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09.07.11 / Deutschlands erster Linien-Jet / Die VFW-Fokker 614 war vornehmlich für Entwicklungsländer konzipiert – Erstflug vor 40 Jahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-11 vom 09. Juli 2011

Deutschlands erster Linien-Jet
Die VFW-Fokker 614 war vornehmlich für Entwicklungsländer konzipiert – Erstflug vor 40 Jahren

Vor 50 Jahren vereinigten sich die beiden Bremer Flugzeughersteller Focke-Wulf-Flugzeugbau und Weser-Flugzeugbau (Weserflug) zu den Vereinigten Flugtechnischen Werken (VFW). Sie hatten das Ziel, ein Verkehrsflugzeug zu entwickeln, das im Gegensatz zur Baade 152 der DDR auch tatsächlich im Liniendienst eingesetzt wird. Wenigstens dieses Ziel gelang.

Wie nach dem Ersten wurde den Deutschen auch nach dem Zweiten Weltkrieg der Flugzeugbau verboten. Nur langsam fand die in der Zwischenkriegszeit für ihre Flugbegeisterung bekannte Nation in den Kreis der Flugzeugproduzenten zurück. Entsprechend schüchtern waren denn auch die ersten Schritte von VFW auf den Markt für Düsenpassagierflugzeuge. Da die Bremer die direkte Konkurrenz mit den beiden großen US-amerikanischen Passagierflugzeuganbietern Boeing und Douglas scheuten, setzten sie auf ein Nischenprodukt für Entwicklungsländer, das die Vorteile des Düsen- mit denen des Propellerflugzeuges verbindet. So sollte die zweistrahlige Maschine für den Einsatz auf unebenen Pisten ein kurzes, kräftiges Fahrwerk bekommen. Damit die Düsen trotz des sich daraus ergebenden kleineren Abstandes zwischen Piste und Flügeln nicht zu viel Sand oder Steine von der Piste ansaugten, wurden die Triebwerke nicht in die Flügel integriert oder gar darunter angebracht, sondern auf Pylonen über den Tragflächen montiert – was der Maschine ein unverwechselbares Erscheinungsbild verschaffte. Diese charakteristische hohe Triebwerksanordnung verschaffte dem Tiefdecker einige weitere Vorteile. Das Klappensystem wurde durch keine Düse unterbrochen und brauchte daher nicht geteilt zu werden. Im Notfall war bei einem Triebwerksbrand nicht automatisch der entsprechende Flügel betroffen, während andererseits bei einer Notlandung auf Rumpf und Flügeln nicht automatisch die Düsen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Schließlich hatte die Triebwerksanordnung den Vorteil, dass die Tragflächen den Lärm der Strahltriebwerke zur Erde hin abschirmten.

Doch auch an anderen Merkmalen erkennt man, dass die Maschine für Entwicklungsländer beziehungsweise primitive Flugplätze konzipiert wurde. So hatte das Flugzeug eine eigene Flugzeugtreppe und eine Hilfsgasturbine für die Stromversorgung. Da die für moderne Düsenflugzeuge typische Schubumkehranlage für die Landung mit viel Wartung und Verschleiß verbunden ist, wurde auf sie verzichtet. Um die Lande­strecke mit 1,1 Kilometern dennoch kurz halten zu können, erhielt die Maschine umfangreiche Luftbremsen und Radremsen mit Antiblockiersystem (ABS). Die Startstrecke war mit 1,325 Kilometern nur unwesentlich länger, so dass die Maschine keine hohen Ansprüche an die Größe der angeflogenen Flugplätze stellte.

Um das Flugzeug auch als Lastentransporter einsetzen zu können, war ursprünglich die Möglichkeit geplant, den Flugzeugbug einschließlich des Cockpits abzuklappen. Doch schließlich entschied man sich doch für eine reine Passagiermaschine mit 40 bis 44 Passagiersitzen in Zweierreihen zu beiden Seiten des Ganges. Zu den Passagieren kamen zwei Piloten für das 20,6 Meter lange Flugzeug. Eine verlängerte Version war geplant, wurde aber nicht verwirklicht.

Am 5. April 1971 fand in Bremen der sogenannte Rollout statt, also das Herausrollen des ersten Exemplares aus seiner Fertigungsstätte. Am 14. Juli des Jahres erfolgte dann der Erstflug. Leif Nielsen und Hans Bardill flogen die neue Maschine 32 Minuten.

Ein halbes Jahr später ging der erste Prototyp verloren. Die Maschine stürzte aus einer Höhe von 3000 Metern über dem Flughafen Bremen ab. Der Pilot Nielsen und der Ingenieur Hans Hammer konnten sich mit dem Fallschirm retten, während der Kopilot Bardill das Unglück nicht überlebte. Die Ursache des Absturzes konnte ermittelt werden, entsprechende Konstruktionsänderungen am Höhenleitwerk wurden vorgenommen,   und so erhielt die Maschine am 23. August 1974 die Zulassung vom Luftfahrt-Bundesamt. Weitere Zulassungen folgten. Am 28. April 1975 flog die erste Serienmaschine.

Ab dem 175. verkauften Flugzeug rechnete der Hersteller mit Gewinn. Anfänglich schien dieses Ziel erreichbar. Zum Zeitpunkt des Erstfluges lagen bereits 26 Optionen der Münchner Chartergesellschaft Bavaria und der Hamburger Fluggesellschaft General Air vor. Das US-amerikanische Kurier- und Logistikunternehmen FedEx Corporation und die US Coast Guard stellten Großbestellungen in Aussicht.

Trotzdem entpuppte sich das Projekt schließlich als ökonomisches Desaster und Steuergrab. Als Ursache wird neben der Ölkrise von 1973 Fokker genannt. Wegen der fehlenden eigenen Erfahrung im Passagierjetbau hatten die deutschen Flugzeugbauer für das Projekt den niederländischen Flugzeughersteller ins Boot geholt. Aus der VFW 614 wurde die VFW-Fokker 614. Fokker bot allerdings parallel dazu seit 1958 das zweimotorige Propellerflugzeug F-27 mit zwischen 44 und 52 Passagierplätzen und seit 1969 den Kurzstreckenjet F-28 mit 65 Passagierplätzen an. Angesichts dieses eigenen Angebotes stellt sich die Frage, ob die Niederländer überhaupt ein Interesse am Gedeihen ihres gemeinsamen Kindes mit den Deutschen haben konnten.

Jedenfalls gedieh es nicht. Die erhofften Großaufträge aus den USA blieben ebenso aus wie solche aus Osteuropa. Die dänische Cimber Air bestellte zwei Flugzeuge, die französische Touraine Air Transport acht, die ebenfalls in Frankreich beheimatete Air Alsace drei und die Flugbereitschaft der Bundeswehr drei. Ganze 16 Bestellungen, und diese 16 Bestellungen wurden noch nicht einmal abgearbeitet. Statt der georderten acht erhielt Touraine Air Transport nur zwei VFW-Fokker 614. So wurden abgesehen von den drei Prototypen nur zehn Serienmaschinen gefertigt.

Die Bundesregierung, die das Projekt seit 1966 finanziell unterstützt hatte, verlor das Interesse und förderte statt des deutsch-niederländischen Projekts VFW-Fokker 614 lieber das ambitioniertere deutsch-französisch-britische Airbus-Projekt, das statt zu einem einzelnen Produkt gleich zu einer ganzen Produktpalette führte, welche nun auch die Konkurrenz mit den US-amerikanischen Marktführern nicht mehr scheute. Am 31. Dezember 1977 wurde das Projekt VFW-Fokker 614 nach 13 fertiggestellten Maschinen eingestellt.    Manuel Ruoff

Foto: VFW-Fokker 614 der Flugbereitschaft des Bundesverteidigungsministeriums: Der Typ hat 20,6 Meter Länge, 7,84 Meter Breite, 21,5 Meter Spannweite, 64 Quadratmeter Flügelfläche, 2,66 Meter Kabinenbreite, 1,92 Meter Kabinenhöhe, 12,18 Tonnen Leergewicht, 19,95 Tonnen Startgewicht, 720 Stundenkilometer Reisegeschwindigkeit, 7600 Meter Dienstgipfelhöhe und 160 Stundenkilometer Lande­geschwindigkeit.


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