29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
09.07.11 / Das Maß der Bewegung / Die Zeit – ein rätselhaftes Phänomen, das schon Philosophen und Dichter vergangener Jahrhunderte beschäftigte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-11 vom 09. Juli 2011

Das Maß der Bewegung
Die Zeit – ein rätselhaftes Phänomen, das schon Philosophen und Dichter vergangener Jahrhunderte beschäftigte

Wenn mich niemand fragt, weiß ich es. Wenn ich es jemandem erklären will, der fragt, weiß ich es nicht.“ Mit dem Satz machte bereits Augustinus deutlich, welche Schwierigkeiten es bereitet, eine Definition für den Begriff „Zeit“ zu geben. Und noch deutlicher brachte es Thomas Mann auf den Punkt: Zeit sei das Rätselhafteste, welches der Mensch imstande ist zu messen.

Wie können wir das Phänomen Zeit fassen und diese Erkenntnisse für uns nutzbar machen? Eine Frage, die sich die Philosophen unserer Vergangenheit immer wieder gestellt haben. Es gibt tatsächlich kaum ein anderes Phänomen, das einerseits so selbstverständlich in unseren Alltag integriert ist. Andererseits gibt es wenig, was beim genauen Hinsehen so schwierig zu erfassen ist, wie die Zeit.

Wir sprechen von gestern, heute und morgen und fragen, welche Zeit es gerade ist, und doch stellen wir selten die Frage danach, wie das Phänomen Zeit sich charakterisieren lässt.

Der Zeitbegriff ist als spezifische Vorstellung der Menschen stark an das Bewusstsein gebunden, wobei das Zeitempfinden sehr unterschiedlich ist. Zeit verfließt subjektiv alles andere als gleichmäßig – mal vergeht die Zeit schnell, mal vergeht sie so langsam, dass man schier verzweifelt. Unsere Sprache kennt sehr bildhafte Ausdrücke: „Die Zeit fliegt“, „Die Zeit verrinnt“, „Ein kurzes Weilchen“, „endlos warten“, „Zeit totschlagen“.

Doch wie veranschaulicht man sich Zeit? Wohl zuallererst auf einer Linie, als Verräumlichung, die sich auf natürliche Weise in drei Teile teilt: der Augenblick der Gegenwart, die Vergangenheit und die Zukunft. Nun aber müssen wir erklären, was die drei Teile sein sollen, wenn wir beschreiben wollen, was das Ganze, die Zeit, sein will. Genauso ging auch Augustinus vor. Die Gegenwart ist das, was gerade ist, die Vergangenheit das, was vorüber ist, und die Zukunft das, was noch sein wird. So gesehen fußt im Ich der Menschen das Empfinden und das Urteilen über Zeit. Daher ist es nur natürlich, das Ich als Ort zu identifizieren, in dem Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zu verstehen sind und so erst erklärbar werden, indem man sie miteinander passend „verklebt“: Die Gegenwart kann nun als das beschrieben werden, was den Sinnen gerade erfassbar ist, die Vergangenheit als jenes, was der Erinnerung zugängig ist, und die Zukunft als das, worauf wir hoffen, worüber wir Voraussagen treffen. Zeit korres­pondiert dann mit dem Dreigespann von Erleben, Rück­blicken und Erwarten. Eine solche Subjektivierung aber löst die Zeit aus ihrem sachlichen Kontext heraus und macht sie vom Menschen abhängig: Was wäre jedoch, wenn es keine Menschen gäbe? Gäbe es dann keine Zeit? Die strenge Antwort auf diese  Frage muss „Nein!“ lauten. Auch ohne den Menschen macht der Zeitbegriff Sinn. Das macht sich bemerkbar, wenn man Objekte für sich betrachtet.

Somit ist Zeit in direkter Relation zu den Dingen zu sehen. Objekte unterliegen einer Entwicklung, die mit der Zeit voranschreitet – ganz gleich, ob Menschen anwesend sind oder nicht. Biologisch verbindet man damit die Vergänglichkeit: Jedes Lebewesen verfügt nur eine bestimmte statistische Lebenserwartung. Nüchtern betrachtet ist die Zeit Ordnungsparameter für die Entwicklung von Dingen.

Aristoteles sah die Zeit untrennbar an Veränderungen gebunden. Veränderungen geschehen in der Zeit, aber von der Zeit selbst gilt das nicht. Sie selbst ist keine Bewegung, sondern das Maß jeder Bewegung. „Wir messen nicht nur die Bewegung mittels der Zeit, sondern auch mittels der Bewegung die Zeit und können dies, weil sich beide wechselseitig bestimmen“, lautete seine Erklärung. Für Kant ist die Zeit eine „reine Anschauungsform“, sie gehört also zu den subjektiven Bedingungen der Welterkenntnis und ist somit die besondere Form, die das Bewusstsein unseren Sinnes­eindrücken verleiht. Zeit kann nach einer solchen Erklärung aber dann nur sinnvoll und widerspruchsfrei in unserem Kontext, dem Kontext der Menschen, gedacht werden. Zeit als Phänomen der vom Bewusstsein wahrgenommenen Form der Veränderungen, die sich als nicht umkehrbare oder wiederholbare Geschehensabfolge darbietet, oder, wie der amerikanische Physiker Wheeler einst sagte: „Zeit ist, was verhindert, dass alles auf einmal passiert.“          C. Weinert


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren