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07.05.11 / Viel Lärm ums Atom / In der Ethik-Kommission geht es nicht um Pro oder Contra, sondern um früher oder später

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-11 vom 07. Mai 2011

Viel Lärm ums Atom
In der Ethik-Kommission geht es nicht um Pro oder Contra, sondern um früher oder später

Mit einer öffentlichen Expertenanhörung bereitete die Ethikkommission ihre Ende Mai fälligen Empfehlungen zur Zukunft der Kernenergie in Deutschland vor. Bis zu 1,3 Millionen TV-Zuschauer verfolgten das Spektakel, waren am Ende aber auch nicht viel klüger als zuvor.

Der Name des Gremiums ist Programm: Ethikkommission – da geht es nicht nur um Fakten, Daten, Zahlen, da geht es um Gut oder Böse. Die Bundesregierung will sich ihren in der Sache nur schwer nachvollziehbaren Kurs in der Energiepolitik moralisch abfedern lassen. So verwundert es nicht, dass in der von Angela Merkel installierten 17-köpfigen Kommission und unter den 30 zur Anhörung geladenen Experten neben ein paar Ingenieuren, Physikern und Wirtschaftsfachleuten auch Theologen, Philosophen, Sozialwissenschaftler und  sonstige „kritische Geister“ ausgiebig zu Wort kamen. Die wenig überraschende Tendenz: Wer für den möglichst raschen Ausstieg aus der Kernkraftnutzung ist, steht auf der guten, der moralisch richtigen Seite, wer trotz Tschernobyl und Fukushima Strom aus der Spaltung von Atomkernen gewinnen will, hat sich mit dem Bösen eingelassen.

So wird seit vielen Jahren die Energiedis­kussion in Deutschland geführt. Welche Art der Stromerzeugung die Umwelt am wenigsten belastet und die Geldbeutel der privaten und gewerblichen Verbraucher am effektivsten schont, ob die möglichen Gefahren des einen mehr zählen als die tatsächlichen Schäden durch die anderen Energieträger – all diese Aspekte treten zurück. Im Vordergrund steht die Frage: Ist die Nutzung der Kernspaltung, also sozusagen der Eingriff des Menschen in das, was laut Goethe „die Welt im Innersten zusammenhält“, ethisch und ideologisch vertretbar?

Dieses Thema hat wie kein anderes dazu beigetragen, aus der grünen Bewegung eine Partei mit klaren politischen Machtperspektiven auf Länder- und Bundesebene zu machen. Darüber hinaus hat, wie die Sitzung der Ethikkommission jetzt wieder bestätigte, die Atomdebatte eine Auflösung traditioneller parteigebundener Grundpositionen bewirkt.

Erst war es die SPD: Unter Helmut Schmidts Führung hatte sie in den 1970er Jahren die Segnungen des nuklearen Fortschritts in fast schon peinlicher Übertreibung bejubelt, um sich spätestens unter Gerhard Schröder als Anti-Atom-Partei bei den Grünen anzubiedern.

Heute sind es die sogenannten bürgerlichen, vormals konservativen Parteien, die mit atemberaubendem Tempo ins Lager der AKW-Aussteiger wechseln. Am wenigsten hätte man diese geradezu fluchtartige Wende von der CSU erwartet. Freilich bleibt noch abzuwarten, ob Ministerpräsident Horst Seehofer und sein Umweltminister Markus Söder den neuen Kurs – Totalausstieg bis spätestens 2020 – durchhalten können. Von der CSU-Landesgruppe im Berliner Reichstag bis zur Landtagsfraktion in München regt sich heftiger innerparteilicher Widerstand, zumindest gegen das vorgegebene Tempo.

Die Argumente, mit denen Union und FDP ihre neue Ausstiegsstrategie begründen, sind nicht neu. Neu ist nur, dass sie nun nicht mehr nur aus dem rot-grünen Lager zu hören sind.

So brachte denn auch die öffentliche Anhörung der Ethikkommission in der Sache nichts Neues. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles lag mit dem Etikett „Alibiveranstaltung“ nicht völlig daneben. Ihr Parteifreund Erwin Sellering, Ministerpräsident von Meck­lenburg-Vorpommern, präzisierte: Angela Merkel habe die Kommission eingesetzt, um „nicht selbst ihre 180-Grad-Wende in der Atompolitik begründen zu müssen“.

Voll des Selbstlobes hingegen wertete Klaus Töpfer (CDU) die Arbeit der von ihm geleiteten Kommission. Der einstige Umweltminister unter Helmut Kohl begrüßte vor allem die „ganz große Chance, das Thema in aller Breite und in aller Öffentlichkeit zu dis­kutieren“.

Positiv anzumerken bleibt, dass die öffentliche Diskussion wei­testgehend frei von Polemik verlief. Auch diejenigen, die für eine weitere Nutzung der Kernenergie plädieren, hatten hinreichend Gelegenheit, ihre Argumente in aller Ruhe und Sachlichkeit vorzutragen. Richtig emotional wurde es nur, als der Betriebsratsvorsitzende des AKW-Betreibers RWE, Reinhold Gispert, das Wort ergriff: „Als Mitarbeiter eines Kernkraftwerks kommt man sich im eigenen Land derzeit vor wie auf der Anklagebank. Was erwarten die Kolleginnen und Kollegen von Ihnen, den Mitgliedern der Ethikkommission? Helfen Sie dabei, solchen Auswüchsen, der Panikmache und Diskreditierung einer ganzen Branche, ihrer Mitarbeiter und ihrer Familien Einhalt zu gebieten!“

Der Gewerkschafter erinnerte daran, dass auch für die 30000 Mitarbeiter in deutschen Kernkraftwerken „Sicherheit unser wichtigstes Ziel“ sei. Die Anlagen hätten ein hohes technisches Niveau, die Beschäftigten verfügten über exzellentes Fachwissen. Er hoffe, dass die Kommission „vorurteilsfrei und ergebnisoffen prüft“. Die Kernkraftnutzung „war und ist demokratisch legitimiert. Sie wurde und sie wird permanent kontrolliert. Wir haben keinen Anlass geboten, dass wir heute diffamiert und moralisch angegangen werden, dass wir uns auch im privaten Bereich gegen manchmal massive Beleidigungen zur Wehr setzen müssen.“

Wie der Betriebsratsvorsitzende, so verwiesen auch die Vertreter der Energiewirtschaft darauf, dass Deutschland bei einem schnellen Ausstieg aus der Kernenergie den Strombedarf nicht aus eigenen fossilen oder regenerativen Quellen decken könne und daher Strom – auch Atomstrom! – importieren müsse. Gewarnt wurde auch vor einem deutschen „Sonderweg“, den kein anderes Land mitzugehen bereit sei. Und selbst Sprecher von Umweltorganisationen, die ja seit langem besonders lautstark den Atomausstieg propagieren, räumten ein, dass mit erheblichen Widerständen aus der betroffenen Bevölkerung zu rechnen ist, wenn man daran gehe, landschaftsprägende Baulichkeiten wie Überlandleitungen, Stromspeicher, Wind- und Solarparks zu errichten. An welcher Stelle – frei nach Brecht – dann erst „die Moral kommt“, ließ die Ethikkommission leider offen.      Hans-Jürgen Mahlitz


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