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09.07.11 / Minimale Entlastung statt Reform / Politischer Streit beherrscht die Debatte um Steuervereinfachung und Entlastung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-11 vom 09. Juli 2011

Minimale Entlastung statt Reform
Politischer Streit beherrscht die Debatte um Steuervereinfachung und Entlastung

Eine große Steuerreform liegt anscheinend in weiter Ferne. Mit einem Gegacker wie auf dem Hühnerhof reagierten Politiker aller Couleur auf das vorgestellte Steuermodell von Professor Paul Kirchhof. Uneinig präsentierte sich mal wieder die schwarz-gelbe Regierungskoalition. Nun soll vielleicht eine Mini-Reform am 1. Januar 2013 in Kraft treten.

Kalt erwischt wurde die Merkel-Regierung offenbar von den Vorschlägen des Heidelberger Verfassungsrechtlers und Steuerexperten Paul Kirchhof. Angesichts sprudelnder Steuereinnahmen hatte die FDP- und CDU-Spitze gerade eine minimale Steuerentlastung von acht bis zehn Milliarden Euro angedacht, als die Vorschläge Kirchhofs zu einer radikalen Steuervereinfachung bekannt wurden. Mit seinem Heidelberger Institut hatte Kirchhof acht Jahre lang sein Konzept ausgearbeitet. Das unter Mitwirkung maßgeblicher Fachleute und von fünf Landesregierungen voll durchgerechnete und ausformulierte „Bundessteuergesetzbuch“ besitzt statt 33000 nur noch 146 Paragraphen.

Die Freien Demokraten und die Wirtschaft reagierten grundsätzlich positiv auf die mögliche starke Vereinfachung des Steuerrechts bei prognostizierten gleichbleibenden Einnahmen des Staates. Die Opposition und Gewerkschaftsvertreter dagegen zeigten reflexartige Abwehr. SPD-Chef Sigmar Gabriel wollte gleich die „Abschaffung des Sozialstaates“ gesehen haben, obwohl die Sozialgesetzgebung bei Kirchhofs Modell gar nicht direkt tangiert ist. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verteidigte den jetzigen Steuerdschungel, weil er vermeintlich die „Komplexität des Lebens“ abbilde.

Das können Bürger, die mit der Flut von Steuern im Alltag leben müssen, nur als Hohn empfinden. Wie ein ständiger böser Begleiter entpuppen sich die Steuergesetze im Alltag. Nicht nur bei der jährlichen Steuererklärung, die jetzt wieder viele Bürger quält, sondern nahezu bei jedem Schritt werden Steuern fällig: Beim Gang zum Friseur, bei jedem Einkauf und natürlich beim Tanken an der Zapfsäule kassiert „Vater Staat“ gleich doppelt: die Benzinsteuer und die Mehrwertsteuer. Wer eine Wohnung oder ein Grundstück erwirbt, zahlt Grunderwerbssteuer; gibt es etwas zu feiern, muss der Bürger seit Kaisers Zeiten die „Sektsteuer“ berappen. Und dann gibt es seit nunmehr 20 Jahren den „Soli“. Selbst Steuerberater geben zu, dass sie das Wirr-warr der Steuergesetze nicht mehr durchschauen.

Familien würden von Kirchhofs Steuermodell besonders profitieren, rechnete der Heidelberger Professor vor. Jede vierköpfige Familie hätte ein steuerfreies Einkommen von 36000 Euro, erst dann greife die Pauschalsteuer von 25 Prozent. Das sei höchst sozial, argumentiert Kirchhof, während die diskutierte Steuerentlastung von Firmen und Bürgern zu Lasten der nächsten Generation ginge, falls sie auf Pump finanziert würde.

Das familienfreundliche Modell Kirchhofs scheint die Politik wenig zu interessieren. Nur noch zaghaft stellte sich die FDP, die vor zwei Jahren mit einem ähnlichen Konzept und dem Motto „Mehr Netto vom Brutto“ ein beachtliches Wahl­ergebnis einfuhr, hinter die Vorschläge. Christdemokratische Ministerpräsidenten, die im Bundesrat einer großen Reform zustimmen müssten, signalisierten vielfach Ablehnung. Sogar eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes brachte der designierte Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Christian von Bötticher (CDU), ins Spiel. Thüringens Regierungschefin Christine Lieberknecht, ebenfalls CDU, forderte zumindest, sich Kirchhofs Konzept erst einmal gründlich anzusehen, bevor man es kritisiere.

Paul Kirchhof verglich die derzeitige Diskussion um minimale Steuerentlastungen mit der Reparatur einer Stoßstange an einem ansonsten schrottreifen Auto. Das System sei nicht mehr reformierbar. An der Unternehmenssteuer oder an der Steuerprogression herumzudoktern, nütze nichts. Dieser „Mittelstandsbauch“ führt dazu, dass Arbeitnehmer oft genug nach einer Lohnerhöhung sogar weniger Netto in der Tasche haben als vorher.

Besonders scharf kritisierte die Deutsche Steuer-Gewerkschaft (DSTG) das Reformkonzept. Die Vorschläge seien „absolut unbezahlbar“ und sozial ungerecht. Dem Vorsitzenden Thomas Eigenthaler ist die mögliche Entlastung von Gutverdienenden, die heute bis zu 50 Prozent ihres Einkommens abgeben müssen, ein Dorn im Auge. Hier hatte Friedrich der Große im alten Preußen noch ganz andere Vorstellungen von Gerechtigkeit. In seinem politischen Testament von 1768 schrieb er: „Wer ein Einkommen von 100 Talern hat, soll nur 2 Taler zahlen, während der, der 1000 Taler hat, ohne Mühe 100 Taler entrichten kann.“ Es sei recht und billig, dass jeder Privatmann zu den Staatskosten beitrage, aber er solle nicht sein „halbes Einkommen“ mit dem Staat teilen, sondern den Hauptteil seiner Einkünfte „selbst genießen“.         Hinrich E. Bues

Foto: Paul Kirchhof: Im Gespräch mit Journalisten in der Bibliothek des Hotels Fürstenhof in Celle


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