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02.07.11 / Biedermann im Élysée / Zum 100. Geburtstag des französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-11 vom 02. Juli 2011

Biedermann im Élysée
Zum 100. Geburtstag des französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou

Nachfolger eines „Großen“ haben es schwer. In Bonn bekam das in den 1960er-Jahren Ludwig Erhard zu spüren – die Kanzlerstiefel des großen Konrad Adenauer wollten dem zuvor so erfolgreichen und verdienstvollen Vater des Wirtschaftswunders einfach nicht passen. Wenige Jahre nach dem Scheitern Erhards befand sich in Paris George Pompidou in einer ähnlichen Lage: als Nachfolger des übermächtigen Charles de Gaulle, der nach einem unnötig überreizten Politpoker überstürzt den Élysée-Palast verlassen hatte.

Der biedere, behäbige und eher unauffällige Dorflehrersohn aus dem Zentralmassiv, Frankreichs Armenhaus, im mächtigsten Amt der Fünften Republik – konnte das auf Dauer gut gehen? Die Franzosen, die ihn am 15. Juni 1969 mit 58,2 Prozent im zweiten Wahlgang zu ihrem neuen Staatschef gekürt hatten, sahen ihn mehrheitlich als Übergangspräsidenten. Denn weder die gaullistische Rechte noch die sozialistisch-kommunistische Linke waren mit einem das jeweilige Lager überzeugenden Kandidaten ins Rennen gegangen; schließlich traten mit Georges Pompidou und Alain Poher zwei zum Verwechseln ähnliche konservative Politiker zur Stichwahl an – was witzige Kommentatoren animierte, einen fiktiven Kandidaten namens PomPoher zu präsentieren.

Obwohl Poher als Senatspräsident und nach de Gaulles Rücktritt kommissarisch amtierender Staatspräsident den Amtsbonus auf seiner Seite wähnte, konnte Pompidou sich mit seiner unspektakulären Beharrlichkeit durchsetzen. Sein Sieg signalisierte zugleich einen behutsamen Wandel im Staatsverständnis der Franzosen: Poher blieb im traditionellen Zentralismus verhaftet und konzentrierte seinen Wahlkampf weitgehend auf den Großraum Paris, Pompidou hingegen ging in die Provinz und gewann dort die Mehrheit.

Dieser Linie blieb er in seiner Amtszeit als Präsident treu. In kleinen Schritten begann er, die politische, kulturelle und wirtschaftliche Fokussierung auf die Metropole aufzuweichen. Heute ist die von ihm eingeleitete Regionalisierung auf gutem Wege, aber immer noch weit entfernt vom Föderalismus bundesdeutscher Machart.

Georges Pompidou, vor 100 Jahren, am 5. Juli 1911, in Montboudif im Zentralmassiv geboren, war nicht einmal fünf Jahre im höchsten Staatsamt; am 2. April 1974 starb er an einer seltenen Blutkrankheit. Doch hat er in dieser kurzen Spanne das Bild der Fünften Republik nachhaltig geprägt. Er öffnete das Land außenpolitisch und überwand so die von de Gaulle in seinen letzten Amtsjahren betriebene Isolierung. So stimmte er dem Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu und normalisierte das völlig zerrüttete Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Zwischen ihm und Richard M. Nixon wäre eine ähnlich peinliche Szene undenkbar wie jene nach Adenauers Beisetzung auf der Terrasse der Villa Hammerschmidt, als Bundespräsident Heinrich Lübke sich abmühte, die Trauergäste Charles de Gaulle und Lyndon B. Johnson zum ungewollten Händedruck zu verkneten.

Innenpolitisch gelang es Pompidou, die von der 68er Revolte aufgerüttelte Nation wieder zu befrieden. Er reformierte das bis dahin in dumpfer Hofberichterstattung verhaftete Fernsehen, reagierte auf die weltweite Ölkrise, indem er energiepolitisch die Weichen in Richtung Kernkraft stellte. Die Wirtschaft öffnete er behutsam für Mitbestimmung nach deutschem Vorbild. Die in der Hauptstadt argwöhnisch beäugte Regionalisierung versüßte er den Parisern, indem er ihnen einen neuen Flughafen, eine Ringautobahn und ein nationales Zentrum für zeitgenössische Kunst bescherte, das Centre Pompidou. Der auch heute noch futuristisch wirkende Komplex füllte das Vakuum, das durch die Verlagerung der Markthallen an die Peripherie aufgerissen war – Paris hatte seinen „Bauch“ verloren, aber ein neues kulturelles Herz gewonnen. Dass es seinen Namen trägt, ist die verdiente Anerkennung für einen Staatsmann von außergewöhnlich hoher Intelligenz, ausgeprägten kulturellen Ambitionen und breiter humanistischer Bildung. Die Nummer 1 der Fünften Republik war er nicht einmal für eine volle Amtszeit, von 1969 bis 1974 – Nummer 1 der Nation aber war er schon als 16-Jähriger: 1927 gewann er den landesweiten Schülerwettbewerb in Altgriechisch.

Anders als Ludwig Erhard hat Georges Pompidou es auch im mächtigsten Staatsamt zu höchst respektablen Leistungen gebracht. Was die beiden verbindet: Ihr Verhältnis zu den jeweiligen Nachbarn blieb stets unterkühlt. Hans-Jürgen Mahlitz


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