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21.05.11 / Buschkowsky schlägt Alarm / Neuköllns Bezirksbürgermeister sieht sein Viertel auf dem Weg zum »Gegenstaat«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-11 vom 21. Mai 2011

Buschkowsky schlägt Alarm
Neuköllns Bezirksbürgermeister sieht sein Viertel auf dem Weg zum »Gegenstaat«

Heinz Buschkowsky, Bürgermeister von Berlin-Neukölln, sieht den Norden seines Bezirks auf dem Weg zum „Gegenstaat“. „Mit traditionellen Lösungen ist dem nicht abzuhelfen“, sagt er und attackiert die bisher von der Politik geförderten Maßnahmen der Integration und Sozialpolitik von Sozialarbeit bis Bildungsangebot.

Der bundesweit bekannte Kritiker von Multikulti-Romantik rät Berlins anderen Bezirken, sich zu ähnlichen Problemen zu bekennen. Es ist eine Mahnung, auch an seine Partei, die SPD. Der gebürtige Neuköllner verkündete einst das Scheitern von „Multikulti“ und prägte den Begriff „Parallelgesellschaften“. Dennoch geht Buschkowsky teilweise auf Distanz zu seinem Parteifreund Thilo Sarrazin und dessen statistisch fundierter Kritik an der Integrationspolitik. Buschkowsky ist der eigenen Partei als kantiger Mahner und Gegner politisch korrekter Denkschranken bekannt. Jetzt warnt er vor der Kapitulation des Staates in Nord-Neukölln und reagiert damit auf Soziologen und Trendforscher.

Die haben das Gelände aufgrund einer aufblühenden Gastronomie und wachsender Beliebtheit bei Künstlern just zur kommenden Spielwiese der Reichen erklärt. „Es gibt eine Realität, die die Menschen, die in diesen Gegenden wohnen, kennen, die aber von der Politik totgeschwiegen wird“, kontert Buschkowsky solche rosaroten Zukunftsphantasien. Er verweist auf Gewalt und Verwahrlosung.

Die Arbeitslosigkeit beträgt im Gesamtbezirk 36 Prozent. Allein im Norden Neuköllns leben 150000 Menschen, 55 Prozent davon haben einen Immigrationshintergrund. Junge Immigranten stellen 85 bis 90 Prozent der Schüler. Buschkowsky stellt gegenüber dem Sender RBB klar: „Der Migrant ist kein Problem, der sozial schwache Migrant ist ein Problem“ und „nicht der arabischstämmige Chirurg, der Ihren Bauch aufmacht, sondern die bildungsfernen Milieus sind ein Problem.“ Das Quartier ist gezeichnet von misslungener Integration, Leistungsmissbrauch und einer von Buschkowsky oft beklagten Anspruchshaltung gegenüber dem Staat.

Seine inzwischen regelmäßigen Warnrufe lassen die SPD nicht mehr kalt. Zuletzt beklagte der 62-Jährige, steigende Sozialkosten machten grundlegende Aufgaben des Bezirks immer schwerer finanzierbar. Auch in anderen Bezirken suchen Genossen Hilfe, so in Friedrichshain-Kreuzberg. „Die Werner-Düttmann-Siedlung ist eine Welt für sich“, ziehen die Sozialdemokraten vor Ort beim jüngsten Nachbarschaftstreff Bilanz. „45 Prozent der Bewohner besitzen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. 78 Prozent haben einen Migrationshintergrund. 60 Prozent beziehen so genannte Transferleistungen“, erfasst die SPD-Abteilung „Südstern“ ungeschönt die Lage.

Bei der zuständigen „Quartiersmanagerin“ suchten die aufgeschreckten Genossen Rat – und ernteten Polit-Schelte. Berlins Sozialindustrie ist einflussreich. Die Themen der SPD in den Problem-Bezirken unterscheiden sich kaum von denen der Linkspartei. Ihre Modethemen sind „Gentrifizierung“ und Mietanstieg. Die Frage nach dem Sinn des wachsenden Sozialtransfers hingegen verlieren die Genossen beim Stopfen der Löcher des Wohlfahrts­etats aus dem Blick.

Buschkowsky bevorzugt dagegen die Frage, „wie sich Menschen aus dem Sozialsystem herausarbeiten“. Dazu fordert er auch Sanktionen, die Kürzung von Leistungen: „Kommt das Kind nicht in die Schule, kommt kein Kindergeld aufs Konto“ – eine bei Genossen höchst umstrittene Sicht, die Buschkowsky sogar „nur als Synonym“ verstanden wissen will.

Auch in Spandau hat die SPD Buschkowskys Forderung nach offenem Ansprechen der Probleme aufgegriffen. Der Spandauer Sozial- und Gesundheitsstadtrat Martin Matz (SPD) verglich den Bezirk bereits 2007 mit Neukölln. Die Bezirkspolitik habe nicht zugeben wollen, „dass auch wir hier schwerwiegende Probleme haben“, so Matz. In den Folgejahren kämpfte er mit vom Haushalt abgesparten Geldern gegen steigenden Alkoholmissbrauch bei Kindern und Jugendlichen. Als Lösung empfahl Matz mehr Sozialarbeiter. Buschkowsky hält davon wenig: „Die Gesellschaft hat eine beobachtende Rolle eingenommen, sie interveniert nicht mehr, sie sorgt nicht mehr dafür, dass ihr Wertegerüst für alle verbindlich bleibt“.

Statt die Lösung in mehr Sozialarbeit zu sehen, müsse die Politik das Prinzip Laissez-faire aufgeben, sonst werde die „Grenze immer weiter verschoben“. „Bei uns werden 40 Prozent der Kinder eingeschult, die die deutsche Sprache nicht beherrschen“ – Buschkowsky zufolge sind das Kinder von Eltern, „die beide in diesem Land geboren sind“. So scheiterten Lebensentwürfe schon im Kindesalter. „Dort sind die Eltern die größte Gefahr für die Zukunft ihrer Kinder“. Sein Fazit heißt: „Deswegen müssen wir am System etwas ändern, nicht am einzelnen Kind oder einzelnen Elternpaar.“

Heinz Buschkowsky erlebt in seiner seit 2001 dauernden Amtszeit das Morgen, vor dem er gestern warnte: „Kinder wachsen ohne Erfahrung des Erwerbslebens auf, das findet zu Hause nicht statt, die Kinder sagen: ,Frau Lehrerin, das Geld kommt doch vom Amt!‘“ Entsprechend klar fällt sein Fazit zur Entwicklung Nord-Neuköllns aus: Gemessen an den Fallzahlen im Jobcenter sei im Quartier noch kein Fortschritt erkennbar. Er sehe zudem keine Wanderungsbewegungen gebildeter Immigranten in das Viertel, vielmehr gingen deutschstämmige Abiturienten weg, während islamische Salafiten hinzuzögen – schlechte Aussichten für Optimisten.     SV


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