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28.05.11 / Leben unter Menschen / In den großen Einkaufstempeln und Passagen geht es beileibe nicht nur darum, Geld auszugeben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-11 vom 28. Mai 2011

Leben unter Menschen
In den großen Einkaufstempeln und Passagen geht es beileibe nicht nur darum, Geld auszugeben

In den großen Städten haben sich Einkaufszentren zu besonderen Treffpunkten entwickelt. Jung und Alt haben den Reiz der überdachten Einkaufstempel für sich entdeckt, doch nicht nur zum „Shoppen“, wie es neudeutsch heißt.

Es ist warm, es ist klimatisiert, es ist sauber; Cafés laden zum Verweilen ein, Springbrunnen plätschern, ein Pianist macht Musik, schöne Blumen erfreuen das Auge. Worum geht es? Um ein Einkaufszentrum, wie man diese Orte früher phantasielos nannte!

Heute werden sie zu Zentren des Lebens, das Einkaufen rückt in den Hintergrund. Sie heißen „Passage“ oder „Boulevard“ und werden zu einer Art Lebensmittelpunkt vieler Menschen. Wer sich darüber wundert, warum die Plätze in den Cafés schon am Morgen gut besetzt sind, findet schnell eine Antwort. Die wenigsten haben Einkaufstüten dabei und viele wollen anscheinend auch gar nicht einkaufen. Sie wollen einfach unter Menschen sein. „Warum soll ich zu Hause bleiben und vor dem Fernseher sitzen? Ich mache lieber einen Spaziergang und treffe hier viele Bekannte. Hier bin ich nicht einsam“, bringt eine Rentnerin dies auf eine Formel. Sie verbringe jeden Tag einige Stunden im Bochumer Ruhrpark-Einkaufszentrum und wohne nicht weit entfernt.

Aber es sind beileibe nicht nur Rentner oder Arbeitslose, die hier ihre Freizeit verbringen, sondern Menschen aller Altersgruppen. Mütter mit Kindern sitzen im großen Eiscafé oder trinken nur einen Cappuccino, der hier nicht teurer ist als anderswo. Hier könne man Obst und Gemüse an Marktständen einkaufen, wozu also noch auf den windigen Wochenmarkt gehen? Auf mehreren Ebenen und breiten Galerien schlendern Menschen umher. „Manchmal verirre ich mich in den vielen Gängen, aber man findet ja doch immer wieder heraus“, sagt eine Mutter, die mit ihren Kindern einfach „nur zum Gucken“ gekommen ist. Andere Besucher entspannen auf den  Massagesesseln, um nebenbei ihre schmerzenden Nacken- oder Rückenmuskeln kneten zu lassen.

Für ganz andere Zwecke hat eine Studentin aus Südkorea die neuen Einkaufsboulevards entdeckt. In der „Hamburger Meile“ missioniert die Christin einer Pfingstgemeinde aus dem fernen asiatischen Land mit der Bibel in der Hand. „Wir machen das in unserer Heimat schon lange so“, sagt die Studentin, „und haben großen Erfolg damit.“ Heute würden in Südkorea schon 30 Prozent der Bevölkerung am Sonntag in die Kirche gehen. „Jesus hat gesagt, wir sollen dorthin gehen, wo die Menschen sind. Und hier sind tausende Menschen, die Zeit haben.“ So spricht sie meistens junge Mädchen ihrer Altersgruppe an und fragt sie, ob sie ein paar Minuten Zeit haben, um sich über den christlichen Glauben informieren zu lassen. Sie erzählt dann, wie sie selbst Christ geworden ist und welche Freude sie dabei erfahren hat.

Wenn Zuhörerinnen mehr erfahren wollen, dann schlägt sie ihre Bibel auf und erklärt die „Basics“, die elementaren Grundlagen des christlichen Glaubens. Sie habe als Missionarin immer gut zu tun, gibt sie gutgelaunt zum Besten und ist meist von mehreren Mädchen umringt.

Die Hamburger ECE, ein Ableger des Otto-Konzerns und Europas größter Betreiber von Einkaufszentren, setzt ganz auf dieses neue Konzept. Mit einem Millionenaufwand werden alte Shopping-Center in neue „Erlebnisräume“ umgebaut.

Oft verdoppeln die Architekten und Konsumplaner die Flächen der alten Center. Aus einem langen und öden Gang, an den sich bisher mehrere Geschäfte aneinanderreihten, wird nun ein quadratischer Grundriss, wo es zahlreiche Ecken und Plätze gibt. Besonders zu den Festzeiten, an Ostern und Weihnachten, sparen die Center-Manager nicht mit Dekorationen. Gewaltige Blumen-Arrangements, Legionen von Osterhasen, glitzernde Weih-nachtsbäume vermitteln eine Atmosphäre, die fast an Disney-Land erinnert. Die Menschen in Deutschland scheinen das auch immer mehr zu mögen.

Die amerikanische Anmutung der neuen Center von ECE ist kein Zufall. Alexander Otto, der jüngste Sohn des Konzerngründers des „Otto-Versands“, hat an der Eliteuniversität Harvard Ökonomie studiert und betonte in einem Interview mit der „Welt“, wie nahe er dem amerikanischen Lebensstil und Optimismus steht. Er habe sich von der positiven Grundeinstellung der Amerikaner viel abgeschaut.

Heiratskapellen und andere „schrille Ideen“, so Otto, seien hierzulande aber nicht umzusetzen. Auch Kinos würden in Deutschland nicht so gut funktionieren wie in den USA. Aber viele Trends würden von Amerika nach Europa herüberschwappen.

Das Erfolgskonzept der Hamburger ECE breitet sich in Deutschland und Europa immer mehr aus. Gezielt fragen inzwischen Städte wie Bielefeld, Minden oder Duisburg bei der ECE an, ob die Manager Einkaufszentren alten Stils in neue Einkaufs-Boulevards umgestalten wollen.

Die Bürgermeister der betreffenden Städte hoffen, dass sich auf diese Weise die innerstädtischen Schandflecke wieder zu attraktiven Orten entwickeln können. Das liegt auch im Interesse der Einzelhändler der Innenstädte, die auf eine Wiederbelebung ihrer Geschäfte hoffen. Denn letztlich darf eines bei den neuen „Shopping-Welten“ nicht zu kurz kommen: Dass die Besucher dann doch das eine oder andere Schöne sehen – und mit einer Einkaufstüte nach Hause kommen. Hinrich E. Bues


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