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25.06.11 / Skurrile Charaktere / Heikles Thema als Roman

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-11 vom 25. Juni 2011

Skurrile Charaktere
Heikles Thema als Roman

„Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde“, sinnierte einst der deutsche Schriftsteller Jean Paul. Um dicke Post an geliebte Menschen geht es auch in Astrid Rosenfelds Roman „Adams Erbe“. Die 33-jährige Schriftstellerin und Schauspielerin wagt sich in ihrem Debüt an das heikle Thema der Judenvernichtung, das sie selbst nur aus Büchern kennt. Der gebürtigen Kölnerin gelingt der Spagat, ebenso humorvoll wie ergreifend vom Schicksal der Toten, Überlebenden und Nachgeborenen zu erzählen. Das Buch verwebt die Lebensgeschichten zweier Generationen der Cohens.

Edward Cohen führt im Jahr 2004 erfolgreich eine Modeboutique in Berlin. Als eine junge Engländerin seine Welt auf den Kopf stellt, schreibt er ihr in einem romanartigen Brief, wie er zu dem wurde, was er heute ist. Seinen Vater hat Edward nie kennengelernt. Im Berlin der 1980er Jahre wächst er bei seinen jüdischen Großeltern auf. Während der im KZ verrückt gewordene Großvater den ganzen Tag in der Dachkammer sitzt, nimmt die energische Großmutter Haushalt und Erziehung in die Hand. Die Mutter heiratet den lebenslustigen, etwas windigen Geschäftemacher Jack, der wie ein Vater für Edward ist. Zusammen reisen sie quer durch die Republik, bis Jack bei einem Autounfall stirbt.

Beim Durchstöbern des Nachlasses seiner Großmutter stößt Edward auf ein geheimnisvolles Paket. Darin findet er ein Manu­skript seines verschollenen Großonkels Adam, der als schwarzes Schaf der Familie gilt. Dieser soll sich im Dritten Reich mit dem Familienschmuck aus dem Staub gemacht haben. Die Zeilen richten sich an Adams große Liebe Anna und enthalten viele Parallelen zu Edwards eigener verzwickter Situation. Atemlos liest er, wie Adam als jüdischer Junge unter dem NS-Regime in München aufwächst. Seine Großmutter ist die wichtigste Bezugsperson in seiner Kindheit und sorgt für den Unterhalt der ganzen Familie. Einer ihrer Verehrer, ein im Ersten Weltkrieg verwundeter Geiger, bewahrt die Cohens vor der Verfolgung und bringt Adam bei einem Gärtner in Sicherheit. Adam verliebt sich unsterblich in die polnische Jüdin Anna und folgt ihr, als die Gestapo sie 1938 nach Polen deportiert. Gefälschte Papiere geben ihn als Arier aus und mit Hilfe des mittlerweile zum SS-Sturmbannführer aufgestiegenen Hausfreunds der Großmutter wird er zum Rosenzüchter des deutschen Generalgouverneurs der besetzten polnischen Gebiete befördert. Bald erkennt Adam, was mit den Juden passiert, und begibt sich auf die gleichsam abenteuerliche wie lebensgefährliche Suche nach Anna, deren Spuren ins Warschauer Getto führen.

Der Autorin ist ein unterhaltsamer Roman mit einer Mischung aus geistreich-witzigen Dialogen, unerwarteten Wendungen und tragikomischen Verstrickungen gelungen. Der Leser schmunzelt über die skurrilen Charaktere angefangen bei Edward, über dessen Stiefvater Jack, den Elvis-Presley-Verschnitt, der neben Edelsteinen auch mit Schwimmflügeln handelt, bis hin zu Adams Großmutter, die alles Italienische liebt, ihren jüdischen Friseur Luigi nennt und Hitler, den „schnurrbärtigen August mit seinem Verein“, für einen Säufer mit Wahnvorstellungen hält. Rosenfelds Situationskomik gleitet jedoch weder ins Lächerliche ab noch verkennt sie den tödlichen Ernst der Lage.

Sophia E. Gerber

Astrid Rosenfeld: „Adams Erbe“, Diogenes, Zürich 2011, geb., 385 Seiten, 19,90 Euro


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