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11.06.11 / Ernstfall Todeskeim / Ehec-Ausbreitung macht Mängel der föderalen Lebensmittelüberwachung deutlich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-11 vom 11. Juni 2011

Ernstfall Todeskeim
Ehec-Ausbreitung macht Mängel der föderalen Lebensmittelüberwachung deutlich

Die Angst vor der aggressiven Ehec-Infektion geht europaweit um: Allein Hamburgs Universitätsklinik behandelt 82 schwer Erkrankte. Bei manchen schädigt das vom Bakterium freigesetzte Gift die Nieren bis zum Organversagen. Während Mediziner und Seuchenexperten Ehec einzudämmen versuchen, gleicht die Suche nach der Quelle der Krankheit einer Aneinanderreihung von Spekulationen.

Medien wie Experten haben praktisch jeden Bereich der Nahrungskette im Visier. Auch die Politik kritisiert, und zwar Kompetenzstreitigkeiten der Experten. Tatsächlich hätten Bund wie Länder Grund zur Selbstkritik: Das Niveau der vorbeugenden Maßnahmen sinkt seit Jahren – Lebensmittelkontrolle nach Kassenlage. Weil die späte Suche nach der Quelle des Ehec-Erregers einem Irrlauf gleicht, scheint Vorbeugung umso wichtiger. „In der durchregulierten EU-Welt gibt es strenge Hygiene-Vorschriften“, beruhigte ein Sprecher des Bundeslandwirtschaftsministeriums die Verbraucher. In der Praxis gibt es im Binnenmarkt jedoch keine Kontrolle der nach Deutschland eingeführten EU-Lebensmittel. Es gilt der freie Warenverkehr. Das erleichtert pauschale Verdächtigungen spanischer Gurken, die inzwischen als Ursache ausscheiden, weil sie schlimmstenfalls mit einem anderen, weniger gefährlichen Ehec-Stamm belastet waren. Die widersprüchlichen Expertenmeinungen machen Verbraucher ratlos. Laut Umfragen sinkt das Vertrauen in Lebensmittelkontrollen.

In Deutschland führen die Gemeinden solche Proben in Geschäften und an Umschlagplätzen durch. Zuständig sind allerdings die Bundesländer. Politiker schelten das selbst geschaffene föderale Nebeneinander. So vermisst SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach eine zentrale Steuerung der Ehec-Bekämpfung: „Denn bislang verläuft sich die Zuständigkeit zwischen lokalen Gesundheitsämtern, Kliniken, dem Robert-Koch-Institut und der Gesundheitsbehörde.“

Nicht nur in der akuten Krise, gerade bei der dauerhaften Kontrolle steuerte die Politik zuletzt fehl. „Es reicht nicht aus, erst in Hamburg zu kontrollieren, wenn die Sachen auf den Tisch kommen, das muss schon früher geschehen“, kritisiert Bauernverbandssprecher Michael Lohse mit Blick auf EU-Warenströme. Der Norden zeigte sich früh als Zentrum der Krankheit, doch fiel der Verdacht anfangs auf Spanien.

Dabei gibt es genug Grund, in Deutschland zu suchen. Harry Sauer, Vize-Chef des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure, sagte vergangenes Jahr: „Lebensmittelsicherheit ist in Deutschland eine Mogelpackung.“ Zwar orientieren sich die Kontrollen in Deutschland an einheitlichen Standards, da sie aber Sache der Bundesländer sind, ist das Kontrollnetz unterschiedlich eng geknüpft. Manche Länder sparen gerade bei den Lebensmittelkontrolleuren.

Inzwischen haben die EU und sogar die USA reagiert. Brüssel steuert ein Schnellwarnsystem an und bietet den „kompetenten deutschen Kontrolleuren“, so ein aktuelles Papier, Hilfe bei der Ehec-Suche an. Es gibt allerdings kaum Grund, an der Kompetenz der deutschen Kontrolleure zu zweifeln: Sie warnen seit langem vor der Ausdünnung ihres Berufsstandes. Matthias Hermann, Vorsitzender des Landesverbandes der Lebensmittelkontrolleure Hessen, forderte im Februar 70 bis 80 Kollegen zur Verstärkung der 135 hessischen Prüfer. Andernfalls ließen sich deutlich weniger lebensmittelverarbeitende Firmen überwachen als vorgeschrieben. Mit Kontrollen nach Kassenlage leisten die Bundesländer in Zeiten grenzenlosen europäischen Handels und entsprechender Verbreitungsmöglichkeiten keinen guten Beitrag zur Infektionsvorbeugung. SV


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