28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
11.06.11 / Ein Jahr am Hindukusch / Viele Hintergrundinformationen, es fehlt aber der politische Aspekt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-11 vom 11. Juni 2011

Ein Jahr am Hindukusch
Viele Hintergrundinformationen, es fehlt aber der politische Aspekt

In Afghanistan bekämpfen die USA einen Feind, der aufgrund des weiträumig zerklüfteten Terrains strategisch durchweg im Vorteil ist. In einem asymmetrischen Krieg werden die US-Soldaten aus dem Hinterhalt in ihren Stützpunkten beschossen und mit Straßenbomben angegriffen. Der amerikanische Journalist und Bestsellerautor Sebastian Junger, Jahrgang 1962, lebte als „eingebetteter Reporter“ von Juni 2007 bis Juni 2008 mehrmals für einige Wochen mit einer kleinen Einheit US-Soldaten im unzugänglichen Korengal-Tal im Ostteil des Landes, einem schmalen Einschnitt im Vorland des Hindukusch. Junger hatte den am meisten exponierten Vorposten „Restrepo“ im Korengal gewählt, um Soldaten in einem Platoon (Zug) der Combat Infantry der US Army über einen längeren Zeit­raum zu begleiten. Mit ihm zusammen arbeitete während einiger Aufenthalte der britische Fotograf Tim Hetherington (er starb im April dieses Jahres während eines Einsatzes im libyschen Misrata). Neben einer Reportage für die „Vanity Fair“, in deren Auftrag sie in Afghanistan waren, produzierten beide 2010 den Dokumentarfilm „Restrepo“, für den sie den Preis des Sundance Film Festivals für den besten Dokumentarfilm erhielten.

Als hervorragender Beobachter und Berichterstatter erweist sich Junger auch in seinem Buch „War – Ein Jahr im Krieg“, das in deutscher Übersetzung vorliegt. Es umfasst gleich einem Mitschnitt die bedeutsamen Ereignisse während des 15-monatigen Einsatzes „seiner“ Einheit. Im Mittelpunkt stehen die Soldaten selbst, deren Gespräche der Autor großenteils wörtlich wiedergibt. Junger liefert eine stark psychologisierende Beobachtung ihres Verhaltens, das unter dem Druck schwierigster Verhältnisse insbesondere vom Phänomen des Gruppenzusammenhalts geprägt war.

In Sowjetzeiten galt das Korengal als uneinnehmbar und nicht beherrschbar. Selbst die Taliban hatten sich nicht hineingewagt. Die US-Armee bezahlte für die Verteidigung der 2006 eingerichteten Basis „Korengal Outpost“ einen hohen Blutzoll. Damals begann sich die allgemeine Lage zu verschlechtern. Mehr als 40 Soldaten starben, Dutzende wurden teils schwer verwundet. „Der Schlachtplan für das Tal glich einem taktischen Bockspringen“, so Junger. Um sich gegen das Steilfeuer von den umgebenden Hängen und den Granatbeschuss des meist unsichtbaren Feindes zu schützen, wurde das höher gelegene Gelände mit kleinen Vorposten belegt, die aber ebenfalls leicht verwundbar waren. Im Frühjahr 2010 verließen die letzten Amerikaner das Tal.

Jungers Buch ist ein erschütterndes Dokument über die Kriegführung in einer fast unzugänglichen Gebirgsregion und über das Leben der GIs unter extremen Bedingungen. In Restrepo gab es keine Elektrizität, kein fließend Wasser, keine warmen Mahlzeiten. Eine undurchsichtige Rolle spielte durchweg die einheimische männliche Bevölkerung. Leitthemen des Buches sind die ständigen Angriffe der Heckenschützen, die Kriegsmaschinerie und die Auswirkung von Stress und Angst auf die Soldaten im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Über Moral oder den Sinn und Zweck ihres Einsatzes machten sie sich keinerlei Gedanken. Wut und Verzweiflung über einen gefallenen Kameraden weckten in einigen unbändige Rachegefühle und Mordlust. Aufgestaute Wut und Hassgefühle machten sich im Alltag Luft, etwa durch ritualisierte Prügeleien. 

In dieser aufrüttelnden, mit Hintergrundinformationen reich ausgestatteten Dokumentation – es kommt auch zu überflüssigen Diskursen, etwa über die mögliche Existenz eines Gens für Mut und dessen Sinn im „genetischen Wettbewerb“ – fehlt jedoch ein Gegengewicht. Es fehlt der politische Aspekt. Diese überwiegend aus schwierigen sozialen Verhältnissen stammenden jungen Männer waren teilweise noch in der High School angeworben worden. Viele hatten sich für den Eintritt in die US-Armee entschieden, weil sie eine Alternative zu ihrem bisherigen Leben suchten – mit dem Risiko des Verlusts desselben. Dass die USA in Afghanistan Krieg gegen den Terror führen, ist der Grund dafür, dass Zehntausende Männer und Frauen am Hindukusch täglich ihre Haut zu Markte trugen und tragen. Es dürften auch strategische und wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen. Offen bleibt die Frage, warum diese Zusammenhänge ausgeklammert wurden.     D. Jestrzemski

Sebastian Junger: „War – ein Jahr im Krieg“, Blessing Verlag, München 2010, gebunden, 336 Seiten, 19,95 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren