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09.07.11 / Auf das Ende gefasst sein / Seit Juni 2010 ist Belgien ohne reguläre Regierung – Mehrere Szenarien für Teilung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-11 vom 09. Juli 2011

Auf das Ende gefasst sein
Seit Juni 2010 ist Belgien ohne reguläre Regierung – Mehrere Szenarien für Teilung

1992 beschlossen die Slowaken,  nicht mehr zusammen mit den Tschechen in einem Staat leben zu wollen. Obwohl die Völker nah verwandt sind und beinahe die gleiche Sprache sprechen. Am 1. Januar 1993 war die Tschechoslowakei Geschichte. In einem Krieg ging der Vielvölkerstaat Jugoslawien unter – weil Slowenen und Kroaten es satt hatten, ihre hart erarbeiteten Dinare in Serbien und Mazedonien versickern zu sehen und sich von Belgrad gängeln zu lassen.

In Italien tritt die Regierungspartei Lega Nord für eine Föderalisierung des Landes ein und für den Verbleib von mehr Steuergeldern im Norden. Spanien kennt mit den kleinen Völkern der Bas­ken und Katalanen die Macht der Nationen und deren Kampf um Selbstbestimmung und Identitätserhalt. In Polen hat die „Bewegung für Autonomie Schlesiens“ Zulauf.

Seit bald 13 Monaten steht der europäische Kunststaat Belgien nunmehr ohne Regierung da. Viele Regierungsbildner haben sich versucht und sind gescheitert, ohne am politischen Stillstand etwas geändert zu haben. Flämische Parteien aus dem wohlhabenderen Norden, allen voran die auf Abspaltung Flanderns eingestellte  Wahlsiegerin Neue Flämische Allianz (N-VA) unter Bart De Wever, streiten mit wallonischen Parteien aus dem wirtschaftlich schwächeren Süden um Vorbedingungen einer gemeinsamen Regierung.

Derweil schwelt der Sprachen- und Regionenstreit zwischen Flamen und Wallonen weiter und scheint politisch unlösbar. Am Zankapfel der Sprachenrechte im Wahlkreis Brüssel-Halle-Vilvoorde zerbrach im April 2010 die Regierung unter Premier Yves Leterme.

Vor allem im niederländischsprachigen Flandern, wo 60 Prozent der Belgier leben, herrscht die Stimmung vor, den politischen Schwebezustand zu nutzen, um das schwierige Verhältnis zwischen den Volksgruppen endlich durch Sezession zu lösen.

Für eine eventuelle Auflösung des EU-Kernlandes Belgiens werden seit Monaten mögliche Szenarien durchgespielt. Bereits im September letzten Jahres sah Vizepremierministerin Laurette Onkelinx von der frankophonen Sozialistischen Partei (PS) das Königreich dem Zerfall geweiht. Es gelte, „auf das Ende Belgiens gefasst zu sein“, sagte Onkelinx, die 2007 Flamen als „Hausschwämme“ beschimpft hatte, die das belgische Haus zersetzten.

Bei dem Modell zweier unabhängiger (National-) Staaten Flandern und Wallonie würde das seit jeher zu Flandern gehörende Brüssel einem der beiden Staaten zugeteilt – derweil leben heute in Brüssel mehr Türken und Marokkaner als Flamen. Das Drei-Staaten-Modell sieht zusätzlich einen Stadtstaat Brüssel vor. Die EU-Hauptstadt ginge dann allerdings ihrer eigenen Flughäfen verlustig: Zaventem und Charleroi liegen dann in fremden Staaten.

Bei einer teilweisen Angliederung heute noch belgischer Gebiete würden nur Flandern und Brüssel eigenständig, wohingegen die Wallonie an Frankreich oder sogar Deutschland fiele: Der belgische Energieminister Paul Magnette hatte vorgeschlagen, aus Gründen größerer politischer Gemeinsamkeiten die Wallonie der Bundesrepublik zuzuschlagen. Die Gebiete um Eupen und St. Vith, in denen die Deutschsprachige Gemeinschaft (DG) siedelt, könnten sich, mangels Interesses aus Deutschland, an Luxemburg angliedern. Der sozialistische DG-Ministerpräsident Karl-Heinz Lambertz hat intensiv mit Luxemburg über Anschlussmodalitäten beraten.   Christian Rudolf

Foto: Der Grote Markt von Brügge, Westflandern: Stolz flattert die flämische Flagge im Wind.

 

Zeitzeugen

Balduin I. – Balduin und seine nicht weniger religiöse Ehefrau galten in Belgien als moralische Autoritäten, was man vom aktuellen Herrscherpaar nicht unbedingt behaupten kann. Das ist insoweit von politischer Bedeutung, als dem König eine wichtige Integrationsfunktion in dem kleinen Vielvölkerstaat zukommt.

Bart De Wever – Der 1970 in Mortsel geborene Bewunderer des Konservativen Edmund Burke ist seit 2004 Vorsitzender der Neu-Flämischen Allianz (N-VA). Seine Partei erhielt bei den letzten Wahlen zur belgischen Abgeordnetenkammer mit 17,4 Prozent die meisten Stimmen. Im Europäischen Parlament arbeitet sie mit den deutschen Grünen in der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz (Grüne/EFA) zusammen.

Willem I. – Der erste König der Vereinigten Niederlande bezeichnete seinen Staat treffend als „Schildwacht Englands auf dem Kontinent“. Großbritannien hatte die Vereinigung der Niederlande unter einem ihr sympathischen Fürsten durchgesetzt, um zu verhindern, dass die der Themsemündung gegenüberliegende Kontinentalküste in die Hand einer seefahrenden Großmacht gelangte, denn die Themsemündung betrachtete London als seine Achillesferse.

Leopold III. – Während die Mo­narchen anderer von der Wehrmacht besetzten Länder sich absetzten, blieb der Belgier bei seiner Bevölkerung und teilte deren Schicksal. Die Belgier honorierten dies, indem sie nach Kriegsende in einem Referendum sich zu 58 Prozent für seinen Verbleib aussprachen. Die Wallonen waren jedoch mehrheitlich gegen ihn, und 1951 dankte der König ab.

Leopold I. – Da London Belgien nicht in der Hand einer seefahrenden Großmacht sehen wollte, setzte es durch, dass die belgische Neutralität und territoriale Integrität international anerkannt wurde und das Königreich statt dem französischen Herzog Ludwig von Orléans mit dem deutschen Prinzen Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha einen Onkel, väterlichen Freund und Berater der späteren britischen Königin Victoria zum König erhielt.


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