23.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
02.07.11 / Die Sache mit der Fahrkarte / Zunächst schien die Reise äußerst stumm zu verlaufen − Die alte Dame brachte Bewegung ins Abteil

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-11 vom 02. Juli 2011

Die Sache mit der Fahrkarte
Zunächst schien die Reise äußerst stumm zu verlaufen − Die alte Dame brachte Bewegung ins Abteil

Der Zug eilt dahin. Draußen fliegt die Landschaft vorbei. Monoton ist das Rattern der Räder, die nur dann gequält aufquietschen, wenn es über eine Doppelweiche oder in eine langgezogene Kurve geht. Aber in dem Zugabteil ist es ganz still. Drüben, am Fenster, widmet ein elegant gekleideter Herr der eintönigen Landschaft gelangweilte Blicke. Ab und zu wischt er sich ein unsichtbares Staubkörnchen von seiner tadellosen Jacke.

Daneben, fast schüchtern, sitzt eine alte Frau und hat zuweilen die Hände brav gefaltet. Gegenüber schläft eng aneinander gelehnt ein Pärchen. Vielleicht tut es auch nur so. Links davon hat sich ein junges Mädchen niedergelassen. Sie hält ein Buch auf dem Schoß, ohne darin zu lesen. Als sänne sie ihren Gedanken nach, so sitzt sie da. Für einige Stunden würde nun diese Gesellschaft eine Fahrgemeinschaft bilden. Eine stumme, so war zu vermuten. Ja, mit Unterhaltung wird es da kaum etwas werden.

Plötzlich wird die alte Frau unruhig. Nervös nestelt sie an ihrer Handtasche. Dann erfassen ihre suchenden Blicke den Boden. Zunächst murmelt sie nur unverständliche Worte, doch dann kam es laut und vernehmlich: „Meine Fahrkarte, wo ist nur meine Fahrkarte, ich werde sie doch nicht etwa ...?“ Der elegante Her neben ihr blickt nicht mehr gelangweilt zum Fenster hinaus. Ruckartig hat er sich gerade gesetzt und sieht nun fragend in das Abteil. Das Pärchen gegenüber blinzelt durch verschlafene Augenlider. Selbst das junge Mädchen hat jetzt sein Buch zusammengeklappt. „Eben war die Fahrkarte ja noch da“, klagt die alte Frau. „Aber nun…“ Sie scheint ganz aufgeregt zu sein. Allmählich geriet Bewegung in die Reisegesellschaft und es werden Anstalten zur Suche gemacht. Die verschwundene Fahrkarte scheint im Abteil einiges verändert zu haben. Das junge Mädchen vollführt wahre Akrobatik bei der Suche. Da – der elegante Herr berührt sanft die Schulter der alten Frau und deutet auf den Boden. „Sehen Sie nur, da ist ja die Fahrkarte! Sie stehen fast darauf mit Ihren eigenen Füßen!“

Die alte Frau blickt nach unten. „Tatsächlich, da ist sie! Ach, wie ungeschickt von mir. Vielen Dank auch!“ Der elegante Herr ringt sich ein Lächeln ab. „Wissen Sie, so etwas kommt schon mal vor. Neulich bin ich auf einer Reise derart gedankenverloren umgestiegen, dass ich sogar meinen Koffer im Abteil vergaß. Aber die Sache hat ein gutes Ende gefunden! So wie die Geschichte mit Ihrer Fahrkarte!“

Ein Schmunzeln geht durch das Abteil und schon bald ist man in unterhaltsame Gespräche vertieft.

Die alte Dame aber kichert triumphierend in sich hinein. Seit sie einmal von Hamburg bis München ohne jegliche Unterhaltung in einem Abteil verbrachte, hat sie den Trick mit der angeblich verschwundenen Fahrkarte auf ihren Reisen schon fünfmal angewandt. Und immer hat er funktioniert. Es ist doch viel schöner, so heiter miteinander zu reden!       Werner Hassler


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren