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02.07.11 / Ersehnte Freiheit / Vom Leben in der Karibik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-11 vom 02. Juli 2011

Ersehnte Freiheit
Vom Leben in der Karibik

Jamaika ist heute ein selbstständiger Inselstaat in der Karibik. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts war die Insel jedoch eine britische Kolonie, deren Plantagenwirtschaft der britischen Krone über viele Jahre hinweg ein gutes Zubrot bescherte. Mit der Plantagenwirtschaft und dem Anbau von Zuckerrohr ging jedoch die Sklaverei einher.

In „Das lange Lied eines Lebens“ erzählt die britische Autorin und Tochter jamaikanischer Einwanderer, Andrea Levy, die Lebensgeschichte der Sklaventochter July. In ihrem Roman „Eine englische Art von Glück“ (im Original „Small Island“) berichtete Andrea Levy bereits vom Schick-sal ihrer Eltern. Die waren in den 1950er-Jahren von Jamaika nach London ausgewandert und hatten dort lange Zeit mit Widrigkeiten wie Armut und Rassismus zu kämpfen. Für „Small Island“ wurde die Autorin mit dem Whitbread-Literaturpreis ausgezeichnet, auch wurde der Roman von der BBC verfilmt.

Da sich die Spur über ihre Abstammung bereits bei den Großeltern verliert und lediglich bekannt ist, dass wohl mehrere ihrer Vorfahren als Sklaven auf den Zuckerplantagen Jamaikas gelebt haben, hat sich Andrea Levy mit ihrem neuen Roman nun sozusagen eine eigene Familiengeschichte geschrieben.

Sie lässt July für ihren erwachsenen Sohn niederschreiben, wie sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Bastard des Plantagenbesitzers und einer Feldsklavin auf der Zuckerplantage „Amity“ geboren wurde, und wie ihr Leben verlief, nachdem die Schwester des Plantagenbesitzers sie als kleines Kind der Mutter wegnahm, um July als persönliche Hausdienerin auszubilden.

Hätte Andrea Levy July nicht mit unerschütterlichem Humor und dem unbedingten Wunsch, das Leben positiv zu betrachten, ausgestattet, so wäre „Das lange Lied eines Lebens“ wohl ein unglaublich trauriger Roman geworden. Da July aber ein frohes Naturell besitzt und auch in den schlimmsten Situationen stets gewillt ist, etwas Positives darin zu finden, ist das Buch zu einem richtigen Lesevergnügen geworden.

Nur am Rande erfährt der Leser von den Sklavenaufständen auf Jamaika, bis eines Tages die Sklaverei dort abgeschafft wird. Dass sich Julys Leben und das Leben der auf Amity lebenden ehemaligen Sklaven nun umgehend verbessern würde, ist jedoch nicht der Fall. Noch viele Jahre bleiben die Vorbehalte gegen Schwarze, da selbst in den Köpfen der Schwarzen dieses Denken nach so vielen Jahren der Sklaverei zu tief verankert ist.

Hier stellt auch July keine Ausnahme dar. Eines Tages begegnet sie der deutlich hellerhäutigen Miss Clara, welche sich selbst als Terzerone (Mischling zwischen Weißen und Mulatten) bezeichnet und die sich bereits vor der offiziellen Abschaffung der Sklaverei freikaufen konnte.

„Und als sie endlich frei war, stolzierte Miss Clara in die Stadt, um ein kleines Geschäft zu eröffnen. Wie bei vielen Frauen mit einer Hautfarbe, deren Ton von Honig bis Milch reichte, und mit oft erwähnten Papas – aus England, Irland, Schottland oder Wales, allesamt vornehme, aufrechte weiße Gentlemen – bestand ihre Beschäftigung darin, Marmeladen und Essiggemüse einzukochen und zu verkaufen.“

July selbst bewundert Miss Clara für deren helle Haut. Und so erläutert sie dem etwas schockierten Leser, wie es sich mit den verschiedenen Farbnuancen der Haut und dem damit verbundenen „Schicksal“ eines Menschen verhält. „Der Teerpinsel, geneigter Leser, schlägt schnell zu. Denn eine Mulattin und ein Neger oder eine Terzerone und ein Zambo haben das Unglück, ein rückläufiges Kind hervorzubringen. Und ein dunkelhäutiger Abkömmling wird nirgends hingeschickt als auf die Felder, wo er mit den Niggern essen muss. … oh, die Tochter der Quinterone, die einen Weißen zum Papa hat, wird feststellen, dass jeder neue Tag sie nicht länger mit einem Stirnrunzeln, sondern mit einem Lächeln begrüßt, da sie endlich als geschätzte Weiße durch die Welt schreitet.“

Eines Tages wird July einem solchen hellhäutigen Baby das Leben schenken, doch soll dies auch der einzige Wunsch bleiben, der sich diesbezüglich für sie erfüllen wird.

Andrea Levys „Das lange Lied eines Lebens“ ist ein sehr ernster, aber auch lebensbejahender und zum Teil humoriger und aberwitziger großer Roman über die Zeit der Sklaverei im 19. Jahrhundert auf Jamaika, das Erlangen der lang ersehnten Freiheit und die damit verbundene, häufig bittere, Realität.        Vanessa Ney

Andrea Levy: „Das lange Lied eines Lebens“, Roman, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011, gebunden, 368 Seiten, 19,99 Euro


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