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02.07.11 / Ein Maler aus Dresden auf der Kurischen Nehrung / Richard Birnstengel fand in seiner Wahlheimat faszinierende Motive und setzte sie meisterhaft um

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-11 vom 02. Juli 2011

Ein Maler aus Dresden auf der Kurischen Nehrung
Richard Birnstengel fand in seiner Wahlheimat faszinierende Motive und setzte sie meisterhaft um

Es ist inzwischen viel über die Künstlerkolonie Nidden, das „Worpswede des Ostens“, veröffentlicht worden, doch können immer wieder neue Facetten hinzugefügt werden. Auffallend ist, dass es besonders Künstler aus Sachsen zu den überaus abwechslungsreichen Landschaften der Kurischen Nehrung gezogen hat. Neben Hans Kallmeyer (1882–1961), Alfred Teichmann (1903–1980), Max Pechstein (1881–1955) und Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976) sind auch Georg Gelbke (1882–1947) und Richard Birnstengel (1881–1968) zu nennen. Als Birnstengel 1929 einer Einladung des Künstlerverbandes nach Königsberg folgte, besuchte er erstmals die Kurische Nehrung. Im Niddener Ortsteil Purwin, in unmittelbarer Nähe zu den Häusern des Malers Carl Knauf (1893–1944) und Thomas Manns (1875–1955), begann man 1938 mit dem Bau eines eigenen Häus­chens. Zu Michaeli, am 29. September, war das Richtfest. Im Jahre 1939 konnten Birnstengels das Haus in Besitz nehmen.

Mit dem Bau seines Atelierhauses in Purwin trug der Dresdner Maler dazu bei, dass durch die Ansässigkeit von Künstlern nicht nur von einem Künstlerort, sondern von einer Künstlerkolonie gesprochen werden konnte.

Das etwas auf der Höhe gelegene Haus erlaubte einen weiten Blick über das Haff. Dieses Motiv mit einem davor liegenden Gehöft wurde in vielen Farbstimmungen und kompositorischen Abwandlungen variiert. Da Birnstengels durch den Erwerb ihres Hauses unabhängig vom Saisonbetrieb waren, konnte es geschehen, dass sie vor ihrer Abreise auch den ersten Schnee auf der Nehrung erlebten.

Diese Winterlandschaften ge­hören zu den erlesenen Seltenheiten der auf der Nehrung von zahlreichen Künstlern eher im Sommer gemalten Bilder. Seitdem konzentrierte sich Birnstengels Interesse auf die Landschaft der Ostseeküste und ihrer Menschen und gab seinem Schaffen entscheidende Impulse.

Da Birnstengels bereits im Frühjahr auf die Nehrung reisten und im Spätherbst zurückkehrten, breitet sich in den Landschaftsbildern auch die Fülle jahreszeitlicher Stimmungen aus. Diese sind geprägt von einer Fülle wechselnder Lichtphänomene: vom monotonen, stillen Grau in Grau bis zur Dramatik spannungsvoller Lichtregie, wenn sich fahl und geisterhaft die Dünen vor dunkler Wolkenwand abheben. Immer neu faszinierend: die Begegnung der Elemente, dieses elementare Spiel von Ruhe und Bewegung, Tosen und Stille, die oft jähen Witterungswechsel und Wunder des Atmosphärischen. Die Einsamkeit eines in bläulicher Farbigkeit vorbeiziehenden Kurenkahns steht im Kontrast zu dem farbigen, pulsierenden Leben des Markttreibens. Die landschaftlichen Darstellungen beinhalten das Haff, die Welt der Dünen, Nehrungswald mit Windflüchtern, die Fischerdörfer und die Ostsee. Oft sind in diese Landschaften die Nehrungsbewohner integriert, welche im Einklang mit der Natur lebten. Gerne fuhren Birnstengels mit einer Pferdekutsche in den Elchwald. Wie traumhaft taucht das Tier aus dem Dickicht auf und wird von Birnstengel ebenfalls gemalt. Am Meer werden jagende Möwen über den Meereswogen beobachtet und zu Papier gebracht. Zu diesen Motiven kommt in meisterhafter Ausführung noch Birnstengels Porträtmalerei hinzu. Diese kulminierte ab zirka 1930 durch die Begegnung mit den urwüchsigen und naturverbundenen Menschen auf der Kurischen Nehrung. Er arbeitete vorrangig in Nidden jeden Sommer bis 1944. Richard Birnstengel war somit ein Vertreter der letzten Generation von Künstlern, die vor dem Exodus 1945 die Ursprünglichkeit dieser einmaligen Landschaft und ihrer Bewohner festhielt.

Diese eindringliche und realistische, zugleich fantasievolle Darstellung der Fischer und ihrer Familien zeugt von Birnstengels Identifikation mit den Dargestellten. Zu einigen der Familien hielt der Künstler nach der Vertreibung aus Ostpreußen weiterhin Kontakt. Er, der selbst sein Haus auf der Nehrung verlor und im Bombenhagel des Angriffs auf Dresden im Februar 1945 einen Großteil seiner Werke einbüßte, konnte mitfühlend ermessen, was es bedeutete, Besitz und Heimat zu verlieren. Birnstengels Bilder sind nunmehr Zeitzeugnisse einer Kultur, die unwiederbringlich, zugleich mit der kurischen Sprache, verloren gegangen ist.

Birnstengels Kunst vereint impressionistisch-poesievolle Auffassung mit sachlicher Wahrheitsliebe. Fern aller kurzzeitigen „ismen“ wuchs seine Kunst nicht eruptiv und revolutionär, sondern still und nachhaltig. Der Künstler sagte einmal: „Meine Kunst ist zahmer, beinahe schüchterner Art … hat aber den Vorzug, echt zu sein.“ Statt Sensation oder Provokation überzeugt Authentizität im menschlichen und künstlerischen Sinn. Birnstengel: „Es geht in aller Kunst um den Seinsbeweis des Menschlichen.“ A. A.

Andreas Albert (Hg.): „Richard Birnstengel – Ein Dresdner Maler und seine Wahlheimat auf der Kurischen Nehrung“, Husum Verlag, Husum 2011, 72 Seiten, mit 21 schwarz-weißen und 40 farbigen Abbildungen, 14,95  Euro

„Ostseebilder“ von Richard Birnstengel und Georg Gelbke zeigt das Kulturhistorische Museum der Hansestadt Stralsund vom 17. September bis 20. November.


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