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09.07.11 / Spagat zwischen Alter und Neuer Welt / Die neue Chefin des Internationalen Währungsfonds ist mehr in den USA als in Europa verwurzelt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-11 vom 09. Juli 2011

Spagat zwischen Alter und Neuer Welt
Die neue Chefin des Internationalen Währungsfonds ist mehr in den USA als in Europa verwurzelt

Christine Lagarde, die Französin, wird das Amt als „Managing Director“ des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington nicht so schnell verlassen, obwohl sie es erst am 5. Juli angetreten hat, vier Tage also, nachdem die gegen den französischen Sozialisten Dominique Strauss-Kahn in New York erhobene Anklage sich als eine Seifenblase erwiesen hat.

Die Chefin der französischen Sozialisten, Martine Aubry, hatte ihre Kandidatur bejaht: „Frau Lagarde ist bei allen Differenzen zwischen uns eine beachtenswerte Frau“, sagte sie und fügte hinzu: „Falls Europa dieses Amt bekommen kann und wenn eine Französin diese Stelle bekommt, glaube ich, dass es eine gute Sache für unser Land und für Europa wäre.“ Damit zog sich Aubry die Kritik von Genossen zu. Denn ökonomisch gesehen gehört Lagarde gewissermaßen einer anderen Konfession als die Sozialisten an.

Mag sein, dass die Sozialisten froh sind, dass Christine Lagarde ins „Exil“ in die USA geht. Es hieß in Paris, dass sie das Zeug zur Staatspräsidentin hätte, falls Sarkozy die Flinte ins Korn werfen würde. Aber der „Job“ im IWF war für sie wie maßgeschneidert. Von vorneherein galt sie als Favoritin. Das begriff Angela Merkel, welche die Stelle für Europa haben wollte. Aber Jens Weidmann hatte sie gerade zum Bundesbankpräsidenten gemacht und an den Privatbanker Josef Ackermann hat keiner gedacht. Also fiel auch ihre Wahl auf La­garde. Die sogenannten Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) hatten am 24. Mai eine Erklärung veröffentlicht, in welcher sie die Stelle beanspruchten. Aber Lagarde unternahm eine Weltreise und überzeugte alle. Sie hatte im IWF die Voten der Deutschen (5,83 Prozent der Stimmen) sicher, und auch diejenigen der Franzosen (4,83), der Briten (4,30), der Belgier (4,88), der Niederländer (4,53) und der Italiener (4,26). Die Afrikaner entschieden sich für sie. Schließlich erhielt sie noch die Stimmen der USA (16,8), nachdem ihr Hillary Clinton Ende Mai die Weihen verliehen hatte, indem sie ihr „persönlich gutes Glück“ wünschte und ihr „Bewunderung“ zollte.

Lagarde wird auf dem amerikanischen Parkett gut tanzen. Als sie vor zwei Jahren Deutschland vorwarf, dass es eine andere Wirtschaftspolitik als Frankreich und die anderen EU-Partner betreibe und höhere Löhne zahlen und den Binnenkonsum fördern solle, was in Deutschland als „ein bisschen mehr Inflation“ verstanden wurde, richtete sie ziemlich frech an Berlin einen Satz aus einem amerikanischen Lied der 70er-Jahre: „Zum Tangotanzen muss man zwei sein.“ Sie sorgte damit für Wirbel. Aber Wolfgang Schäuble glättete die Wogen und lud sie daraufhin als Gast zu einer Kabinettsitzung in Berlin ein.

Christine Lagarde, geborene Lallouette, kam als ältestes von vier Kindern 1956 in Paris zur Welt und wuchs zusammen mit ihren drei Brüdern in Le Havre in der Normandie auf. Ihr Vater arbeitete als Dozent für Literatur an der Universität Rouen und ihre Mutter war Lehrerin. Als der Vater 1973 starb, war die Familie verarmt. Christine musste die Sportwettbewerbe aufgeben, wo sie immerhin als Mitglied der französischen Nationalmannschaft im Synchronschwimmen eine Bronzemedaille gewonnen hatte. Sie ging 1974 mit einem Stipendium des American Field Service in die USA an die Holton-Arms School, eine Mädchenschule in Bethesda, Maryland. Lagardes Trumpf war, dass sie ein makelloses Englisch spricht. Die große, schlanke und sportliche Frau wird von den Amerikanern quasi als Landsmännin betrachtet. Sie ist Vegetarierin und trinkt keinen Alkohol. Ihre Hobbies sind Yoga, Tauchen, Schwimmen und Gartenarbeit.

Nach der Rückkehr aus den USA absolvierte sie ein Studium im Fach Sozialrecht am Institut für Politikwissenschaft in Aix-en-Provence und schloss dort mit einem Master ab. Trotz eines Aufbaustudiums in Paris hat sie die Aufnahmeprüfung in die Verwaltungsakademie ENA nicht geschafft. Dafür hat sie ein Diplom in Arbeitsrecht an der Universität Nanterre erworben. Zwischendurch hospitierte sie beim US-Kongress im Büro eines Abgeordneten. Sie ist keine diplomierte Anwältin, aber sie arbeitete als Rechtsanwältin ab 1981 im Pariser Büro der Kanzlei Baker & McKenzie. Von 1999 bis 2004 war sie Präsidentin der Geschäftsführung dieser Kanzlei in den USA und ab 2004 Vorsitzende von deren „Global Strategy Committee“ in Chicago. Von 1995 bis 2002 war sie Mitglied des „Think Tanks“ am „Center for Strategic and International Studies“ (CSIS), wo sie mit Zbigniew Brzeszinski das Aktionskomitee USA-EU-Polen anführte und Fragen der Liberalisierung des Handels mit Polen behandelte. Im Jahr 2003 war sie in der „Euro-Atlantic Action Commission“ in Wa­shington tätig.

Die „Amerikanerin“ kam 2005 wieder nach Frankreich, wo sie von 2005 bis 2007  Staatsministerin für Außenhandel war, dann bis Juni 2007 Ministerin für Landwirtschaft und Fischerei. Seit der Regierungsumbildung am 19. Juni 2007 war sie für Wirtschaft und Finanzen zuständig. In Paris wird ihr derzeit Amtsmissbrauch vorgeworfen. Sie soll sich in einem Entschädigungsverfahren vorschnell auf einen Vergleich mit einem Geschäftsmann eingelassen haben, der den Staat Unsummen gekostet hat. Lagarde bestreitet das allerdings.

Hauptopfer der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise sind die zwei wichtigsten Wirtschaftsblöcke USA und EU. Lagarde wird so lange im Amt bleiben, wie die Eurokrise dauert und wie die Amerikaner Schulden machen. Das könnte noch lange dauern. Jean-Paul Picaper

Foto: In Siegerpose: Als Chefin des IWF gehört Christine Lagarde zu den mächtigsten Frauen der Welt.


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