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07.05.11 / Regenten beim Spiel der Könige / 1000 Jahre Schachdorf Ströbeck – Dort gehen die Kinder mit dem Schachbrett zur Schule

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-11 vom 07. Mai 2011

Regenten beim Spiel der Könige
1000 Jahre Schachdorf Ströbeck – Dort gehen die Kinder mit dem Schachbrett zur Schule

Schach – das Spiel der Könige – ist längst zu einem Volkssport geworden. In Ströbeck aber, einem Dorf in Sachsen-Anhalt, hat es eine besondere Bedeutung erlangt.

Als der Preußenkönig Friedrich der Große 1773 in Ströbeck seine Pferde wechselte, wurde dem König als durchreisendem Gast eine Partie Schach gegen den Dorfschulzen angeboten. So war es Sitte in dem Ort. Nachdem Fried-rich II. zwei Partien gewonnen hatte, äußerte er seinen Zweifel an den Schachkünsten der Ströbecker. Daraufhin antwortete ihm der Schulze, dass er ein Spiel gewonnen habe, weil er sein König sei, das zweite, weil er sein Gast sei. Nun aber brauche er keine Rück-sicht mehr zu nehmen und man könne beginnen zu spielen. Die folgende Partie verlor der Alte Fritz, woraufhin er wortlos sein Pferd bestiegen haben und davon galoppiert sein soll.

Nur eine hübsche Legende? Die Wahrscheinlichkeit, dass sie wahr sein könnte, ist groß. Denn in Ströbeck, seit dem 1. Januar 2010 Ortsteil von Halberstadt in Sachsen-Anhalt, sind seit dem Mittelalter alle Bewohner des Dorfes mit dem Schachspiel vertraut. Der Überlieferung nach soll ein Adliger es im Jahr 1011 dort eingeführt haben. Als Gefangener des Halberstädter Bischofs habe er zum Zeitvertreib seine Bewacher damit vertraut gemacht. So erlernten die Ströbecker Schach zu einer Zeit, als das „Königliche Spiel“ nur dem Adel und der Geistlichkeit vorbehalten war und die einfache Dorfbevölkerung weder lesen noch schreiben konnte.

Die Bewohner von Ströbeck hüteten dieses besondere Können wie einen Schatz. Allen Kriegen, Seuchen und Hungersnöten zum Trotz gaben sie ihre „Kunst“ unbeirrt an die nachfolgenden Generationen weiter. Dabei spielten sie sehr lange nach den Regeln, die – so muss man vermuten – ihnen ihr legendärer Schachlehrer einst beigebracht hatte. „Spätestens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aber begannen sie, parallel das internationale Schach zu spielen. Das war auch die Zeit der zweiten, bis heute gültigen internationalen Schachreform. Die erste war um 1500“, erklärt Kathrin Baltzer, Leiterin des Schachmuseums. Um an den Turnieren der immer zahlreicher werdenden Vereine und Verbände teilnehmen zu können, blieb den Ströbeckern auch nichts anderes übrig. Vergessen sind die alten Regeln jedoch nicht.

Auch das 1688 eingeführte Spiel mit lebenden Figuren besteht bis heute. Schauplatz ist von altersher der mit einem großen Schachbrett versehene Dorfplatz. Ihren großen Auftritt haben Türme, Bauern und  Springer aus Fleisch und Blut traditionell beim internationalen Schachturnier am letzten Maiwochenende. Seit einiger Zeit tritt das Lebendschach ebenfalls zum Fest der Vereine am letzten Septemberwochenende auf, das immer zusammen mit dem internationalen Musikfestival stattfindet. Und seitdem Ströbeck zu Halberstadt gehört, ist es auch dort zu sehen, nach heutiger Planung wieder zum „TON am DOM“ am 2. und 3. Juli 2011 jeweils um 14.30 Uhr. Weitere Termine ergeben sich über das Jahr. Damit alles klappt, probt Ströbecks Lebendschach, bestehend aus Schülern und Erwachsenen, jeden Montag.

Die Kostüme haben mit der Zeit gewechselt. Seit 2006 liegen sie in den Händen einer Stiftung, die großen Wert auf regionale Identität legt. Seitdem schlüpfen die Spieler wieder in Kleider, wie sie in Ströbeck und Umgebung um 1850 getragen wurden: König und Königin erscheinen als reiche Bauern, der Läufer als Botenfrau, der Springer als Halberstädter Kürassier, der Turm als Schäfer und die Bauern bleiben Bauern.

Die Nummer 9 der Piazza mit dem passenden Namen Platz am Schachspiel beherbergt das Schachmuseum mit sehenswerten Exponaten.

Nach dem 30-jährigen Krieg fiel Ströbeck dem Herrschaftsbereich des Kurfürstentums Brandenburg zu. Der Große Kurfürst soll ein Meister im Schachspiel gewesen sein. 1651 besuchte der neue Landesherr auf einer Inspektionsreise auch Ströbeck und schenkte dem Dorf ein wunderschönes Schachbrett mit einem Courierspiel auf der Rückseite, wertvollen Intarsienarbeiten und einer Widmung sowie einem Satz silberner Figuren, die leider verloren gegangen sind. Das Kurfürstenbrett jedoch ist noch heute als besonderer Schatz im Schachmuseum zu bewundern.

Die Ströbecker hatten es sich angewöhnt, jedem neuen Regenten als Huldigungsgeschenk ein wertvolles Schachspiel zu überreichen. Dafür hofften sie, ihre Privilegien zu behalten, was auch gelang. Der Große Kurfürst hatte sich über diese Geste dermaßen gefreut, dass er sich mit einem Gegengeschenk gleicher Machart bei den Ströbeckern bedankte.

Diese Sitte bestand noch 1861, als Wilhelm I. zum König von Preußen gekrönt wurde und eine Ströbecker Delegation zu den Feierlichkeiten anreiste. Dabei erkundigte sich der König interessiert nach ihrer Schachtradition. Die Delegierten erhielten Gedenkmünzen. Den Dankesbrief des Königs für das Huldigungsgeschenk kann man im Museum nachlesen.

Die Huldigungsgeschenke sind Geschichte, Schach als Schulfach ist geblieben – seit 1823. Damals gab es viele Neubürger in Ströbeck. Um die besonderen Gepflogenheiten des Dorflebens auf breiter Ebene zu erhalten, wurde Schach in der Schule eingeführt. Auf diese Weise hat man die Neubürger in die Tradition integriert. Nicht ohne besonderen Anreiz: Am Schuljahresende, damals im Mai, wurde um das „Handwerkszeug“ gespielt. Die 8. Klasse spielte um drei Gewinner-Bretter, die 7. Klasse um drei Gewinner-Figurensätze. Dieser Wettkampf wird unverändert ausgetragen. Seit einigen Jahren allerdings in der 6. und 7. Klasse.

Schachunterricht ist in Ströbeck nach wie vor Pflichtfach und erscheint als Extrafach mit eigner Note auf dem Zeugnis. Versetzungsrelevant ist diese aber nicht. Der Schachunterricht steht einmal die Woche auf dem Stundenplan. Wem das nicht genügt, der kann zusätzlich in die Schach AG gehen. Zudem bietet der Schachverein Übungsstunden für Kinder an. Gelehrt wird das internationale Schach. Doch um die Tradition zu pflegen, gelten ein paar Stunden immer noch der alten Ströbecker Schachvariante.

„Die Lehrer haben mir erzählt“, so Kathrin Baltzer, „dass die Schachtalente natürlich unterschiedlich ausgeprägt sind, aber dass eigentlich alle Kinder den Schachunterricht mögen, weil er eine Abwechslung zu den anderen Unterrichtsfächern ist.“

Schachweltmeister wie Emanuel Lasker, nach dem die Ströbecker Grundschule benannt ist, hat die gut 1000 Seelen zählende Gemeinde bisher trotzdem nicht hervorgebracht. So bleibt ihr nur, ihre 1000-jährige Schachtradition mit einer Vielzahl von Veranstaltungen zu feiern. Dabei wechseln sich Theorie und Praxis ab, Literatur-Vorträge mit handfesten Schachturnieren.            

            Helga Schnehagen

Informationen zum Festprogamm 2011 im Internet unter www.schachdorf-stroebeck.de und www.schachmuseum-stroebeck.de


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