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04.06.11 / Täter und Opfer / Hier hat man auch um einen Mörder Mitleid

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-11 vom 04. Juni 2011

Täter und Opfer
Hier hat man auch um einen Mörder Mitleid

Pete Dexter hat mit seinem tiefschwarzen Kriminalroman „Paris Trout“ ein brillantes Gesellschaftspanorama der Vereinigten Staaten der 1950er Jahre und ein in seiner brutalen Ausweglosigkeit und stilistischen Schönheit wegweisendes Buch vorgelegt. Während man sonst oft die Protagonisten eines Romans quasi beim Zuklappen der Buchdeckel bereits wieder vergessen hat, brennen sich die Akteure dieses grandiosen Meisterwerks tief ins Gedächtnis ein. „Paris Trout“ wurde 1988 mit dem National Book Award ausgezeichnet. Es war höchste Zeit, dass das Buch nun auch in deutscher Übersetzung als Taschenbuch vorliegt.

Pete Dexter wurde 1943 in Pontiac / Michigan geboren. Anfangs schrieb er für die „Palm Beach Post in West Palm Beach“ (Florida), die er jedoch 1972 verließ, weil der Herausgeber die Redaktion zwang, bei den bevorstehenden Präsidentenwahlen Richard Nixon zu unterstützen. Als Dexter 1981 in Philadelphia in eine Schlägerei wegen eines Zeitungsartikels geriet und schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde, sattelte er vom Journalismus auf den Beruf eines freien Schriftstellers um. Ein Rezensent hat den Inhalt dieses Schmökers, den man von der ersten bis zur letzten Seite nicht aus der Hand geben will, treffend mit folgenden Worten umschrieben: „Wer eine Ahnung bekommen will, welche Distanz die USA von Anfang der 50er Jahre bis zu einem farbigen Präsidentschaftskandidaten zurückgelegt haben, der muss Pete Dexter lesen.“

Der „Held“ des Romans ist der schwerreiche Ladenbesitzer und Kredithai Paris Trout, der in dem Kaff Cotton Point in Georgia ein ziemlich eigenbrötlerisches Leben führt. Die Geschichte fängt langsam an. Ein armes 14-jähriges schwarzes Mädchen wird von einem tollwütigen Fuchs gebissen und anschließend von Paris Trouts Frau aus Mitleid und gegen den Willen ihres Mannes in ein Krankenhaus gebracht.

Als Paris Trout später gemeinsam mit einem brutalen Schläger und Ex-Polizisten Geld bei einer Familie eintreiben will, bei der das Mädchen Unterschlupf gefunden hat, kommt es zur Kata-strophe. Paris Trout, ein Mann, der an „Neger“ Geld verleiht, keine Steuern zahlt und ein eingeschworener Rassist ist, erschießt aus blankem Hass das Mädchen und verletzt dessen zeitweilige Pflegemutter schwer.

Ein schwächerer Schriftsteller könnte nun eine vorhersehbare Geschichte abspulen mit einem unverbesserlichen Rassisten als Täter und vielleicht einem positiven Helden, der das Ganze dann doch noch zum Guten wendet. Doch Dexter ist ein starker Autor, dem sogar das Kunststück gelingt, dass man Mitleid empfindet mit diesem eigentlich widerlichen Mörder, der nicht zu seiner Schuld stehen will und von unerschütterlicher Selbstgerechtigkeit ist. Am Ende des Buches richtet Paris Trout ein Blutbad an und metzelt all diejenigen Menschen nieder, von denen er sich verraten fühlt.

Paris Trout ist nicht nur Täter, er ist auch Opfer, nämlich ein Opfer der Vorurteile und rassistischen Einstellungen seiner Zeit und letztlich ein Opfer seines eigenen Wahns. Doch die Melange aus Waffennarrentum, Rassismus und staatsfeindlicher Gesinnung findet man auch noch im Amerika des 21. Jahrhunderts. Es ist kein Zufall, dass die blutigen Schüsse am Rande eines Kostümfestes fallen, mit denen die braven Bürger von Cotton Point in historischer Aufmachung den Beginn ihrer amerikanischen Demokratie feiern. Doch auch wenn das Beschriebene schrecklich und unausweichlich ist, liest man diesen äußerst spannenden 400-seitigen Roman durchaus stre­ckenweise mit Vergnügen und atemloser Aufmerksamkeit. Ansgar Lange

Pete Dexter: „Paris Trout“, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010, broschiert, 416 Seiten, 9,95 Euro


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