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30.04.11 / »Mein Herz schlägt für das Europa der Bürger« / Die PAZ im Gespräch mit dem EU-Abgeordneten Martin Kastler über den Euro, die EU, den Islam und die Grünen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-11 vom 30. April 2011

»Mein Herz schlägt für das Europa der Bürger«
Die PAZ im Gespräch mit dem EU-Abgeordneten Martin Kastler über den Euro, die EU, den Islam und die Grünen

Die Begeisterung der Deutschen über Europa und den Euro hielt sich stets in überschaubaren Grenzen. Die Euro-Krise und der Umstand, dass vor allem der deutsche Steuerzahler die Rettung der Gemeinschaftswährung schultern muss, sorgen nun für Unmut. Rebecca Bellano fragte den CSU-Politiker und EU-Abgeordneten Martin Kastler, wie er, der sozusagen in beiden Welten agiert, die Situation beurteilt (siehe auch Seite 8).

PAZ: Sehr geehrter Herr Kastler, Sie sind seit 2003 Abgeordneter im EU-Parlament. Derzeit denken alle nur an Euro-Rettung, wenn das Thema EU fällt. Welche wichtigen, aktuellen EU-Themen gehen Ihrer Meinung nach derzeit in der Berichterstattung total unter?

Kastler: Da sprechen Sie ein wichtiges Faktum an: Ja, das Europäische Parlament leidet weiter unter der mangelnden Wahrnehmung in der europäischen Öffentlichkeit. Und das, obwohl die Presse längst mehr und informierter berichtet als noch vor zehn Jahren. Es kommt zu wenig bei den Menschen an. Dabei sind wir eines der einflussreichsten Parlamente überhaupt. 736 Abgeordnete vertreten die Interessen von 500 Millionen Bürgern – das ist die größte Wählerschaft der Welt. Spätestens seit dem Vertrag von Lissabon läuft in Europa nichts mehr ohne unsere Zustimmung. Auch beim Euro-Krisenmanagement hatte das Europäische Parlament eine zentrale Rolle – beispielsweise wurden viele der letztlich umgesetzten Maßnahmen durch den parlamentarischen Sonderausschuss zur Wirtschaftskrise in die Diskussion gebracht. Das war eine Aufgabe unter ganz vielen. Plenarwoche für Plenarwoche arbeitet das Parlament im Dienst der Bürger – und nicht der Bürokratie. Initiativen dieser Woche, wie etwa die neue Verbraucherrichtlinie – eines der umfangreichsten Gesetzgebungspakete in der Geschichte der EU – stärken ihre Rechte ganz konkret: Im Supermarkt, beim Autokauf oder im Online-Shop – um nur drei Beispiele zu nennen.

PAZ: Wie stehen Sie als Berufs-Europäer, aber auch als deutscher CSU-Politiker zur Euro-Rettung und den damit verbundenen hohen Kosten und Risiken für Deutschland? Schlagen hier zwei Herzen in Ihrer Brust?

Kastler: Mein Herz schlägt für das Europa der Bürger. Dafür wurde ich gewählt. Die Rettung des Euro ist sicherlich keine leichte Aufgabe für Europa – und sie war teuer. Doch wer diese Rechnung angeht, sollte auch die Gegenrechnung aufmachen: Was wäre, hätte Europa in der Krise keinen Euro gehabt? Was würde passieren, wenn der Euro heute als Währung zusammenbräche? Die Antwort der Experten ist in vielen Fällen gleichlautend: Leidtragend wäre vor allem Deutschland. Der Export unseres Landes geht zu über 60 Prozent in andere EU-Länder. Der Euro garantiert unserer Wirtschaft Sicherheit, unsere Industrie profitiert mit am stärksten vom gemeinsamen Binnenmarkt Europas. Insofern stand und steht für mich der Euro als Währung außer Diskussion. Das Problem des Euro ist nicht in erster Linie die Stabilität – es ist die Vertrauenswürdigkeit. Die Menschen in Europa trauen ihrer gemeinsamen, starken Währung zu wenig zu. An diesem Imageproblem müssen alle arbeiten.

PAZ: Das Image der EU ist leider sehr schlecht. Personen wie Hermann von Rompuy und Catherine Ashton sollten eigentlich der EU ein Gesicht geben, doch werden Sie, wenn überhaupt, eher als blasse Witzfiguren wahrgenommen. Ansonsten sehen viele Deutsche sich als Zahlmeister für ein Europa, das vor allem nutzlose Richtlinien am Fließband produziert. Glauben Sie, dass die EU so jemals die Menschen erreichen kann oder bedarf es eines Kurswechsels, wenn ja, wohin?

Kastler: Wir in der CSU stehen seit Jahrzehnten ein für das Europa der Bürger. Weniger Bürokratie, mehr praktischer Nutzen – das ist unser Ziel. Und dafür packen wir an – auch ganz konkret, an prominenter Stelle. Nicht umsonst hat der Kommissionspräsident unseren ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber zum ehrenamtlichen Vorsitzenden der Entbürokratisierungskommission gemacht. Auf die Vorschläge Stoibers hin wurden inzwischen 14 Prozent älterer Rechtsvorschriften der EU abgeschafft, ganze 40 Milliarden Euro spart sich Europas Wirtschaft dadurch. Ein Beispiel: Die Befreiung der Kleinunternehmen vom Bürokratiemonster Bilanzierungspflicht. Jeder kleinere Unternehmer in Deutschland spart sich dadurch etwa 1500 Euro Aufwand pro Jahr. Sie sehen, es gibt viele „good news“ aus Europa. 

PAZ: Sie sind engagierter Katholik. Ihr CSU-Kollege Hans-Peter Friedrich hat die Debatte, inwieweit der Islam zu Deutschland gehört, neu belebt. Wie beurteilen Sie die Debatte und ihre Bedeutung?

Kastler: Ich habe den Eindruck, dass diese Debatte in den Medien manchmal viel zu stark vereinfacht wird: Allein der Glaube hindert niemanden daran, sich in einem anderen Land zu integrieren. Sicher ist der Islam eine Realität in Deutschland. Und genauso unumstritten ist es, dass beide Seiten bereit sein müssen, eine erfolgreiche Integration mitzugestalten. Ich bin überzeugt: Ehrlichkeit schadet der Debatte nicht, sie fördert sie. Anders als viele arabische Länder garantieren wir die Religionsfreiheit. Der Islam erhält seinen Raum in unserer Gesellschaft – so lange er sich im Rahmen unserer Grundwerte bewegt. 

PAZ: Welche Risiken sehen Sie im aktuellen Linkstrend der Union für Deutschland und ihre Partei?

Kastler: Was heißt, Linksruck? Zwischen CDU und CSU gab es da schon immer elementare Unterschiede. Zudem haben sich die tradierten Milieus in der Bevölkerung verschoben. Ich wage die These, dass es in Teilen gar keine festen Milieus mehr gibt. Moderne Politik ist so dynamisch wie die Welt. Machen wir nicht den Fehler, politische Neupositionierungen gleich mit links oder rechts abzustempeln. Politik ist ein Prozess – und auch Parteien begleiten ihn. Wenn etwa die Union nach den Vorkommnissen in Japan ihre Einstellung zur Kernkraft überdenkt, so beruht das auf Fakten. Ich darf daran erinnern, dass es die konservativen Kreise kirchennaher Umwelt- und Friedensgruppen waren, aus denen sich die Grünen vor über 30 Jahren abgespaltet haben. Überlegen Sie, mit welchen Themen die Grünen punkten: Es sind nicht die linken Extrempositionen. Insofern ist der Erfolg der Grünen auch ein Phänomen des neuen Konservativismus – und einer gefühlten Nähe zum Volk. Die müssen die Volksparteien wieder neu lernen. 


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