19.04.2024

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30.04.11 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-11 vom 30. April 2011

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,           
liebe Familienfreunde,

es ist schon erstaunlich, wie unsere Leserinnen und Leser sich mit den Schicksalen beschäftigen, die wir auf dieser Familienseite bringen. Da ist schon ein lebhaftes Mitfühlen und Mitdenken spürbar und das konnte auch Herr Günter Lange aus Wandlitz verzeichnen, der ein Kapitel der Lebensgeschichte seines Großvaters aufzeichnete, die er im Nachlass seines Vaters gefunden hatte, und uns bat, diese Erinnerungen zu veröffentlichen. Das haben wir getan, in Folge 12 erschienen die Aufzeichnungen über den Kutscher Lange, der jahrelang mit seiner achtköpfigen Familie in einem Kellerloch am Königsberger Viehmarkt hausen musste, weil er steckbrieflich gesucht wurde. Er hatte als Kutscher auf einem Gut im Kreis Wehlau bei der späten Heimfahrt von einem Vergnügen bei eisiger Kälte nicht bemerkt, dass der eingeschlafene Gutsherr vom Schlitten gefallen war. Als man ihn nach vergeblicher nächtlicher Suche am nächsten Morgen in einem Graben fand, war es zu spät, der Vermisste war erfroren. Aus Angst vor Bestrafung flüchtete er mit seiner Frau und sechs Kindern nach Königsberg, wo er in dem Kellerloch am Viehmarkt Unterschlupf fand. Und dort lange Jahre – von 1908 bis 1913 – blieb, bis …. ja, bis wann und unter welchen Umständen? Das fragten sich auch einige Leserinnen und Leser und wandten sich mit dieser Frage an den Enkel. Um nicht jedem Anrufer oder Schreiber ausführlich Auskunft geben zu müssen, übersandte uns Herr Lange seine Ausführungen über den Verlauf des Schicksals seines Großvaters und so heißt es bei uns heute: Fortsetzung erfolgt! „Wie beschrieben konnten alle Acht in einem Keller in der Nähe des Viehmarkts unterkommen, nachdem sie zu Fuß nach Königsberg geflüchtet waren. Der freundliche Hauswirt erlaubte, dort eine Unterkunft zu haben und auch den Nebenkeller mit zu benutzen. Nun gingen alle daran, beide Keller zu säubern, die Wände zu weißen und nach und nach gebrauchte Möbel zu besorgen. Der Hauswirt schlug vor, mit dem sich im Alten Garten 17 befindenden Corps 2 der Heilsarmee Verbindung aufzunehmen, um eine Betreuung in Form von Hilfe für den Lebensunterhalt zu erhalten. Das ging gut, weil auch ein Kapitän der Heilsarmee für alle sorgte. Er unterrichtete dazu die vier schulpflichtigen Kinder im Lesen und Schreiben und brachte ihnen sogar etwas Englisch bei, denn er stammte aus England. Mein Opa und die Oma sammelten auf einem kleinen Handwagen Knochen von den Fleischereien und brachte sie dann zum Seifensieder in der Knochenstraße Nr. 8. (mit der Kernseife sind wir groß geworden!) Alles musste heimlich abends geschehen. Nach einiger Zeit wurden durch Vermittlung der Heilsarmee ein Pferdchen und ein Wagen angeschafft. Da war der Kutscher Lange in seinem Element. Die Fleischer wussten von dem Schicksal der Wehlauer und ließen manchen Knochen mit gutem Fleisch für die achtköpfige Familie zurück. Nach einigen Jahren ließen die Angehörigen des verstorbenen Gutsbesitzers Gnade vor Recht ergehen, indem sie die Beschuldigungen aufhoben. Endlich wurde nach sechs Jahren Kellerdasein eine Drei-Zimmer-Wohnung auf dem Oberhaberberg, im sogenannten „Flinsenwinkel“ bezogen. Von den drei Jungen starb einer im Ersten Weltkrieg. Alle anderen überlebten wohlbehalten – wie eben echte Ostpreußen!“

Soweit die − sagen wir vorsichtig: erste − Fortsetzung der Geschichte, denn sie wird jetzt noch weitere Leserinnen und Leser beschäftigen. Jedenfalls eins ist sicher: Da müssen damals im alten Königsberg viele Augen weggesehen und viele Hände geholfen haben. Und dass sich diese Erinnerungen bis auf den heutigen Tag so lebendig bis in alle Einzelheiten erhalten haben und immer noch zu Fragen Anlass geben, ist schon bemerkenswert. Günter Lange ist übrigens auch ein echter Haberberger Jung: Der 1927 Geborene hat in der Roonstraße 18 gewohnt.

„Auf unsere Ostpreußische Familie ist Verlass“! konnte auch Frau Ingeborg Gratias aus Halle feststellen. Hatte sie sich schon gefreut, dass ich den Irrtum mit den alten ostpreußischen Ortsnamen klären konnte, der bei der Suche nach Auskunft über ihren Onkel Bruno Fischer entstanden war, so war sie überrascht über die Anrufe, die sie aufgrund des von ihr verwalteten Nachlasses der Königsbergerin Ilse Gehlhaar erhielt. Das erste Telefongespräch mit einem Landsmann bezog sich weniger auf die angebotenen Fotos und Bücher, sondern auf den Namen Gehlhaar, den auch der Anrufer trägt. Er betreibt Ahnenforschung und hat einen Schwerpunkt auf die Namensforschung gelegt. Die Spezialkartei des Anrufers enthält 640 Träger des Namens Gehlhaar/Geelhaar. Seine Ahnen, unter denen sich Würdenträger wie Straftäter befinden, kann er bis in das 14. Jahrhundert zurückverfolgen. Das ergab natürlich ein langes, aber auch interessantes Gespräch, wenngleich sich auf die eigentlichen Fragen von Frau Gratias, die auch die Suche nach Hans-Georg Gehlaar, den Bruder der verstorbenen Ilse G. beinhalteten, kein Bezug ergab. Anders war es da schon bei dem Anruf eines Lesers, der aus Masuren stammt. Er konnte Frau Gratias von einem Kameraden dieses Namens berichten, mit dem er als 19-jähriger Nachrichtenmechaniker an der Front lag. Als der Lycker Heimaturlaub bekam, machte er Zwischenstation in Königsberg bei den Eltern seines Kameraden Gehlhaar, die ihm ein Päckchen für den Sohn mitgaben. Es sollte ein besonderes Geburtstagsgeschenk für den 21-jährigen Funker enthalten. Der Überbringer konnte seinen Auftrag nicht ausführen: Sein Kamerad war inzwischen gefallen. Wenn es in diesem Fall auch keinen direkten Bezug auf den Gesuchten – außer der Namensgleichheit gab −, so dauerte auch dieses Gespräch sehr lange.

Aber dann kam ein Anruf, durch den wenigstens die Frage geklärt werden konnte, um welche Schule es sich handelte, die Ilse Gehlhaar in Königsberg besucht hatte. Es meldete sich eine 1926 geborene Königsbergerin, die zusammen mit der ein Jahr älteren Ilse Gehlhaar in der Rossgärter Mittelschule die Schulbank gedrückt hatte. Über dieses Gespräch hat sich Frau Gratias besonders gefreut, wie sie schreibt: „Es gab viel zu erzählen. Und da fällt mir Ihr Bonmot ein, dass – wenn zwei unbekannte Ostpreußen sich unterhalten − sie nach kurzer Zeit feststellen, dass sie gemeinsame Bekannte haben und nach einem weiteren Weilchen sie auch noch verwandt sind. Ganz so weit ging es zwar in unserem Gespräch nicht, aber irgendwann fanden wir auch eine Gemeinsamkeit, sogar ein ,Familienmitglied’ betreffend.“ Besonders berührt hat Frau Gratias die Erinnerungen der Königsbergerin an ihren Hund, den Deutschen Boxer mit dem stolzen Namen „Brack vom Pregel-strand“, den die Familie zurücklassen musste, als sie von dem Sommerhaus in Neuhäuser, ihrem Notquartier nach der Ausbombung in Königsberg, auf die Flucht gingen. Wie mag es dem treuen Tier wohl ergangen sein? Die Frage lässt die Königsbergerin bis heute nicht los.

Wir haben in letzter Zeit viele Zuschriften zu Vorgängen bekommen, die weit zurück liegen – dem Internet sei Dank! „Nur“ drei Jahre zurück liegt der Bericht über das polnische Arbeitslager Potulice, in das auch deutsche Kinder zwangsweise eingewiesen wurden. Das gleichzeitig in Folge 43/08 veröffentlichte Foto zeigt einen Teil der 155 Kinder, die im Januar 1948 aus dem Lager entlassen wurden. Die Aufnahme wurde in Breslau gemacht, wo die Kinder in Quarantäne lagen. Die Königsbergerin Eleonore Kern war auch darunter, ihr Bruder musste im Lager zurück-bleiben und verstarb dort nach dreijähriger Gefangenschaft im Alter von 17 Jahren. Die Geschwister waren elternlos in Pommern von den Polen gefangen genommen worden, wohin die aus dem zerbombten Königsberg nach Konitz evakuierten Kinder geflohen waren. Frau Kern gründete, nachdem sie einen Aufruf von Dr. Gustav Becker aus Elsterverda im Ostpreußenblatt gelesen hatte, mit ihm die „Initiativgruppe Zentrales Arbeitslager Portulice“. Sie übersandte mir Unterlagen über das Lager und die Vereinigung, der bald 100 Mitglieder angehörten. Ich schrieb zu dem Foto: Vielleicht erweckt es auch bei unsern Lesern Erinnerungen, denn es dürften viele Flüchtlinge aus Ost- und Westpreußen im Lager gewesen sein.“ Erst jetzt stieß Herr Mirko Franke aus Plauen beim Recherchieren zur Herkunft seines Vaters auf Bericht und Bild und – sein Vater erkannte sich auf dem Foto wieder. Er konnte sogar den Namen der den Kindertransport begleiteten Diakonisse nennen, sie hieß Erna Keim. Sein Vater ist ein namenloses Findelkind aus Ostpreußen, das sich „nach dem derzeitigen Wissensstand“ im Lager Potulice befand, wie Herr Franke schreibt, was ja nun durch das Foto bewiesen ist. Herr Franke hat inzwischen mit Frau Eleonore Kern in Hildesheim Verbindung aufgenommen und damit hat sich auch meine Hoffnung auf die Meldung weiterer Lagerkinder von Potulice erfüllt.

Immer wieder steigen bei unseren Leserinnen und Lesern die Erinnerungen an ihre Kindheit und die Jugendjahre auf, in denen sie das Schlimmste erleben mussten, wenn Leidensgefährten von damals dies schildern. So wie Frau Herta Manfraß aus Köln, die im Lager Bartenstein interniert war und in der Gefangenschaft ein Gedicht geschrieben hatte, das die Träume der Hungernden wiedergab. Zwei Leserinnen, die das gleiche Schicksal hatten, meldeten sich bei ihr, beide Königsbergerinnen wie Herta Manfraß, beide als Kinder auf dem Haberberg wohnhaft, eine von ihnen lebt sogar heute in Köln, die andere war mit Herta zusammen im Lager Pr. Eylau. Dass es da viel zu erzählen gibt, liegt auf der Hand, und so wird es demnächst zu einem Treffen kommen, zu dem unsere Ostpreußische Familie die Weichen gestellt hat. Das sind dann schon Lichtpunkte in unserer gemeinsamen Familienarbeit.

Und noch einen Dank muss ich an unsere Leserinnen und Leser weitergeben. Herr Siegfried Dankert aus Leipzig spricht ihn aus, denn auch seine Fragen wurden voll beantwortet: „Wann war der Russe in Metgethen?“ und „Was wurde aus den Männern, die aus dem Treck herausgeholt wurden?“ Wir hatten schon von unserer Seite über die Resonanz berichtet, die auch wir verspürten, nun bedankt Herr Dankert sich bei den Zeitzeugen, die sich bei ihm gemeldet haben und ihm die erwünschten Auskünfte geben konnten.

Und nun zu den 14 Fotos vom Deutschen Tag 1920 in Bischofsburg, die wir an interessierte Landsleute weitergeben wollen. Es betrifft die 14 Privatfotos, die am Deutschen Tag 1920 in der Stadt gemacht wurden und die ich schon seit Jahrzehnten treu bewahrt hatte, weil sich damals niemand für diese Aufnahmen zu interessieren schien. Aber jetzt, da es eigentlich wegen der fortgeschrittenen Zeit noch weniger Interessenten geben müsste, ist der Knoten geplatzt – und wie! Es kamen so viele Zuschriften und Anrufe, dass es schwer fällt, die richtige Wahl zu treffen. So müssen wir der Reihe nach vorgehen, wobei wir möglichst teilen wollen. Denn da es sich um keine Fotomappe mit nummerierten Aufnahmen handelt und die Motive sich wiederholen, können wir gut splitten. Den Hauptteil bekommt ein Landsmann für sein Archiv, das er mit viel Mühe, Fleiß und großer Heimatliebe aufgebaut hat und in dem er sich besonders auf das südliche Ermland konzentriert. Da aber die damalige Übersenderin der Fotos meinte, dass die Bilder vor allem Bischofsburger Bürgern zu Gute kommen sollten, werden auch einige von ihnen mit Einzelfotos bedacht. So Herr Johannes Roweda, der wie seine drei Geschwister in Bischofsburg geboren wurde und auch heute gerne dorthin fährt, um alte Erinnerungen aufzufrischen. Er hatte in den von uns veröffentlichten Bildern gleich seine Heimatstadt erkannt und meint, dass wir – wenn wir nicht alle Bewerbungen erfüllen könnten – sämtliche Fotos veröffentlichten sollten, was aber schon wegen der mangelnden Qualität nicht realisierbar wäre. Ein anderer Leser bat um ein Foto, weil sein Großvater das Uhren- und Goldwarengeschäft am Markt besaß. Er soll es haben.

Ruth Geede


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