19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
14.05.11 / »Entweder ich liebe keinen oder alle« / Ihr Streben nach Freiheit, wie sie sie verstand, machte Fanny zu Reventlow zur »Skandalgräfin«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-11 vom 14. Mai 2011

»Entweder ich liebe keinen oder alle«
Ihr Streben nach Freiheit, wie sie sie verstand, machte Fanny zu Reventlow zur »Skandalgräfin«

Fanny Gräfin zu Reventlow versuchte, sich der Rolle zu entziehen, welche die Gesellschaft und vor allem ihre Mutter für sie bestimmt hatten. Die Gräfin tat dieses mit einer enormen Konsequenz und zahlte dafür einen hohen Preis.

Fanny Sophie Liane Auguste Adrienne zu Reventlow wurde am 18. Mai 1871 in das als prüde geltende Viktorianische Zeitalter geboren. Sie war das, was man eine „höhere Tochter“ nennt. Ihr Vater war Landrat in Husum, wo auch ihre Wiege stand, sie selber als Gräfin Mitglied der Aristokratie. Im Gegensatz zu ihrer älteren Schwester Agnes war sie nicht bereit, sich auf die ihr für die Zukunft bestimmte Rolle als Ehefrau und Mutter vorzubereiten. Sie reagierte mit Widerstand, den vor allem ihre Mutter, aber auch andere Mitglieder der Familie zu brechen versuchten.

Als die Eltern 1885 längere Zeit verreist und die Gouvernante erkrankt ist, nutzt Fanny die Gelegenheit, um mit ihrem jüngeren Bruder Carl in der „grauen Stadt am Meer“ herumzustreunen. Als Folge wird das Mädchen Ostern 1886 zur weiteren Erziehung in das Freiadelige Magdalenenstift in Altenburg geschickt – wo sie allerdings noch im selben Jahr wieder herausfliegt, weil sie Schulden gemacht hat, um einer Schulfreundin einen Gedichtband schenken zu können. Fanny wird zu Verwandten aufs Land geschickt.

In einer dieser Verwandten, Fanny Gräfin zu Rantzau, findet das Mädchen eine Seelenverwandte. Die Schwester ihrer Mutter richtet der künstlerisch Interessierten ein Atelier ein und verschafft ihr Malunterricht. Fanny weiß, dass ihre Eltern ihr kein Kunststudium ermöglichen werden, erreicht aber mit Unterstützung ihrer Tante, dass sie auf das Lehrerinnenseminar darf. In dem Bestreben, möglichst schnell von den Eltern unabhängig zu werden, schließt sie bereits nach anderthalb statt der üblichen zwei Jahre die Ausbildung mit dem „Zeugnis der Befähigung für den Unterricht an mittleren und höheren Mädchenschulen“ ab.

Durch eine Unachtsamkeit Fannys fällt ihren Eltern wenige Monate später ihre Liebeskorrespondenz in die Hände. Sie wird in ein Pfarrhaus in Adelby bei Flensburg verbannt, wo sie Moral und Haushalt lernen soll. Von dort flieht sie zu einer Freundin nach Wandsbek.

Bei Else Gutschow, so der Name der Freundin, lernt sie den Gerichtsassessor Walter Lübke kennen und lieben. Die beiden werden ein Paar und er finanziert ihr eine Ausbildung in Schwabing, seit König Ludwig I. eine der Kunstmetropolen Europas. Dort nimmt Fanny nicht nur Malunterricht, sondern beginnt auch eine Affäre mit dem polnischen Maler Adolf Herstein. Sie wird schwanger, erleidet eine Fehlgeburt und gesteht ihrem Ehemann die Wahrheit, der sich daraufhin von ihr scheiden lässt.

Fanny hat sich als Malerin, nicht als Schriftstellerin verstanden, verdient ihren Lebensunterhalt nun jedoch vornehmlich durch schriftstellerische Tätigkeit. Sie übersetzt französische Literatur und fängt selber an zu schreiben, beispielsweise für die 1896 gegründete satirische Wochenzeitschrift „Simplicissimus“.

1897 ist sie erneut schwanger, bringt noch im selben Jahr ihr einziges Kind Rolf zur Welt. Ihr Sohn ist die einzige Person, zu der sie eine konstante Bindung entwickeln sollte. Den Namen seines Vaters gibt sie nicht preis.

Bei einem Spaziergang mit Rolf durch die Isarauen trifft Fanny 1899 den Schriftsteller Friedrich Huch, der sie mit Ludwig Klages bekannt macht. Fanny gewinnt Klages dafür, die Vormundschaft für Rolf zu übernehmen, und bei ihm findet sie Unterstützung in ihrem Vorhaben, einen Roman über ihr bisheriges Leben zu schreiben. Bezeichnend für Fannys Selbstverständnis ist, dass sie den Roman schreiben will, um Geld zu verdienen, nicht um sich künstlerisch auszudrücken, denn dafür dient ihr die Malerei. So entsteht bis 1903 „Ellen Olestjerne“, ihr Erstlingsroman und eines ihrer bekanntesten Werke.

Über Klages gewinnt Fanny auch Kontakt zu dem okkulten Kreis der sogenannten „Kosmiker“. Einen zentralen Punkt in der esoterischen Ideologie dieser Kosmiker spielte deren Frauenideal der Mutter und Hetäre. Fanny entsprach diesem Ideal in hohem Maße und genoss bei den Kosmikern ein entsprechendes Ansehen. Fanny ihrerseits hatte Probleme, die Kosmiker ernst zu nehmen. Hiervon zeugt ihr humoristischer Schlüsselroman „Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil“ aus dem Jahre 1913.

Im Schwabinger Café Stephanie lernt Fanny 1906 Erich Mühsam kennen. Dieser anarchistische Schriftsteller, der ein ähnlich abenteuerliches Bohèmeleben wie sie führt, vermittelt ihr eine Scheinehe mit dem ihm befreundeten baltischen Baron Alexander von Rechenberg-Linten. Der im schweizerischen Ascona lebende adlige Alkoholiker braucht eine adlige Ehefrau, um von seinem Vater als Erbe eingesetzt zu werden; und die chronisch klamme Fanny kann die ihr zugesagte Hälfte des Erbes gut gebrauchen. 1911 wird in Ascona geheiratet.

Doch Fanny hat Pech. Zwar hält sich ihr (Schein-)Mann an die Abmachung und dessen Vater stirbt auch schon zwei Jahre später. Allerdings hat der das Theater durchschaut und Fannys Mann enterbt, so dass den beiden nur dessen Pflichtteil bleibt. Und es kommt noch schlimmer: Die Bank in Locarno, bei der Fanny ihren Teil des Erbes anlegt, geht pleite. Fanny verarbeitet die Pleite in ihrem 1916 erscheinenden Briefroman „Der Geldkomplex“.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte Fanny neue Sorgen. Durch ihre Heirat mit dem Balten war sie russische Staatsangehörige geworden und konnte als Angehörige eines Feindstaates nicht mehr ungehindert ins Reich. Ihr Sohn wiederum war als deutscher Staatsangehöriger zum Kriegsdienst auf deutscher Seite eingezogen worden. Mit Unterstützung der Mutter gelingt Rolf 1917 die Flucht zu ihr in die Schweiz. Als deutscher Soldat wird er allerdings aus dem Tessin als Grenzkanton ausgewiesen. Am Bahnhof von Bellinzona müssen Mutter und Sohn voneinander Abschied nehmen. Es wird eine Trennung für immer. Im Juni 1918 verunglückt Fanny bei einem Fahrradsturz schwer. Noch im selben Monat, am 26., verstirbt sie in Locarno auf dem Operationstisch. Manuel Ruoff


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren