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21.05.11 / Abschied von Lena

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-11 vom 21. Mai 2011

Moment mal!
Abschied von Lena
von Klaus Rainer Röhl

Jeder Mensch, ob jung oder alt, hat das Recht, enttäuscht zu sein, wenn ein Stern untergeht oder eine Hoffnung zerbricht. Beim European Song Contest (ESC) am letzten Sonnabend zerbrach eine Hoffnung für Millionen jugendlicher Fans zwischen zwölf und 14, und ein aufsteigender Schlager-Stern ging mit Pauken und Trompeten, unter Hämmern und Dudeln der elektronischen Lichtorgeln den Bach runter. Was lernen wir daraus? Irgendetwas Gutes muss doch der peinlichste Missgriff bewirken.

Als die zu Beginn ihrer Karriere gerade mal 18-jährige Nachwuchssängerin Lena Meyer-Landrut, ein rechtes Sonnenscheinchen für die ganze Nation, den Schlager-Wettbewerb der Eurovision gewonnen hatte, mit einem belanglosen englischen Text und einer ebenso einfallslosen Melodie – die aber alle Zuschauer mitsangen aus Begeisterung für Lena – probierte sie, auf der Rückfahrt mit dem Bus nach Hannover, trunken vor Freude immer wieder ein kleines Liedchen, und die ganze Begleitmannschaft sang begeistert mit: „Ich liebe, liebe Deutscheland“ und hielt dabei die ganze Zeit die deutsche Fahne oder ihr schwarz-rot-goldenes Tuch in der Hand. Das Wort „Deutscheland“ hatte sie sicher von irgendeinem ausländischen Teilnehmer bei dem Festival aufgeschnappt, der ihr damit ein Kompliment machen wollte, wie es oft Ausländer tun: „Ich liebe Deutscheland!“. Lena liebte es auch, unser Land, und die Zuschauer im Kongresssaal, im Bus, und die Zehntausende beim Empfang in Hannover schwenkten schwarz-rot-goldene Fahnen und Tücher und Mützen, und die ganze deutschsprachige Gemeinde in Europa sang das Lied mit und freute sich mit uns und unseren Freunden. Denn wir haben viele Freunde in der Welt, das kann man bei jedem Auslandsbesuch spüren.

Ist das nicht schön? Und schon packten die Fans der Fußballmeisterschaft ihre schwarz-rot-goldenen Fahnen ein, die sie in Südafrika in den Wind halten wollten, und ihre T-Shirts und Mützen und Kleider, und die Millionen anderen Deutschen packten auch ihre gute Laune und die deutschen Fahnen ein für die Grillparty auf dem Balkon oder im Garten – mit dem Sechserpack Bier und Würstchen von Lidl und „Bild“. Wunderbar! Sogar das Wetter spielte mit und wurde endlich heiter, obwohl die Erdabkühlung seit zwölf Jahren weiter vorankommt, trotz der dummen und durch Wiederholung nicht besser werdenden Sprüche von der „Erderwärmung“, immer wieder aufgewärmt von den Grünen und ihren Nachplapperern in der Union. Aber die gehen auch den Bach runter, weil alles Vergängliche nur ein Gleichnis ist und alles Verlogene verliert.

Aber das heitere, unbefangen fröhliche Rotkäppchen Lena war zu naiv, nicht von dem Wolf, der reichlich Kreide gefressen hatte, mit Haut und Haaren geschluckt zu werden, buchstäblich, das konnte man an diesem Abend beim ESC in Düsseldorf allzu genau sehen, bis in jede Bewegung, die Kamera ist unbarmherzig. Ausgelutscht wie eine Zitrone, mit krampfigen Gesten, bis zur Unkenntlichkeit „geformt“ und jeglicher Persönlichkeit beraubt wie eine Tänzerin nach unzähligen Schönheitsoperationen. Ach, keine chirurgischen Eingriffe entstellten die immer noch 19-Jährige, sondern die pausenlosen Versuche eines ganzen Teams von Ratgebern, ihren Typ zu verändern. Ein ganzes Jahr lang Manipulationen gegen den zähen Widerstand des außergewöhnlich natürlichen und unverbildeten Wesens – es muss doch mehr Geld und Karriere für ihre „Förderer“ aus der jungen Frau herauszupressen sein. Stefan Raab, der vor elf Jahren bei dem gleichen Schlagerwettbewerb mit seinem an Dümmlichkeit nicht zu überbietenden Blödelsong „Wadde hadde dudde da“ immerhin den fünften Platz belegte, mit allen nur denkbaren Preisen und Auszeichnungen belohnte Fernseh-Entertainer und Komponist, mit seiner immer gröber werdenden Schau „Schlag den Raab“ langsam am Ende angelangt, muss, als er Lena in einer Talentschau entdeck­te, alle Kassen im Himmel klingeln gehört haben: Aus der mach ich was. Nämlich Geld. Die zwar kaum singen könnende, aber einen völlig ungewöhnlichen, ganz unkonventionellen Zauber ausstrahlende Abiturientin aus Hannover schien zu versprechen, ein wahrer Goldesel zu werden, für Raab und noch für ein ganzes Team mäßig begabter, aber umtriebiger Zulieferer – die Rechnung war idiotensicher wie ein Finanzierungs-Trick von Lehman Brothers: Entweder Lena wird noch einmal Siegerin im „Contest“, dann sprudelt das Geld wie aus dem Daddel­automaten, wenn nicht, stehe ich als Moderator vor dem Millionenpublikum der Welt und habe noch eine Menge guter Bekannter einträglich versorgt, Songtexter, Musiker, Designer, Fotografen, Lichtkünstler, Mitquassler und Mitkassierer, wozu am Ende sogar noch die alterslos gealterte „Ulknudel“ Anke Engelke geholt wurde, peinlich peinlich.

Natürlich bekam auch Lena von dem Goldregen etwas ab, man spricht von einer Million – war es das wert? Die anderen hatten nur zu gewinnen – sie hatte alles zu verlieren und verlor. An diesem Abend sang sie wieder ein englisches Lied, diesmal mit dem seltsamen, zweideutigen Titel „Taken by a Stranger“, dessen Text man zum Glück kaum verstehen konnte. Wenige der anderen Teilnehmer des Wettbewerbs, die fast alle ein Einheits-Englisch zu einheitlich schlechten Melodien säuselten, schrien, kreischten, brüllten, waren selbstbewusst genug, ihre eigene Sprache zu wählen. Wie die Griechen. Ich war an diesem Abend in Griechenland, ich lebe gern unter seiner Sonne und wir sehen auch griechisches Fernsehen und lesen Zeitungen und sehen die Dauer-Demonstrationen in Athen und in den anderen Städten. Und es gibt viel Unruhe und Unzufriedenheit und sogar Gewalttätigkeit in diesem Land, dessen Regierung und Bevölkerung weit über ihre Verhältnisse gelebt haben und nun von den Gläubigern der EU und des IWF kontrolliert werden und an allen Ecken und Kanten sparen sollen, und genau wie in Deutschland spart man bei den kleinen Leuten. Und die Großen bleiben ungeschoren und tragen weiter Cartier-Uhren und fahren Sportwagen und leben unbefangen aus dem Vollen. Und so gibt es viel Missmut im Land, der durch die Linken und Kommunisten noch geschürt wird, aber selbst die ganz Linken von der „Sirisa“ und die orthodoxen Kommunisten zeigen die Nationalfahne bei ihren Veranstaltungen, und alle griechischen Fußballer und Baseballspieler singen natürlich ihre Nationalhymne mit, im Gegensatz zu „diesem unserem Land“, wo ein paar der wichtigsten Spieler die Zähne nicht auseinanderkriegen beim Abspielen des Deutschlandlieds.

Vielleicht hätte Lena für ihren zweiten Versuch, den ESC zu gewinnen, besser ein deutsches Lied wählen sollen, was nicht nur ich, sondern auch Dieter Thomas Heck kürzlich in einem Interview vorgeschlagen hat. Aber sie vergaß die schönste Zeit ihres Lebens und die Freude mit der deutschen Fahne und dem „Deutscheland“, das sie im vorigen Jahr so offenherzig geliebt hatte, und sang ihren blödsinnigen englischen Text und verzog dabei genau so das Gesicht, wie Stefan Raab und sein Schöpferteam es ihr aufgeschwatzt hatten. Nämlich wie ein Vamp. Aber das ist sie nun mal nicht. Klar, dass es schiefgehen musste. Schade, Lena.


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