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09.07.11 / Klägliche Reste gehen auf Tournee / Gerettete Werke aus der Aktion »Entartete Kunst« sollen im Münchner Haus der Kunst an die großen Verluste erinnern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-11 vom 09. Juli 2011

Klägliche Reste gehen auf Tournee
Gerettete Werke aus der Aktion »Entartete Kunst« sollen im Münchner Haus der Kunst an die großen Verluste erinnern

Eigentlich hatte keiner mehr damit gerechnet, sie je wieder zu Gesicht zu bekommen, doch nun gehen sie im nächsten Jahr sogar nach siebeneinhalb Jahrzehnten erneut auf große Tournee durch Deutschland: Im Münchner Haus der Kunst, wo auch 1937 ihre Rundreise startete, beginnt 2012 die Wanderausstellung „75 Jahre Propagandaausstellung ,Entartete Kunst‘“, bei der sie auch an all jene erinnern, die den Nationalsozialismus und vor allem die Berliner Bombennacht vom 24. Mai 1944 nicht überlebt haben. Insgesamt sind es elf Skulpturen, die man im vergangenen Jahr durch Zufall bei Bauarbeiten für die neue Bahnlinie U5 in der Königstraße 50 fand. Ihre Schöpfer waren zwar nicht die berühmtesten unter den Künstlern, die von den Nationalsozialisten wegen ihrer dem Regime nicht genehmen Kunst diffamiert, mit Berufsverbot belegt und verfolgt wurden – weder ein Werk von Ernst Barlach, Willi Baumeister, Max Beckmann, Otto Dix oder Oskar Kokoschka war unter den Funden –, trotzdem stellen sie eine Sensation dar. Diese war zudem bis vor Kurzem noch mit einem Rätsel verbunden. Das aber wurde dann schließlich doch noch gelöst, denn natürlich hatte man sich bei den Funden gefragt: Was hatten die Skulpturen überhaupt in der Königstraße 50 zu suchen?

Recherchen hatten ergeben, dass das Haus bis 1942 dem vermögenden jüdischen Kaufmann Leopold Gadiel beziehungsweise seiner Tochter Edith gehörte. Der gebürtige Schlesier Gadiel wiederum war eng mit dem jüdischen Breslauer Unternehmer und Kunstliebhaber Max Silberberg befreundet. Zudem hatte der Steuerberater Erhard Oewerdieck in dem Haus seine Kanzlei.

Oewerdieck hat mehreren Juden zur Flucht verholfen und  wurde von Israel später deswegen als einer der „Gerechten unter den Völkern“ geehrt. Hatte er auch Werke von als entartete Kunst verfemten Künstlern versteckt oder zusammen mit seinem Vermieter und dessen Freundeskreis an jüdische Kunstinteressenten im Ausland vermittelt?

Meike Hoffmann von der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ der Freien Universität Berlin  musste sich jedoch bei ihren Nachforschungen schnell von jeder Theorie über eine heroische Kunstrettung oder geheime Kunstgeschäfte verabschieden: Über Internet machte sie ein Blogger auf ein bislang unbeachtetes Dokument vom 14. August 1942 im Bundesarchiv aufmerksam. Hierin fragte ein Ausstellungsmacher die Hausverwaltung des Propagandaministers Joseph Goebbels, was er mit den in seinem Bestand verbliebenen Exponaten der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ machen sollte.

Goebbels hatte diese 1937 gestartete, mit zwei Millionen Besuchern bestens besuchte und mit 650 konfiszierten Kunstwerken aus 32 deutschen Museen bestückte Wanderausstellung initiiert und entsprechend in Szene gesetzt, um den Deutschen zu zeigen, wie „entartet“ beziehungsweise „krank“ und „behindert“ diese moderne Kunst doch sei. Nun mussten die Exponate der inszenierten „Grusel“-Ausstellung irgendwohin.

Die Werke von in der internationalen Kunstwelt anerkannten Schöpfern hatten die Nationalsozialisten natürlich längst gegen gutes Geld ins Ausland verkauft, zurück blieben die Produkte eher unbekannterer Künstler und diese wurden laut im Bundesarchiv aufgefundenen Antwortschreiben des Ministeriums im offiziellen Lagerraum in der Königstraße 50 untergebracht.

Da die im Bundesarchiv entdeckte Anfrage des Ausstellungsmachers auch eine Bestandsliste der bei ihm verbliebenen, wenig später nach Berlin gelieferten Exponate enthielt, ist bekannt, welche Werke vermutlich in der Königstraße landeten. Die meisten von ihnen verbrannten jedoch in jener Bombennacht 1944 oder wurden von herunterstürzenden Gebäudetrümmern zerstört.

Und so geht das 2010 bei Bauarbeiten geborgene, inzwischen restaurierte „Stehende Mädchen“ von Otto Baum zusammen mit dem geborgenen Kopfteil der „Schwangeren“ von Emy Roeder im nächsten Jahr erneut auf große Tour durch Deutschland. Sie sind der klägliche Rest von einst 650 Kunstwerken. Doch die Geschichte, die sie verkörpern, ist dafür umso eindrucksvoller.             Rebecca Bellano

Information: Wer die elf Skulpturen beziehungsweise ihre Überreste schon jetzt sehen will, kann sie im Griechischen Hof des Neuen Museums, Museumsinsel Berlin, besichtigen.

Foto: Emy Roeder: Kopf einer Schwangeren. Unter den Funden in Berlin war auch das Fragment der Terrakottafigur aus dem Jahr 1918.


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