngere Geschwister, eine Schwester Almut, 1935 geboren, und einen Bruder Bernd, der 1937 zur Welt kam. So gab es für Käthel, die bis 1938 bei uns blieb, ein reiches Betätigungsfeld. Das hat sie mit viel Freude und Hingabe ausgefüllt. Sie hat uns mit Konsequenz aber auch viel Liebe gelenkt und erzogen.

Käthel spielte viel mit uns, Kinderlieder wurden eingeübt und gesungen. Außerdem gebastelt und die Geschicklichkeit spielerisch erprobt.

Zu Ostern, Weihnachten und bei Geburtstagen fertigte sie Tischdekorationen an, auch wir Kinder wurden zu festlichen Anlässen mit Blumenkränzen geschmückt.

Von ihrer Hand entstanden schönste Strohsterne (noch im hohen Alter hat sie uns zu Weihnachten damit beglückt).

Topfschlagen, Sackhüpfen, Blinde Kuh, Dreh dich nicht um, der Plumpsack geht rum und andere Spiele waren Höhepunkte bei Kinderfesten.

Ihre Mutter, Anna Goerke, war ebenfalls auf unserem Gut beschäftigt. Später führte sie den Haushalt meiner Großmutter väterlicherseits. Käthels Vater, Fritz Goerke, war gleich zu Beginn des ersten Weltkriegs gefallen. Da war sie gerade ein Jahr alt.

Bald nach Beendigung ihrer Tätigkeit bei uns heiratete sie Bertold Swiderski. Der Ehe waren drei Kinder beschert: Peter, Annelore und Rainer. sechs glückliche Ehejahre waren dem jungen Paar vergönnt. Ihr Mann wurde eingezogen und ist aus dem Krieg nicht heimgekehrt.

Auf der Flucht, gemeinsam mit ihrer Mutter, erlebte sie in Danzig „die schwerste Zeit meines Lebens“, wie sie in ihren Erinnerungen „Licht und Schatten“ schreibt. Die Russen hatten die Stadt überrollt. In dem inzwischen entstandenen Flüchtlingschaos fanden sie in dem total überfüllten Danzig keine Bleibe. Hunger und Kälte forderten viele Opfer. Vor allem die katastrophale Unterernährung wurde zu einem großen Problem, nachdem die letzten Vorräte von zu Hause aufgebraucht waren.

In dieser Not lagen die Kinder mit schwerem Durchfall und Fieber darnieder. Am 19. Januar 1945 starb ihr jüngstes Kind, Rainer, Ende April ihr ältester Sohn, Peter, unmittelbar danach auch ihre Tochter, die drei Jahre alt geworden war. Erschütternd ist Käthels Bericht darüber, wie die Kinder in einer zusammengezimmerten Kiste ihre letzte Ruhe fanden und auf dem Friedhof in Danzig-Oliva begraben wurden. Sie schreibt in ihren Erinnerungen: „Es befriedigte mich, dass wir die Kinder zu Gott geführt hatten. Fast mechanisch tat ich danach die mir von den Russen zugewiesenen Arbeiten.“

Lebensbejahend, wie Käthel von Natur aus war, und fest im Glauben, der sie stärkte, fand sie die Kraft weiterzuleben. Sie wollte für ihre Mutter da sein und für ihren Mann, von dessen Tod sie noch nichts wusste. Sie erfuhr es erst später durch den Suchdienst.

Von den Russen gezwungen, nach Ostpreußen zurückzukehren, verbrachte sie in ihrer alten Heimat im Samland noch eine schwere Leidenszeit voll Hunger und Entbehrungen, bis sie im November 1947 in den Westen ausreisen konnten.

Ihre Mutter, Anna Goerke, von uns Anna-Muttel genannt, wohnte dann noch einige Jahre bei unserer Familie und führte uns den Haushalt. Wir waren nach der Flucht auf Gut Bode im Kreis Uelzen / Niedersachsen gelandet. Käthel selbst wurde nach Zwischenaufenthalten im Harz und in Kloster Medingen, wo sie der mit uns eng befreundeten ostpreußische Familie von Negenborn den Haushalt führte, in Bretten/Baden ansässig.

Hier hatte sie sich mit dem Bruder ihres Mannes zusammengefunden, der seine Frau und zwei Kinder in Ostpreußen verloren hatte. Sie waren verhungert.

Käthe und Edmund heirateten 1950. Über 60 Jahre lebte sie in Bretten, das ihr zur zweiten Heimat wurde. 1954 wurde ihnen ein Sohn, Frank, geboren. Frank, übrigens mein Patenkind, entwickelte sich zu aller Freude zu einem tüchtigen, strebsamen jungen Mann.

Die Erziehung im Elternhaus, insbesondere durch seine Mutter, die ihm ein Beispiel und Vorbild war, hat dazu entscheidend beigetragen. So war ihnen noch ein spätes und großes Glück beschert, ein Ausgleich für das unendliche Leid, was der gnadenlose Krieg ihnen zugefügt hatte.

Nach der Heirat von Frank mit Hayan, einer jungen Chinesin, kam ein Töchterchen, Eva, auf die Welt. Dieses Kind sollte für die Großmutter Käthe ein großer Quell des Segens und der Freude werden. Eva entwickelte eine ganz enge Beziehung zu ihrer Oma, musizierte mit ihr, las ihr vor (nachdem Käthel in ihren letzten Lebensjahren nahezu erblindet war), und nahm viele Anregungen auf, wenn die Großmutter von Ostpreußen erzählte. So entstand der Bericht „Wie der Flammfladen nach China kam“, der in einem der letzten Samland-Briefe veröffentlicht wurde. Eva hat es vermocht. das Leben von Käthel so zu bereichern, dass in ihrem Herzen noch ein spätes helles Licht entstand.

Unsere Familie, das heißt meine Eltern und wir vier Geschwister, hielten die Beziehung nach Bretten über all die Jahre lebendig. Käthel wurde Patentante unserer jüngsten Tochter Catharina. Wir besuchten uns gegenseitig und hielten stets telefonisch den Kontakt aufrecht. Traurige Anlässe zu Besuchen waren auch der Tod von Anna-Muttel (1968) und Edmund, der 1996 mit 88 Jahren verstarb.

In Käthels letzten Lebensjahren war es ihr nicht mehr möglich zu reisen, sodass Besuche nur noch von unserer Seite erfolgten.

Bei unserem letzten Telefonat in diesem Jahr am 18. Januar, als Käthel bereits in dem katholischen Pflegeheim in Bretten war, sprach sie über den bevorstehenden Umzug in ein Altenheim nach Berlin. Frank und Familie leben seit vielen Jahren in Berlin, wo er als Lehrer tätig ist.

Sie freute sich darauf, in der Nähe ihrer Kinder zu sein, wenn ihr auch der Abschied von Bretten nicht leicht geworden wäre. Sie sagte mir aber auch, dass ihr das Leben durch Schmerzen und Schlafprobleme schwer geworden sei. Zum Schluss erwähnte sie in ihrer so positiven Art: „Weißt du, Erikchen, hier im Heim war gestern Gedächtnistraining. Da war ich Spitze!“

Nun mussten wir Abschied von ihr nehmen. Sie starb kurz vor ihrem 98. Geburtstag. Für unsere Familie ist mit ihrem Tod wieder ein Stück Heimat untergegangen. So wie sie für uns ein Kompass in der Kindheit war, so war sie in den langen Jahren in Bretten der gute Geist für die Nachbarschaft und die ganze Siedlung am Goetheweg.

Sie war ein Beispiel an Menschlichkeit und Güte. Sie konnte etwas, was selten ist: Sie gab mehr als sie nahm.  Erik v. d. Goltz


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren