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07.05.11 / Tierbildhauer mit eigenem Maß / Eine Ausstellung in Schweinfurt geht den Spuren der Werke von August Gaul nach

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-11 vom 07. Mai 2011

Tierbildhauer mit eigenem Maß
Eine Ausstellung in Schweinfurt geht den Spuren der Werke von August Gaul nach

Er zählt zu den ersten modernen Bildhauern, da er sich von der Tradition löste, nur Auftragsarbeiten auszuführen. Der Bildhauer Au-gust Gaul gab dem Tier Würde und Charakter. Eine Ausstellung in Schweinfurt geht den Spuren seiner Werke nach.

Wenn morgens der Metrobus wieder einmal schneller ist als die Chronistin, dann gibt es zehn Minuten zum Atemholen. Zehn Minuten, um Kunst am Wegesrand zu bestaunen. Mitten im Trubel des „Einkaufsparadieses“ Mönckebergstraße in Hamburg sind vor der Fassade eines typischen Backsteinbaus der Hansestadt die Figuren von sechs Schafen zu entdecken. Im Laufe der Zeit von grüner Patina überzogen, stehen sie da und lassen sich von der Hektik des Alltags nicht beeindrucken.

Schafe mitten in der City? fragen von außerhalb Zugereiste. Die Plastiken stammen von dem Tierbildhauer August Gaul (1869–1921), der damit das 1913 von Fritz Höger errichtete ehemalige Klöpperhaus, benannt nach dem Bauherrn und Inhaber des Wollhandelshauses Adolf Klöpper, verzierte. Ursprünglich war auch eine lebensgroße Statue des Gottes Merkur in die Fassade integriert. 1942 wurde der Merkur jedoch wegen seines angeblich jüdischen Aussehens demontiert und gelangte zunächst in eine private Sammlung, 1949 dann als Geschenk in die Hamburger Kunsthalle.

August Gaul, dem lange von der Kunstszene Vergessenen, begegnet man derzeit in einer Ausstellung im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt. Dort werden 50 Plastiken und Skulpturen sowie 40 graphische Arbeiten des 1869 in Großauheim, Kreis Hanau, Geborenen gezeigt. Die Ausstellung präsentiert mit Gaul einen der ersten modernen Bildhauer in Deutschland. Indem August Gaul sich in erster Linie der Darstellung von Tieren widmete und nicht – wie seiner Zeit üblich – monumentale Denkmäler schuf, löste er sich von der Tradition, vorrangig Aufträge auszuführen. Bei ihm ist das Tier kein Sinnbild mehr für Macht oder Stärke (Löwe, Bär, Adler), sondern ein Lebewesen mit eigener Würde und eigenem Charakter. Nicht zuletzt deshalb wurden seine Arbeiten bald von der Bevölkerung sehr geschätzt – kaum eine Stadt, die nicht einen „Gaul“ vorweisen konnte. So erinnern sich die Königsberger sicher nicht ohne Schmunzeln an die „Kämpfenden Wisente“, im Volksmund scherzhaft „Staatsanwalt und Verteidiger“ genannt, standen sie doch seit November 1912 vor dem Gerichtsgebäude Hufen-Allee. Ursprünglich waren sie für Münster vorgesehen, wo sie nach den Vorstellungen Gauls vor dem Schloss stehen sollten. Die Stadt wünschte sich Hermann den Cherusker, das aber lehnte Gaul ab und schlug stattdessen einen Brunnen mit Seelöwen vor. Die Stadtväter von Münster lehnten ihrerseits ab. Dann kam Gaul mit den kämpfenden Wisenten. Man war empört und sah eine kaum versteckte Bosheit des Künstlers. Das Ministerium entschied nun kurzerhand, die Plastiken nach Königsberg zu geben. Eine Zeitlang im Tiergarten aufgestellt, stehen sie heute wieder an ihrem alten Platz. In Schweinfurt ist man vor allem der Frage nachgegangen, wie das Schicksal mit den Werken des Bildhauers umgegangen ist. Um auf den Zustand der Plastiken hinzuweisen, hat man sich nicht gescheut, lädierte und zerstörte Kunst in die Ausstellung einzugliedern. Fotografien zeigen den manchmal erbarmungswürdigen Zustand der Objekte. Oft wurden auch die Standorte gewechselt, wie etwa bei dem monumentalen Adler, der immerhin zwei Meter mal drei Meter misst und 30 Zentner wiegt. 1904 hatte Gaul den Adler mit seinen 5000 Federn aus Bronze für die Weltausstellung in St. Louis schmieden lassen. Da der Rück-transport zu aufwändig gewesen wäre, wurde der Vogel zum Verkauf angeboten. Seit 1911 „ziert“ er nun die Halle des Kaufhauses Macy’s in Philadelphia und ist zum Treffpunkt der Shoppingmüden geworden. Ein anderer Adler aus dem Atelier des Tierbildhauers hatte einen weitaus aufregenderen Flug hinter sich. Ebenfalls im Jahr 1904 entstanden, gelangte er nach 1908 zu dem Hamburger Reeder Albert Ballin, der ihn für den Eingang seiner Stadtvilla erwarb. Nach dem Tod Ballins 1918 gelangte dieser 1,17 Meter große Adler über die Witwe zum Verein Ring der Flieger nach Hessen. Seit 1923 ziert er das Fliegerdenkmal auf der Wasserkuppe in der Rhön.

Putzige Fischotter, stolze Löwen, spielende junge Bären, verdrossen dreinblickende Käuze, Ziegen, Katzen, Esel und Pinguine – ein wahrer Tierpark hat sich im Werk des Bildhauers zusammengefunden. Wenn auch aus Bronze oder Stein geschaffen, sind die Tiere doch so lebendig dargestellt, so typisch in der Haltung, dass man meint, sie müssten gleich aus der Vitrine oder vom Sockel springen.

„Von all den Künstlern, mit denen ich seit 25 Jahren in Verbindung bin, warst nur Du mir lieb wie ein Freund“, schrieb Käthe Kollwitz am 23. Oktober 1921 in ihr Tagebuch. Es war der

53. Geburtstag des Bildhauers August Gaul, zugleich auch der Tag, an dem er in Berlin-Dahlem zur letzten Ruhe getragen wurde. „Reich war dein Leben. Deiner Seele Fülle/ fand Maß, Gesetz und Pfad auf eigner Spur,/ du formtest, in edlen Tieres Hülle,/ die große, ewige, göttliche Natur“, schrieb Gerhart Hauptmann nach dem Tod des Freundes. Vielleicht sind die Werke des Bildhauers August Gaul aus diesem Grund noch so ansprechend wie vor 100 Jahren. Silke Osman

Die Ausstellung „August Gaul – Kleiner Tierpark. Das Schicksal der Skulptur“ im Museum Georg Schäfer, Brückenstraße 20, Schweinfurt, ist bis zum 26. Juni dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr geöffnet, Eintritt 7 / 6 Euro.


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