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25.06.11 / Mit dem letzten Zug geflohen / Zeitzeugen berichten über die Katastrophe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-11 vom 25. Juni 2011

Mit dem letzten Zug geflohen
Zeitzeugen berichten über die Katastrophe von Grünhagen

Die Rote Armee hatte am 13. Januar 1945 ihre Winteroffensive mit einer mehrfachen Übermacht begonnen und schon nach zehn Tagen, am 23. Januar 1945, Ostpreußen vom damaligen Deutschen Reich abgetrennt. Tausende von Menschen versuchten in dieser kurzen Zeit verzweifelt und überstürzt, ihrem Schick­sal zu entkommen und Ostpreußen auf dem schnellsten Weg zu verlassen, wobei die NS-Organe nur zögerlich und dann auch noch verspätet Fluchtgenehmigungen erteilten. Mit Trecks, Zügen, Schiffen, Flugzeugen oder zu Fuß versuchten die meisten Menschen, dem Chaos der nahenden oder sie überrollenden Front zu entkommen.

Wurde in der Vergangenheit der Flucht über die Ostsee, insbesondere im Zusammenhang mit dem Untergang der „Gustloff“, bereits größere Beachtung geschenkt, so nimmt sich der Autor Heinz Timmreck, der aus Buchwalde im Kreis Osterode stammt, eines bislang wenig beachteten Themas an. In über 80 Zeitzeugenberichten wird auf sehr persönliche und von subjektiven Eindrücken geprägte Weise über die letzten Flüchtlingszüge aus Ostpreußen berichtet, die noch rechtzeitig die Weichselbrü­cken passieren konnten. Viele Flüchtlinge gelangten so nach Pommern, Mecklenburg, Berlin, Hamburg oder Sachsen.

Wer Verwandte im Reich hatte, versuchte zu ihnen zu gelangen und sich dort in Sicherheit zu bringen. Doch häufig war diese Sicherheit auch trügerisch, denn auch aus Pommern flüchteten bereits Tausende gen Westen. Viele aber schafften es nicht, einen der völlig überfüllten Züge zu besteigen, sie blieben in Ostpreußen zurück und der über sie hereinbrechenden Kriegsgewalt hilflos ausgeliefert.

Die menschliche Tragweite dieser Ereignisse wird anhand der zusammengestellten Zeitzeugenberichte sehr eindrucksvoll deutlich. Erstmals wird die Flucht mit der Bahn zusammenfassend dargestellt und füllt damit eine in der Literatur bestehende Lücke zum Thema „Flucht und Vertreibung“.

Das besondere Verdienst des Buches besteht auch darin, dass die bisher weitgehend unbekannt gebliebene Flüchtlingszugka­tastrophe von Grünhagen wohl erstmals in dieser Breite überhaupt dokumentiert und öffentlich thematisiert wird. Dabei waren nach aktuellen Schätzungen des Autors zwischen 4000 und 7000 Menschen davon betroffen.

Die damalige Reichsbahn setzte für die Flucht alle noch irgendwie fahrbaren Waggons aller Art ein. Um nicht zur Zielscheibe von Kampfflugzeugen zu werden, fuhr die Deutsche Reichsbahn die Flüchtlingszüge ohne Beleuchtung durch die eisigen Winternächte. Hierbei mussten die Weichen per Hand gestellt und Schneewehen weggeschaufelt werden. Die Eisenbahner haben pflichtbewusst bis zum nahen Heranrücken der Front ihren Dienst aufrechterhalten und sich um die Rettung Tausender Menschen verdient gemacht.

Beim Bahnhof von Grünhagen im Kreis Preußisch Holland fuhr dann ein Flüchtlingszug auf einen haltenden Lazarettzug. Ein weiterer Flüchtlingszug konnte nur mit Glück noch rechtzeitig gestoppt werden. Als am frühen Morgen russische Panzer die Unglücksstelle erreichten, kam es zu einem Beschuss der wartenden Menschenmenge, dem zahlreiche Zivilisten und auch einige deutsche Soldaten zum Opfer fielen. Die Autoren der hier vorgelegten Berichte waren Augenzeugen dieser Ereignisse, so auch Heinz Timmreck selbst, der damals erst siebeneinhalb Jahre alt war.

Das sehr sorgfältig zusammengestellte Buch gibt vielen der Überlebenden eine Stimme und bewahrt die traumatischen Erlebnisse – viele der Berichtenden waren zu dieser Zeit Kinder oder Jugendliche – auch im kollektiven Gedächtnis. Durch die nun vorgelegten bisher überwiegend unveröffentlichten Zeitzeugenberichte konnten die Umstände des Zugunglücks und der morgendlichen Beschießung durch russische Panzer in wesentlichen Teilen aufgeklärt werden. Es bleibt zu wünschen, dass diese Katastrophe nun auch in der historischen Forschung Aufnahme findet und auch in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert werden kann.

In einem Zeitzeugenbericht wird auch über die Rückführung von Flüchtlingen aus Mecklenburg zurück nach Ostpreußen nach Kriegsende berichtet – auch diese Vorgänge sind bisher in der Öffentlichkeit kaum bekannt und nun dankenswerterweise zumindest in einem konkreten Fall dokumentiert.

Das Buch, dem auch ein Geleitwort des „Gustloff“-Experten Heinz Schön vorangestellt wurde, stellt eine umfangreiche Dokumentation zur Flucht mit dem Zug aus Ostpreußen und zur Zugkatastrophe bei Grünhagen dar und ist damit ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der hierin beschriebenen Geschehnisse. Henry Kuritz

Heinz Timmreck: „Letzte Flüchtlingszüge aus Ostpreußen – Das Drama der letzten Flüchtlingszüge und die Zugkatastrophe bei Grünhagen im Kreis Preußisch Holland“, Books on Demand, Norderstedt 2011, 220 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, gebunden, 26,90 Euro


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