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30.04.11 / Seriöse Politik sieht anders aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-11 vom 30. April 2011

Seriöse Politik sieht anders aus
von Wilhelm v. Gottberg

Seit die Politik auf die inneren Gärungen der Völker gegründet ist, hat alle Sicherheit ein Ende.“ Dieser Satz Jakob Burkhardts, hochaktuell wie wir meinen, gilt für die Innen- wie für die Außenpolitik. Die nachstehenden Gedanken gelten der innenpolitischen Dimension.

Es ist nicht zu bestreiten, die Anti-Kernkraftbewegung in Deutschland ist – einem jahrzehntelangen Gärungsprozess vergleichbar – nach Tschernobyl und Fukushima mehrheitsfähig geworden. Wie sehr die Anti-Atomstimmung nunmehr auf die Politik Einfluss nimmt, zeigt Merkels Dreimonats-Moratorium für die Abschaltung älterer Atommeiler und der Stresstest für alle übrigen AKWs: eine Wende um 180 Grad. Gewiss, es gab immer schon gute Gründe gegen die Kernenergie. Aber, es gab auch gute Gründe für ihre Nutzung. Die Atommeiler Deutschlands wurden in den 60er und 70er Jahren konzipiert und gebaut. Einige Meiler gingen erst in den 80er Jahren in Betrieb. Damals hatte man noch nicht die Möglichkeiten der regenerativen Energiegewinnung erkannt. Es war im Hinblick auf die nachwachsenden Generationen unverantwortlich, Raubbau an den fossilen Energieträgern Öl und Kohle zu betreiben. Die erste Öl-Krise 1973 deckte die Abhängigkeit Deutschlands von ausreichenden Öl-Importen auf: deshalb die Entscheidung für eine Nutzung der Kernenergie. Nach Tschernobyl und mit Erkenntnissen über alternative Energiegewinnung war klar, dass die Kernenergie nur noch eine Brückenfunktion hatte.

Der Abschaltplan für die AKW der Regierung Schröder/Fischer trug dem Rechnung. Die Regierung Merkel/Westerwelle miss-achtete mit der Laufzeitverlängerung für die Meiler die Stimmung der Menschen in dieser Frage. Die Verlängerung ohne Einschaltung des Bundesrates sorgte für zusätzliche Polarisierung. Die Kanzlerin wünscht nunmehr einen schnellen Ausstieg, unterfüttert mit dem Argument, dass nach Fukushima das Undenkbare denkbar geworden sei. Eine hastig einberufene Ethik-Kommission soll bis Ende Mai beraten und das gewünschte Ergebnis empfehlen. Schnell soll das gehen. Schnell, weil der Zick-Zack-Kurs Merkels in der Kernkraftfrage überdeckt werden soll durch eine konsensorientierte Ausstiegspolitik. Die Details der Nachteile dieser Politik für den exportorientierten Wirtschaftsstandort Deutschland sind auf die Schnelle nicht seriös zu ermitteln. Klar ist, dass der Ausstieg für den Steuerbürger teuer wird. Klar ist auch, dass die Klimaschutzziele bei einem schnellen Ausstieg nicht zu halten sind (Verminderung der Treibhausgase um 40 Prozent bis 2020). Beachtet werden muss, dass die deutsche Industrie nur konkurrenzfähig bleibt, wenn ihr Energie für die Produktion preiswert zur Verfügung steht. Das wird im Zweifelsfall Atomstrom aus den Nachbarstaaten sein. Ist das gewollt? Der Ausbau der Stromtrassen ist teuer und muss gegen den Widerstand eines Teiles der Bevölkerung durchgesetzt werden. Wird bedacht, dass für die Energiegewinnung durch nachwachsende Rohstoffe landwirtschaftliche Flächen aus der Nahrungsmittel-Produktion genommen werden müssen? Muss die Ausstiegsdebatte nicht europaweit geführt werden, um dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen Rechnung zu tragen?

Diese Fragen können nicht bis zum Ablauf des Moratoriums am 15. Juni verantwortungsbewusst beantwortet werden. Das kann auch die Expertenkommission – irreführend Ethikkommission genannt – nicht leisten. Deshalb ist der Bundesregierung anzuraten, ein modifiziertes Moratorium bis mindestens Ende 2012 zu verlängern. Der Ausstiegsfahrplan muss mit Rahmenbedingungen ausgestattet werden, die einen Ausstieg aus der Kernenergie auch ermöglichen.


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