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11.06.11 / Ein Freund der Familie / Ostpreuße hat im Rheinland ein unvergessliches Erlebnis

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-11 vom 11. Juni 2011

Ein Freund der Familie
Ostpreuße hat im Rheinland ein unvergessliches Erlebnis

Das Schicksal hatte es wohl so gewollt: Weil mein Vater, ein Ostpreuße, Ende 1946 nach russischer Gefangenschaft bei Verwandten in Siegburg Aufnahme gefunden hatte, gelangte ich im Frühjahr 1947 ebenfalls in das damals durch Bomben noch arg ramponierte Städtchen an der Sieg. Mehr als drei Jahre lang war ich als junger Soldat und dann als Lazarettangehöriger in Ost und West herumvagabundiert und nun kehrte mit meinem Einzug in das Siegburger Zeughaus bei den Verwandten für mich endlich wieder so etwas wie Normalität ein, wenn auch die Wohnverhältnisse − wie damals bei vielen − sehr beengt waren. An den Beginn meines geplanten Studiums war nicht zu denken, weil viele Ältere ein größeres Anrecht auf einen Platz an einer Universität hatten und jüngere Kriegsteilnehmer wie ich nur auf die Wartelisten gesetzt wurden. Aber ohne Beschäftigung blieb ich, der ich gerade zwanzig geworden war, keinesfalls. Das Siegburger Arbeitsamt „dienstverpflichtete“ mich als Mitarbeiter des Siegwerkes, das damals wohl so etwas wie ein „Mädchen für alles“ suchte. Der äußerst liebenswürdige, aber sehr auf Genauigkeit bedachte Prokurist und Verwaltungschef der Tiefdruckfarben-Fabrik gab mir bei meiner Einstellung zu verstehen, dass er von mir vor allem Flexibilität erwartete. Ich hatte besonders ihm und der Büroleiterin, einem Fräulein, zur Hand zu gehen. Letztere führte freundlich, aber sehr bestimmt Regiment in ihrem Bereich. Wenn die vier oder fünf Sekretärinnen, alle wesentlich jünger als sie, über ihre Wochenenderlebnisse, in denen es hauptsächlich um Männergeschichten ging, ins Schwatzen gerieten, hörte die Büroleiterin sich das schweigend einige Minuten an, klopfte dann jedoch unüberhörbar mit einem Bleistiftende auf ihre Schreibtischplatte und erklärte energisch: „Meine Damen, wir haben zu arbeiten!“ Das Stimmengewirr erstarb auf der Stelle und nur noch die Klappergeräusche der Schreibmaschinen erfüllten den Büroraum. Schwierigkeiten hatte ich, der Ostpreuße, anfangs mit der Sprache derer, mit denen ich es jetzt zu tun hatte. Wenn der Meister Pleis aus Oberpleis im Siegwerk erklärte: „Ich han Zick zebasch!“ (hochdeutsch = ich habe sehr viel Zeit), wusste ich wenig damit anzufangen. Aber allmählich kam ich auch mit solchen typisch rheinischen Äußerungen zurecht.

Mein Tätigkeitsfeld reichte weit. Ich verpackte Farbmuster für Sendungen an Firmen, holte Proben von verschiedenen Stationen des großen Fabrikgeländes, besorgte am Bahnhof Fahrkarten für Dienstreisen des chemischen Leiters oder wurde auch schon mal zum Sanitätshaus Räuber in die Kaiserstraße geschickt, um dort Korsettstangen für die Ehefrau eines Abteilungsleiters abzuholen. Es war also, wie gesagt, ein abwechslungsreiches Tätigkeitsfeld, das zu beackern mir oblag. Zu meinen Aufgaben gehörte es auch, die wichtigsten Postsachen nach deren Durchsicht durch den Geschäftsführer am Vormittag in das an einer Flanke des Firmengeländes liegende Wohnhaus der Inhaber-Familie Dr. Keller zu bringen. Eines Tages traf ich dort vor der Tür des stattlichen Gebäudes mit einem mir seltsam erscheinenden älteren Mann zusammen. Seine hagere Gestalt war in einen vom Regen durchnässten Lodenmantel gehüllt, und auf dem Rücken hing ihm ein Rucksack herunter, dessen Farbe verriet, dass der die bes-ten Jahre längst hinter sich hatte. Das alles wirkte nicht gerade vertrauenerweckend. Es ist sicher jemand, der hier betteln möchte, ging es mir durch den Sinn, und so trat ich energisch als Cerberus vor die Haustür und tat so, als ob ich befugt wäre, dort Kontrollfunktion auszuüben. Auf meine Frage nach seinem Begehr reagierte der Mann nicht. Entweder verstand er mich nicht, oder er wollte mich nicht verstehen. Ich wurde unsicher und entschloss mich, etwas vorsichtiger zu fragen. Also sagte ich: „Wen darf ich Dr. Keller melden?“ Die Antwort traf mich wie ein Hammerschlag. „Melden Sie: Prinz Oskar von Preußen, einen alten Freund der Familie!“, entgegnete der Mann und lächelte dabei, als hätte er Verständnis für meine gezeigte Abwehrhaltung. Schließlich wirkte sein Äußeres in der kargen Nachkriegszeit, die auch am Haus Hohenzollern nicht spurlos vorübergegangen war, nicht gerade königlich. Ich weiß heute nicht mehr genau, wie ich damals aus der peinlichen Situation herauskam. Vermutlich stammelte ich ein paar Worte der Entschuldigung und suchte mit hochrotem Kopf das Weite. Hätte ich vorher gewusst, dass die Familie Dr. Keller seit Jahrzehnten freundschaftliche Verbindungen zu hochrangigen Persönlichkeiten besaß, mir wäre diese Blamage vor der Haustür in der Zeit meines Wirkens als „Stift“ des Siegwerkes wohl erspart geblieben.    D. Grau


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