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04.06.11 / Schottland will sich scheiden lassen / Volksabstimmung könnte nach über 300 Jahren zur Trennung von England führen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-11 vom 04. Juni 2011

Schottland will sich scheiden lassen
Volksabstimmung könnte nach über 300 Jahren zur Trennung von England führen

Noch gibt sich die Regierung in London gelassen, doch das könnte sich schnell ändern. Nach dem Wahlsieg der Schottland-Partei Anfang Mai steht eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des nördlichen Teils Britanniens bevor, das berühmt für seine urtümliche Natur, den gelbbraunen Whiskey und seine dick­köpfigen Menschen ist.

Seit über 300 Jahren (1707) ist das Land zwangsverbandelt mit England und könnte nun die Scheidung einreichen. Alex Salmond, der Parteichef der Schottischen National-Partei (SNP), ist in einer komfortablen Situation. Die letzte Wahl zu den Regional- und Kommunalparlamenten bescherte ihm die absolute Mehrheit im Parlamentsgebäude in Holyrood, das direkt gegenüber dem alten Königs­palast der Schotten liegt, in dem heute die englische Königin Elisabeth II. residiert. Wie brenzlig die Situation in Schottland für die ungeliebten Engländer bereits ist, dürfte die Queen schon im September 2010 gespürt haben. Papst Benedikt landete bei seinem historischen Besuch auf den Britischen Inseln nicht etwa in London, sondern im schottischen Edinburgh. Dort wurde er von rund 150000 jubelnden Schotten in Kilt und mit Dudelsäcken begrüßt. Sie hatten einen Nationalfeiertag zu Ehren des hohen Gastes aus Rom ausgerufen, denn zum ersten Mal seit 500 Jahren betrat wieder ein Papst in offizieller Mission britischen Boden. Um den Papst bei diesem offiziellen Staatsbesuch begrüßen zu können, musste sich Königin Elisabeth II. auf den Weg nach Edinburgh machen. Mit reichlich versteinertem Gesicht begrüßte die Königin den fast gleichaltrigen Gast im Königspalast von Holyrood. Man tauschte diplomatische Höflichkeiten aus, aber erst einen Tag später bei dem offiziellen Empfang in London brach das Eis zwischen Königin und Papst.

Seit 1999 tagt in einem neu erbauten Gebäude gegenüber dem Königspalast das Nationalparlament, das den Schotten zumindest eine gewisse Unabhängigkeit sichert. Doch die schottische Bevölkerung ist mit dieser Situation nicht zufrieden, was sich bei der letzten Wahl herauskristallisierte. Der überraschende Wahlsieg der SNP konnte nicht unter „Rechts­populismus“ verbucht werden, denn Parteichef Salmond ist eher linksorientiert und tritt öffentlich auch nicht im Kilt, sondern in einem schwarzen Anzug auf. Er will ein „soziales Schottland“ schaffen.

Ob die Volksabstimmung über die Unabhängigkeit kommen wird, darüber streiten derzeit die Engländer und Schotten. Die SNP versprach, das Votum in den nächsten fünf Jahren durchzuführen. Die Gegner dieses Ansinnens verweisen auf verfassungsrechtliche Hindernisse im „Scotland Act“, der seit 1998 die Befugnisse des Regionalparlamentes festlegt. In diesem Gesetz sind keine Volksabstimmungen vorgesehen. Die britische Regierung will nach Angaben des dafür zuständigen Staatssekretärs, des Liberaldemokraten Michael Moore, dem Referendum aber „keine Hürden in den Weg legen“. Offenbar anderer Meinung ist der konservative Premierminister David Cameron, der „mit jeder Faser seines Körpers“ gegen die Spaltung kämpfen will.

Ob die Abstimmung zum Erfolg wird, ist derzeit noch unsicher. Umfragen zeigen wechselnde Stimmungen. Doch das Blatt könnte sich schnell zu Gunsten der Selbstständigkeit wenden, wenn ein emotionales und ein rationales Argument zum Tragen kommen. Seit dem Freiheitskampf schottischer Clans im 14. Jahrhundert unter dem schottischen Nationalhelden Wallace („Braveheart“) fühlt sich der schottische Nationalstolz gedemütigt. Auch in den folgenden Jahrhunderten unterdrückten die Engländer die Freiheitsbemühungen der Nordländer oft genug auf blutigste und hinterhältigste Weise. Der alte Gegensatz des katholischen Schottland zum anglikanischen England reicht letztlich bis in die Gegenwart. Ein symbolträchtiges Datum für die Unabhängigkeit wäre der Jahrestag des legendären schottischen Sieges über die Engländer unter Robert Bruce, der sich im Jahr 2014 zum 700. Mal jährt.

Das rationale Argument liegt in der Nordsee verborgen, genauer gesagt unter dem Meeresboden. Die überaus reichen Vorräte an Gas und Erdöl liegen zu einem wesentlichen Teil auf dem schottischen Gebiet des Meeres. Salmond ist auf diesem Gebiet ein Fachmann, denn er arbeitete vor seinem politischen Wirken bei der Erdölsparte der Royal Bank of Scotland (RBS). Mit der Unabhängigkeit verlöre Schottland zwar gewisse Subventionen aus London, wäre aber durch die Einnahmen aus dem Ölgeschäft mit einem Schlag ein reiches Land, vergleichbar mit Norwegen. Schottland müsste zwar einen Teil der Staatsschulden Großbritanniens mit übernehmen, wäre aber wirtschaftlich solide. Genau diese Perspektive sorgt für Unmut und Widerstand in Westminster, dem britischen Parlament in London.  Immerhin hat Salmond bereits versöhnlich versichert, dass er die Queen als repräsentatives Staatsoberhaupt Schottlands behalten will.         Hinrich E. Bues

Foto: Sieger in komfortabler Lage: Alex Salmond nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der Schottischen National-Partei


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